Die Unterscheidung der Geister

16. Oktober 2013 in Aktuelles


El Jesuita. Den Heiligen Ignatius in Papst Franziskus verstehen. Von Armin Schwibach (VATICAN magazin)


Rom (kath.net/as/VATICAN magazin) Bei seinem langen Gespräch mit den Journalisten während des Rückflugs vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro am 28. Juli 2013 stellte eine Vertreterin der Presse Papst Franziskus eine entscheidende Frage: „Heiliger Vater. Ich möchte wissen, ob Sie sich, seit Sie Papst sind, noch als Jesuit fühlen“. In seiner Antwort verwies Franziskus zunächst darauf, dass dies aufgrund des besonderen Gehorsamsgelübdes, das die Jesuiten gegenüber dem Papst ablegen, in erster Linie eine theologische Frage sei: „Doch wenn der Papst Jesuit ist, muss er vielleicht geloben, dem Jesuiten-General gegenüber gehorsam zu sein… Ich weiß nicht, wie das zu lösen ist.“ Und sogleich fügte der Papst hinzu: „Ich fühle mich als Jesuit in meiner Spiritualität: in der Spiritualität der Exerzitien; das ist die Spiritualität, die ich im Herzen habe.“ Für jene, die wegen der Wahl seines Papstnamens Zweifel hatten, klärte der Papst eindeutig, dass sich seine Spiritualität nicht geändert habe: „Franziskus – Franziskaner: nein. Ich fühle mich als Jesuit und denke als Jesuit“. Klarer hätte er nicht sein können. Franziskus ohne den heiligen Ignatius von Loyola – das geht nicht.

Die Exerzitien-Spiritualität ist ein Dreh- und Angelpunkt, um den Papst in seinem Denken und Wirken zu verstehen, und es dürfte nicht zuviel gesagt sein: um sein „ganzes“ Denken und Wirken zu begreifen. Wesentliches und zentrales Element ist hierbei für Franziskus wie für Ignatius die Unterscheidung der Geister. Dabei geht es nicht um ein reines Abwägen von etwas. Der Heilige schreibt: „Ich setze voraus, dass es dreierlei Gedanken in mir gibt: solche, die mein eigen sind und allein meiner Freiheit und meinem Willen entspringen, während die beiden andern von außen kommen: der eine vom guten, der andere vom bösen Geist“ (Exerzitien, Nr. 32).

Für Ignatius ist die Übung der Unterscheidung auch ein Schlachtfeld, das zur Erkenntnis des wahren Willens Gottes gegen jede Form des Egoismus und gegen den Geist des Bösen führen muss. Um zu dieser Unterscheidung zu gelangen, sind „drei Sprachen“ notwendig, so der Papst bei einer seiner Predigten während den Morgenmessen im vatikanischen Gästehaus „Domus Sanctae Marthae“: die Sprache des Geistes: Studium der Lehre; die Sprache des Herzens: Gebet auf Knien; die Sprache des Handelns: Nachfolge.

Wie Franziskus jüngst in seinem Gespräch mit dem Direktor der Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica”, Antonio Spadaro SJ, erklärt hatte, habe ihn immer eine Maxime beeindruckt, mit der die Vision des Ignatius beschrieben werde: „Non coerceri a maximo, sed contineri a minimo divinum est“ – nicht beschränkt werden vom Größten, sondern eingeschlossen werden vom Kleinsten – das ist göttlich“. Dieses Motto, das Friedrich Hölderlin seinem „Hyperion“ voranstellte, bedeutet für den Papst: „Sich nicht vom größeren Raum einnehmen zu lassen, sondern imstande zu sein, im engsten Raum zu bleiben.

Die Tugend des Großen und des Kleinen ist die Großmut, die uns von der Stellung aus, in der wir uns befinden, immer den Horizont sehen lässt: tagtäglich die großen und die kleinen Dinge des Alltags mit einem großen und für Gott und für die anderen offenen Herzen zu erledigen. Das heißt, die kleinen Dinge wertzuschätzen innerhalb der großen Horizonte, jenen des Reiches Gottes.“ So sieht Franziskus in der Maxime zum hundertjährigen Jubiläum des Bestehens des Jesuitenordens (1640) Parameter, „um eine korrekte Haltung für die Unterscheidung einzunehmen, um die Dinge Gottes von seinem ‚Gesichtspunkt’ her zu sehen. Für den heiligen Ignatius müssen die großen Prinzipien in den Umständen von Raum, Zeit und Personen verkörpert sein“.

Für Franziskus denkt der Jesuit immer weiterführend, „in Kontinuität, mit Blick auf den Horizont, in dessen Richtung er gehen soll, während er Christus im Zentrum hat. Das ist seine wahre Stärke, sie spornt ihn dazu an, auf der Suche, schöpferisch und hochherzig zu sein. Sie muss daher heute mehr denn je ‚contemplativa in actione’ sein, sie muss eine tiefe Nähe zur ganzen Kirche haben, die als ‚Volk Gottes’ und ‚heilige hierarchische Mutter Kirche’ verstanden wird“.

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