Ein Theologieprofessor verschärft den innerkirchlichen Graben

13. September 2013 in Kommentar


Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner behauptete, Gerüchten zufolge stehe Papst Franziskus unter Mordgefahr durch konservative Katholiken. KATH.NET-Kommentar von Petra Lorleberg


Wien-Stuttgart (kath.net/pl) Ein Gerücht ist „etwas, was allgemein gesagt, weitererzählt wird, ohne dass bekannt ist, ob es auch wirklich zutrifft“. So definiert der Duden. Gerüchte behaupten, so sagte nun der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner dem ORF, dass Papst Franziskus seitens einiger konservativer Katholiken unter Mordgefahr stehe. Einen Beleg, wer wann wo solches behauptet hat, erbringt der Wissenschaftler nicht, sondern er verbreitet wissentlich ein Gerücht weiter.

Die oft unerträglich starken Spannungen zwischen den beiden großen Fraktionen in der katholischen Kirche, die gelegentlich mit liberal/konservativ oder besser mit romkritisch/romtreu umschrieben werden (ohne dass diese Begriffe wirklich vollständig passen würden), werden immer schärfer. Um Mordgefahr ging es bisher allerdings noch nicht, dem Wiener Professor für katholische Theologie dürfte möglicherweise sogar die „Ehre“ zukommen, dies als Erster zu behaupten und den Graben damit nochmals zu vertiefen.

„Konservative“ Katholiken werden in Zulehners Darstellung plötzlich zu denkbar starken Papstkritikern. Darf ein uninformierter Beobachter daraus folgern, dass „liberale“ Katholiken papsttreu seien?

Korrigierend ist hinzuzufügen (offenbar muss man das dem Theologieprofessor aber erst erklären): Zum klassischen Charakteristikum eines „konservativen“ Katholiken zählt die Papsttreue. Wer diese nicht aufbringt, fällt per definitionem aus den „konservativen“ Katholiken heraus, er wird „ultrakonservativ“, er wird „päpstlicher als der Papst“. Man kann ja bekanntermaßen auch nach „rechts“ vom Pferd fallen, nicht nur nach „links“. Ein romtreuer Katholik ist außerdem nicht „rechts“, sondern „mittig“ einzuordnen, auch wenn diese Tatsache oft bewusst verzerrend dargestellt wird.

Es ist bisher tatsächlich insgesamt eine erfreulich positive Reaktion auf Papst Franziskus seitens „liberaler/romkritischer“ Katholiken sowie seitens der säkularen Presse zu beobachten. Leider erschöpft sich dies oft in wortreicher Zustimmung. Von konkreten Reaktionen wie Gehaltsverzicht zugunsten „Armer“, Verkleinerung des eigenen Anspruches in Automarke und –größe sowie Urlaubs- und Freizeitbeschäftigungen, verstärktem eigenhändigem Engagement für gesellschaftliche Außenseiter und „Arme“ im materiellen und seelischen Bereich durch „liberale“ Katholiken drang bisher nicht viel an die Öffentlichkeit. Ein Engagement seitens „liberaler“ Katholiken etwa in der von Papst Franziskus deutlich angemahnten Abtreibungsfrage (als Beispiel sei genannt die Beteiligung am bevorstehenden „Marsch für das Leben“ in Berlin am 21. September) ist bisher nicht nennenswert medienrelevant geworden.

Papst Franziskus ist tatsächlich eine Chance für unsere römisch-katholische Kirche. Ja, wir sind eingeladen, unsere Augen und unser Interesse abzuwenden von unfruchtbaren innerkirchlichen Dauerdiskussionen und uns mit viel Kraft den brennenden sozialen Fragen zuwenden. Gemeinsam und unter Hintanstellung der innerkirchlichen Grabenkämpfe.

Oder aber wir können es wie der Theologieprofessor und Priester Zulehner machen: Wir verschärfen die innerkirchlichen Grabenkämpfe bewusst, sogar durch Streuen unbelegter Mordgefahr-Gerüchte und durch definitionswidrige Zuordnungen.

Die Überwindung des innerkirchlichen Grabens bedarf des guten Willens von beiden Seiten. Nach christlichem Verständnis sollte am besten jeder bei sich selbst anfangen. Dies gilt auch für jene, die uns als Autoritäten, als Hirten und akademische Lehrer, leiten wollen.

Link zum ORF-Bericht, mit Video von Zulehners Originalaussagen: "Angst um Papst wegen Zölibatsdebatte"

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