Die Gendarmen des Papstes

10. Juli 2013 in Interview


Die 'päpstliche Polizei': Die erste Gesamtdarstellung ihrer jahrhundertealten Geschichte in ein Blick in die Aktualität. Ein Gespräch mit dem Historiker und Theologen Ulrich Nersinger. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Mit der „Vatileaks-Affäre“ – dem Diebstahl und der unrechtmäßigen Veröffentlichung vertraulicher Dokumente Papst Benedikts XVI. – ist in der Öffentlichkeit auch das Interesse für das Gendarmeriekorps des Vatikanstaates geweckt worden. Bis dahin war vielen die Existenz einer eigenen Polizeitruppe des Vatikans kaum oder gar nicht bekannt. Der Theologe und Vatikankenner Ulrich Nersinger legt nun erstmals eine Gesamtdarstellung der Geschichte der päpstlichen Gendarmerie vor. In einem Gespräch mit kath.net vertieft Nersinger wesentliche Inhalte zu Geschichte und Aktualität der "päpstlichen Polizei".


kath.net: Seit wann gibt es eine päpstliche Polizei?

Ulrich Nersinger:
Im Grunde kann man erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts von dem sprechen, was unserer heutigen Vorstellung von einer „Polizei“ entspricht. Im Kirchenstaat wurde ein modernes Polizeikorps im Jahre 1816 begründet, damals noch unter dem Namen „Päpstliche Karabinieri“. Seit 1850 wird die Bezeichnung „Gendarmen“ verwendet. Aber selbstverständlich gab es bereits Jahrhunderte zuvor Institutionen, die im weltlichen Herrschaftsgebiet des Papstes polizeiliche Aufgaben wahrnahmen. Als bekannteste dieser Ordnungshüter sind die Sbirren zu nennen.

kath.net: Wer waren die Sbirren?

Nersinger:
Die Sbirren waren zunächst die Exekutivbeamten der verschiedenen Gerichtshöfe der Ewigen Stadt. Später sorgten sie in und außerhalb Roms für die Aufrechterhaltung der Öffentlichen Ordnung. Berühmt-berüchtigte Personen der Weltgeschichte machten mit ihnen „Bekanntschaft“, so zum Beispiel Caravaggio, Casanova, Cagliostro und Gasparone.

Über die Arbeit der Sbirren haben viele bekannte und bedeutende Romreisende berichtet; man braucht nur die Werke von Goethe, Stendhal und Dickens ein wenig durchzublättern. Musikliebhaber dürften die römischen Ordnungshüter vor allem aus der Oper „Tosca“ kennen.

kath.net: Wie agierten sie?

Nersinger:
Zumeist unter sehr schwierigen Bedingungen, was ihre sprichwörtliche Härte und ihr manchmal brutales Vorgehen erklärt. Bis ins 16. Jahrhundert hatten sie mit dem selbstherrlichen Auftreten der römischen Barone und Adelsgeschlechter zu kämpfen. Auch die „Quartiersfreiheit“, die als eine ausufernde Form der Exterritorialität von ausländischen Gesandschaften in Anspruch genommen wurde, und die eigene Gerichtsbarkeit, die Truppenverbänden der päpstlichen Armee zugestanden worden war, erschwerten ihnen eine effektive Polizeiarbeit. Nicht zu vergessen das sogenannte „Kirchenasyl“, das zumindest vorübergehend Straftäter vor dem Zugriff der Sbirren bewahrte.

Ich habe mich bemüht, in meinem Buch einige anschauliche Beispiele zu nennen.

kath.net: Waren die Sbirren die einzigen Ordnungshüter?

Nersinger:
Nein. Ab dem 17. Jahrhundert wurden sie von militärisch geführten Einheiten – man könnte sagen „Polizeisoldaten – unterstützt. Eine von ihnen war die Päpstliche Korsengarde; ein Konflikt, in den die Garde mit dem französischen Botschafter geriet, führte fast zu einem Krieg zwischen dem Kirchenstaat und Frankreich. Für eine kurze Zeit nahm sogar eine eigens errichtete zweite Päpstliche Schweizergarde in der Ewigen Stadt polizeiliche Aufgaben wahr.

kath.net: Welche Rolle kam den Gendarmen des Papstes im 19. Jahrhundert zu?

Nersinger:
Eine mehrfache. Legendär ist ihr Vorgehen gegen die Räuberbanden in den Päpstlichen Staaten, vor allem der Kampf gegen Antonio Gasparone und seine Männer, der auf sehr unkonventionelle Art geführt wurde. Bei der Ausforschung von Revolutionären erwies sie sich als erfolgreich. Bedeutenden ausländischen Gästen, die durch den Kirchenstaat reisten, wurden die Gendarmen als Ehren- und Sicherheitsekorte zugeteilt.

Die Gendarmerie war zudem als paramilitärische Truppe in die Verteidigung des päpstlichen Herrschaftsgebietes eingebunden. Noch am Tag der Eroberung Roms im September 1870 leistete sie gegenüber den Truppen des Konigreichs Italien erheblichen Widerstand.

kath.net: Und im 20. Jahrhundert?

Nersinger:
Die Gründung des Staates der Vatikanstadt im Jahre 1929, der Versuch der Infiltrierung der Gendarmerie durch die Faschisten im Zweiten Weltkrieg sowie eine mehrfache Umbenennung, eine Reihe von spektakulären Kriminalfällen und die aktuelle Sicherheitslage auf der ganzen Welt bedeuteten und bedeuten für die päpstliche Polizei enorme Herausforderungen.

kath.net: Wie definiert sich das vatikanische Gendarmeriekorps in unseren Tagen?

Nersinger:
Die vatikanische Gendarmerie – ihre Sollstärke beträgt 198 Mann – ist im kleinsten Staat der Erde Verkehrs-, Kriminal-, Justiz- und Grenzpolizei.

Ihre wichtigste Aufgabe aber ist der Schutz des Heiligen Vaters und der Personen, die ihm im Vatikan besuchen oder dort arbeiten und leben. Sie ist nicht nur in der Vatikanstadt selber, sondern auch bei den Basiliken S. Maria Maggiore, St. Paul vor den Mauern, dem Lateran, in der päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo und den übrigen exterritorialen Gebieten des Heiligen Stuhls präsent.

Seit dem 28. Februar dieses Jahres, 20.00 Uhr, kommt ihr zudem eine weitere wichtige exklusive Verpflichtung zu – den emeritierten Papst Benedikt XVI. zu bewachen.

kath.net: Wie beurteilt man im Ausland die Qualifikation des vatikanischen Gendarmeriekorps?

Nersinger:
Die amerikanische Bundespolizei, das FBI, ist nicht gerade dafür bekannt, dass sie andere Polizeiorganisationen, weder die eigenen noch ausländische, mit Lob überschüttet. Schmeicheleien liegen den Verantwortlichen des „Federal Bureau of Investigation“ nicht.

So wurde anlässlich des Beitritts des Vatikanstaates zu INTERPOL überall auf der Welt aufmerksam notiert, wie positiv sich der damalige Direktor des FBI zur Arbeit des Gendarmeriekorps geäußert hatte. Es hat sich herumgesprochen, dass die Gendarmen des Papstes in einem Staat, der Jahr für Jahr von 20 Millionen Pilgern und Touristen aufgesucht wird, bewundernswert gute Arbeit leisten.

kath.net: Seit einigen Jahren verfügt die vatikanische Gendarmerie auch über sogenannte „Special Forces“. Sind solche Sondereinheiten überhaupt notwendig, passen sie denn zum Umfeld des Papstes?

Nersinger:
Sie sind die Antwort auf außergewöhnliche Bedrohungen, vor denen man heute nicht einmal im Vatikan sicher sein kann. Der Anblick vermummter, durch kugelsichere Westen geschützter und mit Präzisionswaffen ausgerüsteter Männer im Vatikan ist sicherlich gewöhnungsbedürftig. Aber er ist natürlich kein alltäglicher und wird hoffentlich nur selten wahrgenommen werden. Doch für Terrorakte, Attentate und Bombenfunde muss auch die Vatikanstadt und ihr Sicherheitsapparat gerüstet sein.

kath.net: Stimmt es, dass es im Verhältnis von Schweizergarde und Gendarmerie immer wieder zu Reibereien kommt?

Nersinger:
Ich habe den Eindruck, dass „Rivalitäten“ zwischen der Schweizergarde und der Gendarmerie oft bewußt hochgespielt werden. In jedem Land der Erde gibt es zwischen Sicherheitsorganen, deren Kompetenzen sich überschneiden, Rivalitäten. Sie ergeben sich aus der Natur der Sache heraus. Solche Rivalitäten können sogar zu einem gesunden Konkurrenzdenken führen – und zwar dann, wenn man miteinander um ein Höchstmaß an Sicherheit wetteifert. Natürlich darf man sich dabei nicht gegenseitig blockieren.

kath.net: „Gendarmen des Papstes“ ist als eine Darstellung der Geschichte der päpstlichen Gendarmerie und ihrer Vorgängerorganisationen angelegt. Gibt sie darüber hinaus dem Leser noch weitere Informationen?

Nersinger:
Notwendigerweise ist sie auch zu einem Streifzug durch die Kriminalgeschichte des päpstlichen Rom bis hin zum größten Kriminalfall der jüngsten Geschichte des Vatikans, der „Vatileaks-Affäre“, geworden. Ich habe mich bemüht, alle diese Fälle für den Leser ebenso informativ wie spannend aufzubereiten und hoffe, dass es mir zumindest ansatzweise gelungen ist. Ich glaube, die Arbeit der Gendarmen des Papstes lässt sich am besten an konkreten Beispielen darstellen und vermitteln.


kath.net-Buchtipp:

Ulrich Nersinger:
Die Gendarmen des Papstes. Die Polizei des Vatikans im Kampf gegen Räuber, Revolutionäre und Vatileaks,
Gebundene Ausgabe, 333 Seiten; mit zahlreichen Abbildungen
Nova & Vetera, Bonn 2013
ISBN 978-3-936741-14-8

Preis: 35.00 €
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Papst Benedikt XVI. empfing Ulrich Nersinger und Armin Schwibach - plus Titelbild der Neuerscheinung: U. Nersinger - Die Gendarmen des Papstes


Kurzvideo über die vatikanischen Sicherheitsdienste direkt vor dem Konklave - englischsprachig (Rome Reports)



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