Stampft das EKD-Papier ein!

25. Juni 2013 in Kommentar


Sogar in den säkularen Medien findet sich vernichtende Kritik an der EKD-Orientierungshilfe zum Thema "Familie" - Ein Kommentar aus evangelischer Perspektive. Von Helmut Matthies (idea)


Wetzlar (kath.net/idea) Noch nie in den letzten Jahrzehnten hat eine Stellungnahme der EKD ein so vernichtendes Urteil in den säkularen Medien und vonseiten der katholischen Kirche erhalten wie die am 19. Juni vorgestellte Orientierungshilfe zum Thema Familie: „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ (www.ekd.de). Dazu ein Kommentar von idea-Leiter Helmut Matthies.

Die Kritik zielt ins Mark: Ausgerechnet der „Kirche des Wortes“, wie sich die Evangelische nennt, wirft die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen „laxen Umgang mit der Bibel“ vor. Und auf Spiegel-Online heißt es, mit diesem Leitfaden hat sich die EKD derart verweltlicht, wie es „so noch keine der großen Religionen unternommen hat“. Eigentlich sei sie gar keine Kirche mehr, sie stehe „im Wahlkampf fest an der Seite der Grünen“. Die Tageszeitung „Die Welt“ macht sich nur noch lustig. Sie titelt: „Bis die EKD uns scheidet – Ehe und Treue werden von den Protestanten künftig eher bestaunt als gefordert“.

„Revolutionärer Kurswechsel“

Vernichtender geht es nun nicht mehr. Würde Ähnliches über ein Unternehmen, eine Partei oder einen Vereinsvorstand geurteilt, müsste die gesamte Spitze zurücktreten. Der Grund der Kritik ist ein „revolutionärer Kurswechsel“ (so die linksorientierte „Süddeutsche Zeitung“) beim bisherigen Familienbild der Kirche. Bestand es bisher in der Regel aus Vater, Mutter und Kindern, so ist jetzt die Quintessenz des Papiers „Jeder kann mit jedem Partnerschaften eingehen. Solange er oder sie es verlässlich, verbindlich und verantwortlich tut. Und jedes Paar kann scheitern. Und sich wieder trennen. Da hat die EKD viel Erfahrung gesammelt“, fasst die linksliberale „Zeit“ in ihrer Beilage „Christ & Welt“ die Orientierungshilfe zusammen und erinnert damit süffisant daran, dass gleich mehrere Spitzenfunktionäre der EKD in Trennung leben.

Die katholische Kirche argumentiert evangelisch

Besonders peinlich müsste für die EKD sein, dass die katholische Seite das Papier mit evangelischen (!) Argumenten auseinandernimmt. So bezeichnete der führende Theologieprofessor Peter Schallenberg im Domradio die Position seiner Kirche in Sachen Ehe mit den Worten: „Wir stellen uns im Grunde auf den Boden der Heiligen Schrift und halten das für normativ.“

Völlig realitätsfern

Das Hauptproblem des EKD-Papiers ist: Es macht nicht Mut zu dem einzigen Familienmodell, das Zukunft hervorbringt. Im Gegenteil: Wer überlegt, ob er heiraten soll, bekommt durch die EKD Argumente, es besser sein zu lassen. Paaren, deren Ehe sich in der Krise befindet, wird nicht vermittelt durchzuhalten. Im Gegenteil: Die „Scheidung (wird) leichtgemacht“, so die Überschrift auf Spiegel-Online. Familienfeindlicher geht es kaum noch. Und dann ist das ganze Papier auch noch völlig realitätsfern. Seit langem haben sich in Umfragen nicht so viele junge Deutsche gewünscht, eine eigene Familie zu gründen, wie gegenwärtig: 80 Prozent.

Das Bürgertum ist irritiert

Die Folgen des Papiers sind gravierend: Die katholische Kirche wird schon allein aus Selbstschutz immer mehr auf Distanz zur evangelischen Kirche gehen. Manch katholischer Bischof wird höchstens erfreut sein, dass nun sogar linke Medien ihm Argumente geliefert haben, evangelische Kirchen nicht als Kirchen anerkennen zu können. Dass die Evangelikalen bestürzt sind und noch mehr auf innere Distanz gehen, hat die EKD bislang selten gekümmert, gab es doch auch nie irgendeine Konsequenz. Doch jetzt ist auch die Mitte der Gesellschaft – das Bürgertum – über die „grüne“ Politik der EKD irritiert, wie das Medienecho zeigt. Dass man in sehr linken Kreisen ob der so tollen Liberalität der EKD klatscht, verwundert nicht, bringt aber der EKD nichts. Denn laut Umfragen wird von ihnen kaum jemand im Gottesdienst gesichtet.

Hat der EKD-Chef das Papier nicht gelesen?

Aufgrund des Desasters hat der EKD-Chef Nikolaus Schneider nun verkündet, es gebe gar keinen Kurswechsel in der Familienpolitik. Damit aber stellt er sich gegen alle (!) Stellungnahmen der katholischen Kirche, der Evangelikalen, der Medien und vor allem auch der Kommission selbst, die das Papier erarbeitet hat, denn genau sie spricht von einem „Kurswechsel“. Die einzige plausible Erklärung kann hier nur sein, dass Schneider – der im Übrigen eine vorbildliche Ehe führt – das Papier zuvor gar nicht gelesen hat.

Die einzige Möglichkeit

Was sollte jetzt getan werden? Unternimmt Schneider nichts, ist das Ansehen der Kirche auf Jahre schwer geschädigt. Er selbst wird in die EKD-Geschichte als jemand eingehen, als der er schon jetzt in viel gelesenen Blogs bezeichnet wird: als der Kirchenmann, der den christlichen Familienbegriff aufgelöst hat. Im Internet wird längst zum Kirchenaustritt aufgerufen.

Auch wenn Schneider das selbst alles natürlich nicht will: Er trägt als höchster Repräsentant für diese Orientierungshilfe die letzte Verantwortung.

Die einzige Möglichkeit ist, das Papier zurückzuziehen. Das wäre auch nicht das erste Mal. 1996 wurde das in einer Auflage von 100.000 Exemplaren gedruckte EKD-Magazin „Brücken bauen“ eingestampft, nachdem herauskam, dass der rheinische Fernsehpfarrer Jürgen Fliege in dem Heft äußerte, er würde in die EKD „keine 5 Mark investieren und sage allen Leuten: Wenn ihr austreten wollt, tretet aus, völlig in Ordnung“. Doch die Orientierungshilfe ist schlimmer als jenes Magazin, denn es geht darum, ob die evangelische Kirche überhaupt noch als Kirche betrachtet wird.

… sonst ist das Ende berechenbar

Die EKD hat in den letzten Jahrzehnten viele andere zur Buße gerufen. Jetzt könnte sie selbst einmal ein glaubwürdiges Zeichen von Umkehr zeigen, indem sie erklärt: Das Papier ist ein bedauerlicher Fehler, wir sind für Familie. Tut sie es nicht, könnte schneller eintreten als prophezeit, was der große Publizist Johannes Gross bereits 1987 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung äußerte: „Was in 100 Jahren in Europa noch an Volkskirche besteht, wird katholisch sein.“ 1987 hatte – gesamtdeutsch addiert – die EKD noch 30,5 Millionen Mitglieder. Jetzt nähert sie sich 23 Millionen, hat also 7 (!) Millionen Mitglieder in nur 25 Jahren verloren – während die katholische Kirche trotz Bevölkerungsrückgang die Protestanten im Mutterland der Reformation nicht nur überflügelte, sondern mit 24,5 Millionen relativ stabil blieb (1987: 26,3). Ohne Umkehr ist also das Ende der evangelischen Volkskirche errechenbar. Und wenn einmal über die Ursache geschrieben wird, dürfte als ein wichtiger Meilenstein das Orientierungspapier zur Familie genannt werden. Aber noch könnte der EKD-Ratsvorsitzende das Rad herumwerfen.


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