Kindererziehung: Was tatsächlich falsch läuft

6. Mai 2013 in Familie


Verbale Gewalt, Streit und Scheidung der Eltern, Abschieben in die Kinderkrippe – Ein freikirchlicher Theologe und Vater von fünf Kindern nimmt Stellung. Von Heinrich Derksen (idea)


Bonn (kath.net/idea) Ende April sorgte eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen für Aufsehen: Danach schlagen „sehr religiöse“ freikirchliche Christen ihre Kinder besonders häufig. Nun bezieht ein freikirchlicher Theologe und Pädagoge Stellung: Heinrich Derksen, Leiter des Bibelseminars Bonn. Es ist mit rund 100 Studierenden eine der größten evangelikalen Ausbildungsstätten. Es bildet Prediger und Missionare vor allem für russlanddeutsche baptistische und mennonitische Gemeinden aus. Der 43 Jahre alte Baptist ist Vater von fünf Kindern.

Der Kriminologe Prof. Christian Pfeiffer kommt als Leiter des Kriminologischen Institutes zu der Schlussfolgerung: „Je gläubiger, umso häufiger schlagen Eltern ihre Kinder.“ Das betrifft in erster Linie die freikirchlichen Eltern. Damit verstoßen sie gegen das (deutsche) Bürgerliche Gesetzbuch (BGB, Paragraf 1631, Absatz 2): „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Strafen gehören zur Erziehung dazu

Um es klar zu sagen: Auch ich bin gegen Gewalt in der Kindererziehung. Aber: Ich bin auch für eine konsequente Erziehung. Das alte Sprichwort „Wer nicht hören will, muss fühlen!“ meint nicht, dass man zuschlagen muss. Doch ebenso ist klar: Wenn ein Kind im Unterricht stört, wird es der Lehrer zurechtweisen müssen. Wenn ein Kind andere schlägt, muss der Lehrer einschreiten.

Denn es muss seine Grenzen kennenlernen – auch zum Wohl seiner Mitschüler. Wenn es erneut schlägt, muss es spätestens dann auch Konsequenzen in Form von Strafen zu spüren bekommen. Das gehört zum Erziehungsprozess. Es ist doch gerade ein pädagogisches Ziel, Kindern deutlich zu machen, dass ihr Fehlverhalten Folgen hat. Erziehende befinden sich hier in einem Spannungsfeld: Sie müssen einerseits durch Strafen dem Kind helfen, Fehlverhalten künftig zu vermeiden, und andererseits seelische Verletzungen und entwürdigende Maßnahmen unterlassen.

Die Bibel fordert nicht zur Gewalt auf

Christen sollten sich schämen, wenn sie Kinder mit Gewalt erziehen. Die Bibel fordert jedenfalls nicht zur Gewalt auf. Sie verlangt vielmehr konsequentes Erziehen zum Gehorsam mit Liebe und Geduld. Prof. Pfeiffer weist darauf hin, dass nur eine Minderheit „prügelt“. Recht hat er!

Deshalb sollte der Finger in die tatsächlichen Wunden unserer Zeit gelegt werden. Denn wenn es um den Schutz der Kinder geht, gibt es andere Problemfelder, die nachweislich größere Schäden verursachen als das Prügeln durch eine verschwindende Minderheit – sosehr auch dagegen angegangen werden muss. Dazu Beispiele:

1. Was ist mit verbaler Gewalt?

Es ist nachgewiesen, dass abwertende Äußerungen oder das Angstmachen durch die Eltern tiefere Wunden in die Seele eines Kindes reißen als eine Ohrfeige. Kinder und später junge Erwachsene stürzen dann in tiefe Depressionen, weil sie die niederträchtigen Worte der Eltern, Lehrer oder Erzieher nicht vergessen können.

Viele dieser Opfer sind heute in psychiatrischer Behandlung und unfähig, ihr Leben zu gestalten. Trotzdem bemüht sich niemand, diese Missstände in Familien, Kindergärten und Schulen aufzudecken oder gar strafrechtlich zu verfolgen.

2. Wer schützt Kinder vor dem Streit der Eltern?

Kinder leiden nachweislich seelisch und körperlich unter dem Streit der Eltern. Ein Kind liebt seine Eltern und muss oft mit ansehen, wie sie sich gegenseitig fertigmachen. Ein solches Kind leidet dann unter Schlafstörung, Angstzuständen oder Panikattacken. Es wird zum Bettnässer, kommt traumatisiert zur Schule und ist unfähig, sich am Leben zu freuen. Ich finde es gut, sich gegen körperliche Gewalt in Familien einzusetzen, aber dann bitte auch gegen Ehestreit in Gegenwart der Kinder!

3. Wenn Kinder auf dem Altar der Karriere geopfert werden

Kindesmissbrauch geschieht auch dann, wenn ein Vater keine Zeit für seinen Nachwuchs hat. Er schadet damit nachgewiesenerweise der Seele seines Kindes. In der Mannheimer Kohortenstudie (2011) wurde belegt, dass bei einem fehlenden Vater in der Kindheit ein Mensch auch 50 Jahre danach noch ein 2,5-fach erhöhtes Risiko hat, auf Dauer seelisch zu erkranken.

Fehlt ein Vater häufig, sind auch Kinder häufiger krank, leiden unter Bindungsängsten und haben Beziehungsprobleme. Trotzdem opfern immer mehr Eltern ihre Kinder auf dem Altar der beruflichen Karriere. Andere Väter sind zwar zu Hause, starren aber stumm in die Röhre oder auf den PC und haben kein Ohr für das liebesbedürftige Kind. Auch sie können eine Kinderseele massiv zerstören.

Ähnliches gilt für Mütter, die ihre schreienden Kinder in der Krippe abliefern, damit sie erfolgreich im Beruf weiterarbeiten können. Wer zieht eigentlich diese Eltern zur Verantwortung?

Wer weist Kirchen und Politik darauf hin, dass ihre ständige Forderung nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Müttern gerade nicht dem Kindeswohl entspricht?

4. Die Folgen einer Ehescheidung für die Kinder

Laut Statistik sind jährlich in Deutschland mindestens 200.000 Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Inzwischen wachsen gut ein Fünftel aller Kinder im Westen und ein Drittel im Osten nicht mehr mit beiden leiblichen Eltern auf.

Politiker reden diese Situation schön. So heißt es im Familienbericht des (deutschen) Bundesfamilienministeriums (2002), Scheidungen gäben dem Kind das „Potenzial für Stimulation und entwicklungsbezogenes Wachstum“.

Einen solchen Unsinn könnte auch der behaupten, der seine Kinder schlägt! Tatsächlich führen Scheidungen dazu, dass vor allem Jungen häufiger straffällig werden, weil sie anfällig für Drogenkonsum und Gewalt werden. Kinder aus Scheidungsfamilien fallen durch absinkende Schulleistungen auf und sind häufig stark verhaltensauffällig. Die Düsseldorfer Alleinerziehenden-Studie weist nach, dass Kinder von Alleinerziehenden einen signifikant schlechteren Gesundheitszustand haben, im Durchschnitt in schlechteren Wohnverhältnissen leben und damit ein deutlich höheres Risiko von Armut aufweisen. Auch fehlt es ihnen an Motivation für Sport und sozialem Engagement. Lehrer klagen häufig, dass sie mit Scheidungskindern in der Klasse nicht zurechtkommen.

Eine Lehrerin erzählt beispielsweise, wie sie ein weinendes Kind im Unterricht nicht trösten konnte. In der Pause spricht sie mit dem Kind. Unter Tränen erzählt es, dass es am Abend nicht einschlafen konnte, weil die Eltern so laut miteinander gestritten hätten und sich geeinigt hätten, sich scheiden zu lassen. Dabei ging es im Streit darum, wer die Tochter bekommt. Keiner wollte sie haben!

Wem das Kindeswohl am Herzen liegt, sollte nicht nur die Prügelstrafe ächten, sondern jede Ehescheidung, durch welche die Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden.

Unsere Gesellschaft lügt sich in die Tasche

Eine Gesellschaft, die zu Recht gegen das Prügeln ist, aber bei den benannten, noch viel größeren Problemen wegschaut, lügt sich selbst in die Tasche. Man bemüht sich um die Ökologie, erneuerbare Energien und kämpft gegen die globale Erderwärmung. Aber wer bekämpft die Eiszeit in Ehen und Familien? Man demonstriert gegen die Kriege in dieser Welt und für die Abrüstung. Aber wer setzt sich für den Frieden in den Familien ein? Man kämpft gegen die Luftverschmutzung und gegen Weltraummüll, aber wer sorgt sich um den seelischen Müll der tagtäglich in den Kinderherzen abgeladen wird? Es gibt eine DIN-Norm für das Schulranzengewicht von Grundschulkindern. Aber wer kümmert sich darum, welcher seelische Ballast den Kindern zu Hause und in der Gesellschaft aufgebürdet wird?

Nicht erst unsere Gesetze, sondern bereits die Bibel hat uns Christen davon überzeugt, dass wir gegen Gewalt in der Kindererziehung sein müssen, aber für eine konsequente Erziehung, die lebenstüchtig und lebensfroh macht. Die vor 2.000 Jahren entstandene Bibel wünscht eine Familie, in der Kinder glücklich und zufrieden aufwachsen können. Heutige Studien beweisen, dass die Bibel recht hat. Den Kindern wird geboten: „Ehre Vater und Mutter, damit es dir gutgeht“.

Ein Kind sollte nie den Respekt vor den Eltern verlieren. Es schadet sich sonst selbst. Und den Eltern schreibt die Bibel vor: „Erzieht eure Kinder mit der nötigen Zurechtweisung und Unterweisung, wie der Herr es tut."


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