'Dieses ständige Kreisen um die eigene Sexualität'

26. April 2013 in Interview


Kath.net-Interview mit dem Publizisten und Homosexuellen Holger Doetsch - Von Roland Noé


Köln-Linz (kath.net/rn)
Holger Doetsch ist Rhetoriktrainer, Hochschullehrer, Autor und Publizist. Nach Ausbildung und nachfolgender Tätigkeit bei der "Deutschen Bank" folgte der Wechsel in die Wirtschaftsredaktion der Koblenzer "Rhein-Zeitung". Seit 2000 ist Doetsch auch Dozent für PR (Fachgebiet: Krisen-PR), Journalismus und Internationale Medienwirtschaft; Rhetorik-Coach; Texter u. a. für die Agentur MIC GmbH in Köln tätig. Es folgten verschiedene Bücher und zahlreiche Publikationen in verschiedenen Zeitungen (Zeit, taz, Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel ua.) Und Holger Doetsch ist bekennender Homosexueller und Katholik. Kath.net führte mit ihm das folgende Interview:

kath.net: Herr Doetsch, danke für die Bereitschaft zum Interview. Sie bekennen sich öffentlich zu Ihrer Homosexualität. Die katholische Kirche aber spricht im Katechismus von homosexueller Neigung, die in sich nicht in Ordnung ist. Gleichwohl, so sagt es unsere Kirche auch, müsse man Homosexuellen mit Achtung und Taktgefühl begegnen. Sind Sie da eigentlich gerne Mitglied der Katholischen Kirche?

Doetsch: Ja! Weil ich mich im Leben nicht ständig um das Thema Sexualität drehe wie es nicht wenige Homosexuelle tun. Ich betrachte meine Kirche als Ganzes, nicht nur kritische Punkte, sondern auch die vielfältig guten Dinge, die sie leistet, zum Beispiel ihr Engagement für arme Menschen in der Welt. Im übrigen bedeutet Gott und die Katholische Kirche für mich Heimat und Zuflucht. Äußerungen hingegen von kirchlichen Würdenträgern zur Homosexualität, die so gar nichts mit “Achtung und Taktgefühl” zu tun haben, werden von mir ebenso öffentlich kritisiert wie die Tatsache, dass es keine einzige Weltreligion gibt, die derart unsachlich und unverschämt kritisiert und diffamiert wird, wie es bei der Katholischen Kirche der Fall ist.

Mein klares “Ja!” auf Ihre Frage resultiert übrigens auch daraus, dass ich an die “ecclesia semper reformanda” fest glaube. Wir sind Mitglied in einer Kirche, die eine immer zu erneuernde Kirche ist und bleiben wird.

kath.net: Sie gelten als Kritiker der Homosexuellenszene. Was genau kritisieren Sie?

Doetsch: Dieses ständige Kreisen um die eigene Sexualität. Homosexualität ist doch kein Alleinstellungsmerkmal. Selbst der “Christopher Street Day” (CSD) ist im Kern keine politische Demonstration mehr, sondern ein buntes Besäufnis mit Zügen des Karneval. Und dann ständig dieses abgelutschte Toleranz- und Akzeptanzgefasel. So manche, die da tanzen, sollten sich mal an die eigene Nase fassen, etwa junge Homosexuelle, die ältere Homosexuelle diskriminieren. Mich nerven auch diese Fundamentalkritiker, die nur das an sich heranlassen, was ihnen in ihren Kram passt - ich habe das alles in meinem Essay “Es ist was faul in der Community” zusammengefasst. Man findet den Beitrag im Netz. Hinzu kommt, dass ich eine verbale Radikalisierung in der homosexuellen Szene feststelle. Da wird in der Ablehnung von Kirche oder CDU/CSU nicht mehr abgewogen argumentiert, sondern da wird die Keule geschwungen und kübelweise Mist ausgekippt. Manchmal frage ich mich wirklich: Ist es so schwer, sich gegenseitig Respekt entgegenzubringen? Wir leben doch nicht mehr im Steinzeitalter...

kath.net: Sie bezeichnen sich als “Nonkonformist”...

Doetsch: Ja, und darauf bin ich auch ziemlich stolz. Ich kenne etwa in meiner journalistischen Tätigkeit weder rechts noch links. Ich kritisiere die Homopolitik von CDU/CSU genauso wie die aktuelle Entscheidung des Berliner CSD, die CDU nicht zuzulassen. Ich kritisiere auch meine Kirche, dies öffentlich und in privaten Gesprächen. Ich erinnere mich gerne an wunderbare Streitgespräche mit dem verstorbenen Kardinal Sterzinsky, dem ich mal einen fünfseitigen Brief geschrieben habe mit Punkten, wo in meinen Augen die Kirche in Sachen “Missbrauch” vollkommen daneben liegt und hanebüchene Fehler macht. Benedikt XVI. hat übrigens einmal gesagt, ein Christ müsse ein Nonkonformist sein. In diesem Sinne versuche ich, mich jeglichem Zeitgeistgeplappere zu entziehen. Glauben Sie mir: Ich knie nur vor Gott. Und wer meint, mich trotzdem in bestimmte Schubladen stecken zu müssen, dem fallen diese Schubladen auf die Füße.

kath.net: Als Außenstehender bekommt man vom homosexuellen Leben im wesentlichen folgendes mit: Hedonistische Paraden, neurotische Persönlichkeiten mit ausgeprägtem Ego und eine ungeheure Aggressivität, wenn man nicht ihre Forderungen teilt. Was sagen Sie?

Doetsch: Als Außenstehender, wie Sie es nennen, nimmt man bei der Betrachtung homosexuellen Lebens in der Tat im Wesentlichen nur all die Rosa von Praunheims dieser Welt zur Kenntnis. Das sind halt die Typen, die die Medien lieben. Und nicht wenige Heterosexuelle gelangen so zu der Überzeugung, alle Homosexuellen seien so. Ich behaupte, 90 Prozent der Homosexuellen sind eben nicht so. Sie sind nicht schrill, sie sind nicht hedonistisch, sie sind dabei auch alles andere als langweilig und ihr Ego kommt nicht auf bunten Parties zum Vorschein, sondern in der Ausübung ihres Berufs oder in einem ehrenamtlichen Engagement. Die meisten Homosexuellen, die ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis habe, leben fast wie Heterosexuelle, und sie tragen beim Kochen auch keine Rüschenschürze, wie es die Werbung mal suggeriert hat, und sind sich und ihrem Partner treu.

kath.net: Sie setzen sich in Ihren Beiträgen, Aufsätzen und Reden immer auch für die Toleranz zwischen der Kirche und der Homosexuellenbewegung ein. Halten Sie diesen Wunsch für realistisch?

Doetsch: Das ist kein Wunsch, das ist eine Aufforderung, die sich an beide richtet. Kirche und Homosexuelle. Und natürlich halte ich diesen Wunsch für realistisch. Schauen Sie sich den Kardinal von Berlin, Rainer Maria Woelki, an. Ein ausgezeichneter Kirchenmann, den ich mehr und mehr bewundere. Er ist wahrhaft tolerant, empathisch, ein Menschenfreund. Aber kaum war der Name des Nachfolgers von Kardinal Sterzinsky bekannt, schrie die Homoszene auf. Man könnte diesen Aufschrei so zusammenfassen: Der Woelki kommt aus Köln und dem Umfeld von Kardinal Meisner, also muss er ein Homohasser sein! Kaum aber war Rainer Maria Woelki in Berlin angekommen, traf er sich mit Vertreterinnen und Vertretern des Lesben- und Schwulenverbandes. Die waren nach dem Gespräch - Zitat - “beeindruckt”, und seither ist Ruhe im Stall. Das Beispiel zeigt: Wir müssen uns gegenseitig zuhören und annehmen! Hierzu gehören ein angemessener Ton in der Auseinandersetzung und, um es zu wiederholen, gegenseitiger Respekt. In diesem Zusammenhang will ich, dass die katholische Kirche endlich begreift, dass Homosexualität eben nicht “contra naturam” ist. Es ist für die Homosexuellen natürlich, so zu sein, wie sie sind. Wir sind, wie wir sind. Und viele, sehr viele sind sich auch der Verantwortung bewusst, die das mit sich bringt, dem Partner etwa gegenüber.

kath.net: Einige Homosexuelle attackieren Sie seit geraumer Zeit, weil Sie einmal den katholischen Publizisten Martin Lohmann als Dozent an die Kölner Hochschule “Macromedia” geholt haben. Vor kurzem ist er dort rausgeworfen worden wegen Äußerungen, die er in Talkshows getätigt hat. Sie sind weiterhin mit Lohmann befreundet, was Ihnen in Diskussionen auf Homo-Websites Hohn und Spott eingebracht hat. Wie gehen Sie damit um?

Doetsch: Ich hatte als “Leiter Hochschulmedien” Martin Lohmann 2005 oder 2006 gebeten, in einer Jury zu sitzen, die eine Kampagne meiner Studenten bewerten sollte. Thema: “Welche Maßnahmen sollte die Katholische Kirche ergreifen, um den Mitgliederschwund einzudämmen beziehungsweise wie kann die Katholische Kirche für junge Menschen interessanter werden?” Diese Kampagne sollte dann von den Studenten vor der Bischofskonferenz präsentiert werden. Die jungen Leute, von 19 Kursteilnehmern war übrigens nur einer katholisch, haben derart frische Ideen gehabt, dass es eine helle Freude für uns alle war, auch für das weitere Jurymitglied Kopp, der heute Sprecher der Bischofskonferenz ist. Martin Lohmann hat dann einen Lehrauftrag erhalten, er war ein ausgezeichneter Dozent, die Studenten mochten ihn. “Macromedia” hat Lohmann nun den Stuhl vor die Tür gesetzt, weil man dessen angeblich intoleranten Aussagen bei “Jauch & Co” als ach so tolerante Hochschule nicht dulden könnte. Ich vermag diese Entscheidung nicht nachzuvollziehen.

kath.net: Fanden Sie denn Martin Lohmanns Aussagen auch intolerant?

Doetsch: Ich habe Martin Lohmanns Auftritte beziehungsweise manche Aussagen in diversen Kommentaren öffentlich kritisiert. Und ich habe das auch bei unseren persönlichen Begegnungen getan. Die kritische Begleitung eines Freundes gehört zur Freundschaft. Und das Bekenntnis. Man muß zu einem Freund gerade dann stehen, wenn es um diesen Freund herum brodelt und zischt. Im übrigen halte ich es bei meinen Freunden insgesamt so, wie ich es mit der Katholischen Kirche und mit allem halte: Ich betrachte nicht nur einzelne Aspekte, sondern ich betrachte das Ganze, versuche den Anderen dabei zu verstehen und ihn als Menschen anzunehmen. Johannes Paul II. hat in seiner Antrittsenzyklica “Redemptor hominis” etwas sehr Schönes formuliert: “Der Mensch ist der Weg der Kirche”. Und wenn ich mir den Menschen Martin Lohmann als Ganzes anschaue, dann ist klar, warum ich mich über diese Freundschaft immer wieder freue und mich auch hier dazu bekenne. Auch wenn das dem einen oder anderen Schwulen den Schaum vor den Mund treibt.

kath.net: Diese Freundschaft hat sie in etwas getrieben, das man heutzutage “Shitstorm” nennt. Wie kam es dazu?

Doetsch: Der Buchautor David Berger, einst Theologe, heute Chefredakteur eines Schwulenmagazins, hat in einem Beitrag gefordert, man dürfe “Homohasser” nicht mehr in die Talkshows einladen. Was für ein Rechtsverständnis hat der Mann denn? Und was soll denn eigentlich ein “Homohasser” sein? Wer entscheidet, wo die Grenze zwischen harter Kritik und Hass gezogen wird? Hinzu kommt, dass ich überhaupt keine Hasser in Talkshows sehen möchte, was ich dann auch in einem Blog, in dem sich Homosexuelle über die Berger-Forderung austauschten, geschrieben habe. Fortan hatten die Diskutanten ihr Feindbild gefunden, Doetsch, den “Lohmann-Freund”, den “Schuft”, den “Verräter”... Das schlimme an einem “Shitstorm” ist: Der Mob tobt derart laut und setzt dabei massiv Gerüchte und Halbwahrheiten, die ja auch Lügen sind, in die Welt. Die Hetzer entwerfen öffentlich, also für jedermann und jederfrau sichtbar, eine Persönlichkeit, die ihnen in den Kram passt, die es in Wirklichkeit aber nicht gibt. Der Mensch verschwindet in einem solchen “Shitstorm” und eine Persönlichkeit wird manifestiert, die es so nicht gibt, und zwar von Leuten, die einen gar nicht kennen. Im Netz schimpfen, spucken, treten und diffamieren Leute unter einem Decknamen, und beides, die Diffamierung und die Anonymität, finde ich ziemlich widerlich. Vielleicht sollte ich mal ein Sachbuch schreiben.

kath.net: Mit welchem Titel?

Doetsch: Wie man mit Fundamentalisten diskutiert ohne dabei den Verstand zu verlieren.

kath.net: Wie hat sich das der “Shitstorm” dann weiter entwickelt?

Doetsch: Wissen Sie, ich bin ja manchmal auch nicht zimperlich in meiner Wortwahl, aber ich wurde auf eine Art und Weise beschimpft und heruntergesetzt, dass mir zeitweise die Spucke wegblieb. Das ist mir ja nicht unbekannt, ich polarisiere ja auch, aber diese Form der Respektlosigkeit war mir vollkommen neu. Normalerweise halte ich es mit Leuten, die ihren Verstand an einem Internetportal abgegeben haben, mit Nietzsche. Ich setze Mildherzigkeit gegen wunderliche Menschen. Wenn aber Leute schreiben, sie hätten Fotos von mir im Netz gefunden und diese ausgedruckt, damit sie mich auch ja erkennen, wenn sie mich auf der Straße sehen, dann ist das im wesentlichen eines: Mobbing. Denn wer mobbt, bedroht den Gemobbten “filigran”. Die Waffe des Mobbers ist bildlich gesehen das Florett, nicht das Schwert oder die Axt ...

kath.net: Sie haben also Hass verspürt?

Doetsch: Ja, und das in einem Blog, der sich ja auf David Bergers Forderung bezog, man dürfe “Homo-Hasser” nicht in die Talkshows einladen. Das ist doch absurd. Und Herr Berger wird all das gelesen haben. Warum ist er nicht eingeschritten? Warum rief er nicht zur Sachlichkeit auf? Wie also kann ein Mann so lange in verantwortlicher Position in unserer Kirche gewirkt haben, und jetzt so einen Hass zulassen? Woraus für mich die entscheidende Frage folgt: Was hat dieser Mensch eigentlich während seines theologischen Wirkens verinnerlicht beziehunsweise welche Werte hatte er entwickelt? Die einzige Reaktion Bergers fand übrigens auf seiner Facebook-Seite statt, als eine Frau sich bei ihm beschwerte über seinen Beitrag und er sie daraufhin aufforderte, sie solle doch bitteschön zu einem Arzt gehen.

kath.net: Hassen Sie David Berger?

Doetsch: Nein. Wer Hass verspürt gegen eine bestimmte Person, gibt damit auch zu, dass diese Person einen hohen Stellenwert in seinem Leben hat, einen breiten Raum einnimmt. In diesem Falle natürlich im negativen Sinne. Das ist bei mir mit Blick auf Herrn Berger nicht der Fall, denn dazu ist mir Herr Berger schlichtweg zu unwichtig.

kath.net: Hasst denn David Berger?

Doetsch: Das weiß ich nicht. Das müssen Sie ihn fragen. Doch tut er alles, dass man das denken muss. Sollte er wirklich hassen, dann tut er das lächelnd und überaus charmant. Dann aber wäre er einer der Schlimmsten.

kath.net: Herzlichen Dank für das Interview

Was sagt die katholische Kirche zur Homosexualität - ein Blick in den Katechismus und weitere Hintergründe bei Kathpedia:

2357 „Homosexuell sind Beziehungen von Männern oder Frauen, die sich in geschlechtlicher Hinsicht ausschließlich oder vorwiegend zu Menschen gleichen Geschlechtes hingezogen fühlen. Homosexualität tritt in verschiedenen Zeiten und Kulturen in sehr wechselhaften Formen auf. Ihre psychische Entstehung ist noch weitgehend ungeklärt. Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, ‚dass die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind’ (CDF, Erkl. ‚Persona humana’ 8). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.“

2358 „Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen haben tief sitzende homosexuelle Tendenzen. Diese Neigung, die objektiv ungeordnet ist, stellt für die meisten von ihnen eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitgefühl und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Verfasstheit erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen.“

2359 „Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft –, durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern.“




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