Der chinesische Papst

11. März 2013 in Aktuelles


Die Sprengkraft, die jeder Papstwahl innewohnt - Man stelle sich einmal vor, dass am Ende dieser Woche ein Mann aus "einem fernen Land" an die Loggia von Sankt Peter treten würde. Von Paul Badde (Die Welt)


Vatikan (kath.net/Die Welt) Im vorletzten Konklave begründete die Entscheidung der „Herren Kardinäle“ für Karol Wojtyła den Beginn eines polnisch-deutschen Doppelpontifikats. 16. Oktober 1978. Krakau tobte, der Kreml zitterte. Danach haben Johannes Paul II. und Benedikt XVI. dem Amt auf dem „Lehrstuhl des Leidens“ ein Gewicht der Aufmerksamkeit verschaffen, das es noch nie zuvor hatte. Es war eine globale Weichenstellung, wie wir sie auch in den nächsten Tagen erwarten dürfen. Etwa mit der Wahl Péter Erdős aus Budapest, der fließend Russisch spricht. Oder eines Afrikaners, der nach dem revolutionären Intellektuellen Joseph Ratzinger die Welt des Westens neu darüber aufklären würde, was „konservativ“ wirklich heißt. Oder mit Dominik Duca aus Prag oder John Tong Hon aus Hongkong, die vor einem Jahr zu Kardinälen erhoben wurden.

Doch neue Päpste treten immer als Überraschungskandidaten durch den Vorhang aus weißem Rauch, der aus dem Kamin der Sixtina in den römischen Himmel verweht, an die Öffentlichkeit. Unter Michelangelos Weltgericht werden sie im demokratischsten Verfahren der Welt ermittelt, von einem Kollegium erfahrener alter Männer, das seinesgleichen nirgends hat. Keiner kann über das Ergebnis im Voraus verfügen. Jeder neue Papst kommt als „shooting star“, urplötzlich, und nicht nach einer langen Kampagne auf den Heiligen Stuhl.

Spielen wir deshalb hier noch einmal kurz mit dem Gedanken, der Neue wäre ein Chinese, um die Sprengkraft zu skizzieren, die jeder Papstwahl innewohnt. Neben muslimischen Ländern wie Saudi-Arabien ist China derzeit das unchristlichste Land, das sich denken lässt. Es ist ein ideologisch verwüsteter Planet, auf dem der Markt die absolute Herrschaft an sich gerissen hat. Sklaverei ist weit verbreitet, mit akutem Frauenmangel als mörderische Konsequenz von Pekings Ein-Kind-Politik. Die ersten Opfer dieser Politik sind ungeborene Mädchen. Chinesen wollen Söhne, wenn sie schon nur ein Kind haben dürfen. An Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen wurden sie seit Jahrzehnten gewöhnt. Der explodierende Verkehr, der Durst nach Öl, Energie und Waffentechnik vom Weltmarkt und die aggressive Umweltzerstörung haben Folgen für die ganze Welt. Vor den Heeren der chinesischen Billigstarbeiter und Lohndrücker zerbröselt die Architektur der sozialen Marktwirtschaft Europas zu Staub. Die Partei, die seit 1949 zur alles beherrschenden Kraft des Staates geworden ist und all dies regiert, ist streng atheistisch.

Dennoch haben sich Chinas Katholiken unter den Kommunisten vervierfacht. Mit rund 14 Millionen stellen sie knapp ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Doch sie formen die am schnellsten wachsende Kirche der Welt. Pro Jahr werden etwa 100.000 Menschen katholisch. Allein zu Ostern 2012 wurden hier 22.000 Menschen getauft, drei Viertel unter ihnen als Erwachsene. Schon seit der „Kulturrevolution“ verzeichnen Priesterseminare und Ordenshäuser regen Zulauf. Darüber ist in den letzten Jahren auch die Grenze zwischen der Untergrundkirche und der offiziellen „patriotischen“ Kirche immer fließender geworden. Der Partei wird bei diesem Prozess immer unheimlicher zu Mute.

Denn zu den spirituellen Motiven kommt in China für die Welle der Konversionen eine zweite Erkenntnis. „What makes the west tick?“ ist eine chinesische Preisfrage von Industriekapitänen bis zu Intellektuellen. Diese Frage beantworten inzwischen immer mehr von ihnen mit der Erkenntnis, dass das Christentum dem Westen im Kern zu seiner unvergleichlichen Erfolgsgeschichte verholfen hat. Die ideologischen Konstrukte des 19. Jahrhunderts haben nach ihrer mörderischen Spur durch die Geschichte jedenfalls allesamt ihre Kraft verloren. Die Folgen dieses Menschheitsexperiments stehen den chinesischen Eliten ebenso vor Augen wie den Heeren der Funktionäre. Alle haben sie deshalb höchst aufmerksam das chinesische (!) Lehrschreiben Benedikt XVI. gelesen, in dem er sich am Pfingstsonntag 2007 an alle Katholiken Chinas wandte. „Hab keine Angst, du kleine Herde“, schrieb er ihnen da: „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt.“

Und nun stellen wir uns einmal vor, dass am Ende dieser Woche kein Ungar, Afrikaner oder Kanadier an die Loggia von Sankt Peter treten würde, sondern wirklich ein Mann aus „einem fernen Land“, wie Karol Wojtyła 1978 sagte. Im noch ferneren „Land der Mitte“ aber würden nach der Wahl eines Chinesen viele Dämme brechen. Über eine Milliarde Menschen würde fragen: „Was ist das, ein Papst?“ Sie würden die Nachbarn bestürmen und die Suchmaschinen des Internets befragen. Die Partei würde erzittern wie ein tönerner Koloss. Das Erdbeben würde die Funktionäre erbleichen lassen wie die Sowjets im Kreml bei der Wahl des Polen. Die Entscheidung in der Sixtinischen Kapelle würde die Gewichte der Erde mit einem Glockenschlag neu verteilen und justieren. Millionen Chinesen würden der Kirche die Türe einrennen, schon am ersten Tag nach der Wahl - wie nach der Konstantinischen Wende in Rom im Jahr 313 oder in der rasend schnellen Bekehrung der Azteken Mexikos im Jahr 1531. Eine Christianisierung Chinas wäre in der Weltgeschichte nicht die erste Konversion einer ganzen Nation.

Der Kampf der Kulturen bekäme eine ungeahnte Wendung, auch der Konflikt mit der Islamischen Welt. Amerika bekäme ein moralisches Gegengewicht; im Ende der Alleinherrschaft Washingtons. Die Wahl der alten Männer in Purpurrot würde ein neues Kapitel der Geschichte aufschlagen. Auch die Kirche Europas würde sich selbst neu sehen lernen, wenn sie plötzlich einen Mann aus einer verfolgten Minderheitenkirche über sich sähe, in der das Knien, Schweigen und Händefalten, die Andacht und Ehrfurcht vor dem Heiligen noch Selbstverständlichkeiten sind. Europa würde sich die Augen reiben, wenn das kostbarste Amt plötzlich von ihm genommen und weiter gegeben würde, das hier in den letzten tausend Jahren wie ein selbstverständlicher Erbhof beansprucht und verspottet wurde: die Nachfolge Petri!

Roms Kaiser Konstantin stand am Beginn des christlichen Abendlandes. Nicht der Kaiser von China, sondern ein chinesischer Papst würde das Zeitalter eines christlichen Morgenlandes einleiten. So kommt es in der kommenden Woche wohl noch nicht. Doch wer weiß? Das Potential eines Konklaves ist immer gewaltig. Und eines Tages wird er sicher kommen: der chinesische Papst! Johannes Paul II. hat ihn schon vor 20 Jahren prophetisch erblickt und gewusst: „Das dritte Jahrtausend wird das Jahrtausend Asiens für die Kirche“.


Foto: Noch sind die neuen Schuhe des Papstes leer. © Rome Reports/Screenshot


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