Ein italienischer Kunstkenner – der nächste Papst?

7. März 2013 in Aktuelles


Benedikt XVI. hat die letzten geistlichen Betrachtungen seines Pontifikats Kardinal Ravasi anvertraut. Dem Kultusminister des Vatikans wird so eine seltene Ehre zuteil. Er ist ein Nachfolgekandidat. Von Paul Badde (Die Welt)


Vatikan (kath.net/Die Welt) Als Johannes Paul II. im Jahr 2000 einen Priester suchte, der in dem Jubeljahr die Exerzitien der Buß- und Fastenzeit für die Kurie leiten sollte, wählte er François Xavier Nguyen Van Thuân, den ehemaligen Erzbischof von Saigon, für die Aufgabe aus und bat ihn, über die Hoffnung zu sprechen - nachdem der Mann für seinen Glauben 13 Jahre in den Kerkern des Vietcongs gesessen hatte, davon neun Jahre in Einzelhaft.

Als Van Thuân am 16. September 2002 starb, beweinte der Papst den Kardinal aus Vietnam im Petersdom wie einen Bruder. Van Thuân hatte schon zu Lebzeiten die Aura eines Heiligen – und er hatte alles, um den seligen Johannes Paul II. als Nachfolger zu beerben.

Das lässt sich von Gianfranco Kardinal Ravasi (70) aus der Lombardei noch nicht sagen, obwohl Papst Benedikt XVI. auch ihm schon vieles anvertraut hat.

Ravasi ist Kultusminister des Vatikans, und er ist der Priester, der in diesem Jahr vor der Kurie die Fastenexerzitien leiten soll, zum letzten Mal im Pontifikat Benedikts XVI. Auch das Thema hat ihm der Papst wieder selbst vorgegeben. Ravasi soll eine Woche lang über das "Antlitz Gottes" sprechen.

Die Exerzitien haben am Montag begonnen; das war in Italien der Festtag des seligen Guido di Pietro aus Fiesole (1386–1455), der in der Kunstgeschichte besser unter seinem Namen Fra Angelico bekannt ist. Denn der "engelgleiche" Mönch und Maler an der Schwelle zur Renaissance hat in seinem spektakulären Werk nicht nur wundervolle Heiligen- und Engelbilder, sondern auch einige der schönsten Christusporträts überhaupt hinterlassen.

"Gesicht Gottes" als Siegel des Pontifikats

Doch auch das schönste Meisterwerk Fra Angelicos war nur eine Kopie des Originals vom "wahren" Porträt Christi, vor dem Benedikt XVI. am 1. September 2006 als erster Papst nach 479 Jahren wieder die Knie gebeugt hat, als er nach Manoppello in die Abruzzen zu einem rätselhaften Schleierbild gepilgert kam, das über 800 Jahre lang der Schatz der Päpste Roms gewesen war. Nur im Gebet und Schweigen holte er die "Vera Ikon" an dem Tag wieder in die Kirche und die Geschichte zurück.

Spätestens seit diesem Tag ist die Rede Benedikts XVI. vom "Gesicht Gottes" zum Siegel seines Pontifikats geworden. In den letzten sieben Jahren hat er nicht aufgehört, das "Antlitz Gottes" quasi als Alleinstellungsmerkmal der Christenheit zu preisen und freizulegen. In seiner Predigt zum Beginn des Jahres 2013 am 1. Januar hat er es 16 Mal erwähnt, in seiner Generalaudienz am 16. Januar nahm er den Begriff 25 Mal in den Mund.

Jetzt hat er dem "Gesicht Gottes" die letzten geistlichen Betrachtungen seines Pontifikats gewidmet und dieses Herzensthema Kardinal Ravasi anvertraut, dessen Meditationen am Montag vor der Kurie in der Cappella Redemptoris Mater im Vatikan mit den Worten begannen: "Welches ist das erste Antlitz, mit dem Gott sich zeigt? Die erste Offenbarung Gottes liegt im Wort. Gott sagte: ,Es werde Licht', und es wurde Licht. Die Schöpfung ist ein hörbarer Akt, ein Wort. Es ist eine menschliche Realität, extrem fragil."

Einzigartige Bewährungsprobe für Ravasi

Bis zum Samstag noch wird der hochgebildete Kunstkenner und Kardinal das Ohr und Herz des Papstes und vieler Kardinäle in Rom besitzen. Bis dahin kommt im Vatikan nicht alle, aber doch die meiste Arbeit zum Erliegen. Es ist eine einzigartige Bewährungsprobe für den weltgewandten Priester, der seit Jahren wie kaum ein anderer im Vatikan den Kontakt zu Künstlern und Intellektuellen aus aller Welt sucht.

Im Herbst 2009 lud er über 250 von ihnen zu einem außerordentlichen Treffen mit dem Papst in die Sixtina ein, wo er bald zu den 117 gehören wird, die den Nachfolger Benedikts XVI. wählen werden, obwohl der alte Papst dann immer noch lebt. Und im Vatikan rätseln in diesen Tagen viele, was es bedeuten mag, dass der Papst, der kaum je einen unbedachten Schritt unternommen hat, Gianfranco Ravasi nun das Privileg der letzten Exerzitien anvertraut hat. Ob er will oder nicht, der Norditaliener wird vielen Kardinälen bei dieser Gelegenheit auch sein eigenes Herz zur Prüfung offenlegen.

Der Theologe ist Mitglied der Bibelkommission und beherrscht ein Dutzend an antiken und modernen Sprachen. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Er war langjähriger Kommentator der Lesungen zum Sonntag im italienischen Fernsehen. Er ist Präsident für die reichen Kulturgüter der katholischen Kirche und der Kommission für christliche Archäologie.

Schon 2007 verfasste er für Benedikt XVI. die Meditationen für den Kreuzweg am Kolosseum, der ihn auch selbst in Sankt Peter zum Bischof geweiht hat. An Ehrungen und Auszeichnungen fehlt es ihm nicht. In den Exerzitien wird er vielen Anwesenden auch zeigen, was die Weltkirche an den Italienern hat – und in den Überlegungen bestärken, ob sie noch einmal einen von ihnen als Nachfolger des Papstes aus Deutschland auf dem Stuhl Petri sehen wollen.

kathTube-Kurzvideo: Cardinal Gianfranco Ravasi, biblical scholar passionate about culture and dialogue (Rome Reports)


Foto Kardinal Ravasi: (c) Catholic News Agency


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