Baustelle Vatikan

1. März 2013 in Aktuelles


Unter dem Fenster des Papstes sind große Teile der Kolonnaden seit vielen Wochen eingerüstet und zu Reinigungsarbeiten verdeckt. In diesen Tagen ist kein Bild sprechender. Von Paul Badde (Die Welt)


Vatikan (kath.net/Die Welt) Die Polen waren Papst. Das weiß die ganze Welt, besonders die Russen. Als Karol Woityla die Augen schloss, gab es schon über zehn Jahre die Sowjetunion nicht mehr. Benedikt XVI. war Papst. Wir leider nie. Unsere schönste Schlagzeile war nichts als eine Schnapsidee und das springt auch am letzten Arbeitstag des Oberhirten aus Marktl am Inn auf dem Petersplatz in die Augen und Ohren. „Moje gratulacje! Herzlichen Glückwunsch!“ sagen die polnischen Pilger hier noch einmal, „complimenti!“ die Italiener, „respect!“ die Amerikaner, viele mit Tränen in die Augen, als sie hören, dass wir Landsleute Benedikts sind, der sich heute vom Gipfel der Weltkirche ins Schweigen verabschiedet. Manche verbeugen sich, andere greifen nach der Hand. Franzosen, Spanier, Chinesen stehen immer noch fassungslos unter dem berühmtesten Fenster der Welt, in dem schon die Vorhänge zugezogen sind.

Deutsche aber sind auch an diesem historischen Tag eine winzige Minderheit um den Obelisken und zwischen den Kolonnaden-Armen Berninis, wie gestern schon, als der Applaus der Bayern hier deutlich vernehmlicher ausfiel als der Jubel der Preußen, von dem der Amerikaner, Spanier, der Filipinos oder gar der Brasilianer gar nicht zu reden. „Gott mit dir, du Land der Bayern!“

Doch heiterer als jetzt kann ein Tag kaum sein. Diesmal scheint der Frühling wirklich schon im Februar anzufangen. Vor den Sicherheitsschleusen stauen sich die Besucherschlangen wie üblich zum Petersdom. Die vatikanischen Ordnungsdienste bauen die Holzeinzäunungen wieder ab, mit denen gestern die Massen noch verteilt und gelenkt wurden. Die Stühle werden gestapelt, zusammengestellt und von kleinen Traktoren abgeschleppt.

Merkwürdige Aufregung hat viele Besucher überfallen, die noch etwas zu suchen scheinen, was nicht mehr da und nicht mehr festzuhalten ist. Die hohen Dächer vor dem Petersplatz sind an Sender aus der ganzen Welt verkauft, bis hinauf zum Gianicolo-Hügel, wo gleißend helle Scheinwerfer aus den Übertragungszelten am helllichten Tag die Aufregung verstärken, die sich um das Jahrhundertereignis anschmiegt: ein Papst zieht sich vom Gipfel der katholischen Kirche auf einen Hügel des Gebets zurück.

Vor der Gitterabsperrung zum Petersplatz stehen Carabinieri mit Degen, in roten Paradeuniformen, obwohl Italien von dem friedlichen Umsturz doch gar nicht betroffen ist. Kameraleute laufen hin und her, kaum ein Tourist ist vor einem der vielen Mikrophone sicher, mit denen hier „Originalstimmen“ zur Lage und dem Zustand der katholischen Kirche eingefangen werden.

Viele Kardinäle können ihre Bestürzung immer noch nicht verbergen, doch schweigen beharrlich. Einige stehen bis jetzt unter Schock.

Doch jetzt kommen – wie zum Sterben Johannes Paul II. - plötzlich Jugendliche aus allen Nationen und setzen sich um den Obelisken zum Gebet des Rosenkranzes auf das Pflaster. Es werden immer mehr. Unter dem Fenster des Papstes sind große Teile der Kolonnaden seit vielen Wochen eingerüstet und zu Reinigungsarbeiten verdeckt. In diesen Tagen ist kein Bild sprechender: Baustelle Vatikan.

Erzbischof Gänswein, der Sekretär des Papstes, hat am Abend zuvor seine letzten Sachen gepackt, ging noch einmal zum Gebet vor den Tabernakel in die Kapelle und löschte danach das Licht.

An diesem Morgen aber – während fast so viele Journalisten wie Touristen und Pilger über den Petersplatz irren – ist er lachend wie immer dabei, als sich der Papst von den schon nach Rom angereisten Kardinälen und anderen Klerikern der Kurie verabschiedet, die sich auf den lachsrosa bezogenen Samtstühlen in der Sala Clementina versammelt haben. Der barocke Prachtsaal ist eine Drehscheibe historischer Ereignisse, jetzt ist er ein Ort der Wehmut. Bevor der Papst das Wort ergreift, bedankt sich der Kardinaldekan Angelo Sodano im Namen aller beim Pontifex und ruft Worte aus der Apokalypse zum Ende aller Geschichte und der Ankunft eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ in Erinnerung. An seiner Seite hätten sie in den letzten acht Jahren die Erfahrung der Jünger von Emmaus wiederholt, die auf dem Rückweg nach Jerusalem riefen: „Brannte nicht das Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und die Schrift auslegte?“ Dann legt der nüchterne Piemontese das Blatt weg und bedankt sich bei Benedikt XVI. nur noch mit einem deutschen „Vergelt’s Gott!“

Es ist 12.07 und ab jetzt könnte man die Uhr ticken hören bis zum Ende des Pontifikats in weniger als acht Stunden. Der Papst hat wieder die purpurrote Mozetta angelegt, ein letztes Mal, und trägt noch die Stola und den Fischerring. Er hat dem Kardinaldekan gelauscht, bedankt sich und greift das Wort der erregten Jünger von Emmaus nach den Tagen der Kreuzigung und Auferstehung Christi auf den Straßen vor Jerusalem noch einmal auf. Ja, so sei es auch ihm gegangen in diesen letzten acht Jahren, in „wunderschönen und lichten Momenten der Kirche“ und in „Momenten, in denen sich einige Wolken am Himmel zeigten“. Jetzt aber sei vor allem die Zeit des Dankes gekommen, in der er allen ein Wort Romano Guardinis hinterlassen wolle, das ihm besonders teuer sei. „Die Kirche ist keine erfundene Institution, die am Tisch erschaffen wurde, sondern eine lebendige Realität. Sie lebt entlang dem Lauf der Zeit auf die Zukunft gerichtet, wie jedes Lebewesen, und verändert sich. Und doch bleibt sie immer dieselbe. Ihr Herz ist Christus.“ Und wäre dies nicht eine Erfahrung, die gestern mit ihm alle zusammen auf dem Petersplatz gemacht hätten: dass die Kirche in der Welt sei, aber nicht von der Welt!

Dann kommt er zum Schluss, bittet um das Gebet für den Heiligen Geist im Konklave, verspricht dem „neuen Papst“ vor diesen Zeugen wie ein Mönch schon jetzt „bedingungslose Ehrerbietung und bedingungslosen Gehorsam“ und segnet alle ein letztes Mal, die dann alle ein letztes Mal zum Abschied vor ihn hintreten.

Zum letzten Mal bekommt er stehenden Applaus, bevor alle einzeln vor ihn treten und sich per Hand von ihm verabschieden, in einer enden wollenden Prozession, aus aller Welt. Er umfängt die Hände mit beiden Händen, streichelt den einen, lauscht dem anderen, hebt die Augenbrauen ein letztes Mal, lächelt, umarmt. Louis Antonio Tagle, der junge Kardinal von Manila, flüstert ihm etwas ins Ohr und lacht laut auf, andere fangen Minidebatten an, Kardinal Sardi lächelt ihn zu einigen letzten Erklärungen an und er lächelt zurück, Kardinal Schönborn bringt ihm zwei Bücher mit. Er kennt sie alle wie kein anderer, die ihn noch einmal umarmen kommen: Silvestrini, Scherer, Ranjith, Dolan, Pell – ein Kollegium aus allen vier Enden der Erde.

Noch ein letztes Foto mit seinen Mitarbeitern, dann reicht Georg Gänswein ihm den Stock, mit dem er um 12.07 die Sala Clementina verlässt. Die Türen schließen sich. Der Hubschrauber steht vollgetankt im Garten. Auf dem Petersplatz haben sich die Beter dramatisch vermehrt. Zu einem letzten Atemholen für ein letztes Adieu – bevor der „einfache Arbeiter“, als der sich Benedikt XVI. hier vor acht Jahren vorstellte, nun noch höher in den Weinberg steigt.

Papst Benedikt verabschiedet sich von den Kardinälen - 28.2.2013 Amtsrücktritt


Foto: (c) kath.net


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