'Religionsfreiheit ist Menschenrecht'

11. Jänner 2013 in Interview


Der Leiter von Open Doors Deutschland über Christenverfolgung. Von Christoph Schmidt (KNA)


Kelkheim (kath.net/KNA)An der Spitze steht wie immer das kommunistische Nordkorea, dann folgt eine lange Reihe islamischer Staaten: Im „Weltverfolgungsindex 2013 (WVI)“ listet das christliche Hilfswerk Open Doors wieder jene Staaten auf, in denen Christen verfolgt oder diskriminiert werden. Mit 100 Millionen Menschen seien Christen weltweit die am stärksten unterdrückte Religion, vor allem in Afrika nehme der Druck durch Islamisten zu. Doch die 1955 in den Niederlanden gegründete Organisation und ihre Berichtsmethoden sind nicht unumstritten. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der Leiter von Open Doors Deutschland, Markus Rode, über deren Arbeit.

KNA: Herr Rode, der Weltverfolgungsindex listet in akribischer Reihenfolge Dutzende Länder auf. Auf Platz 24 liegt Tansania, auf Platz 50 Niger - lässt sich das wirklich mit wissenschaftlicher Genauigkeit ermitteln?

Rode: Ich denke, diesen Anspruch versuchen wir so gut wie möglich zu erfüllen. Grundlage ist ein Katalog mit rund 100 Fragen zu sechs Lebensbereichen von Christen: Welche Auswirkungen hat ihr Bekenntnis auf das individuelle Privatleben, das Familienleben, das nachbarschaftliche Leben? Dabei geht es um eine möglichst repräsentative Aufnahme von Erfahrungsberichten. Ob etwa Christen eine private Bibel besitzen dürfen, ob eine Familie den Glaubenswechsel eines Verwandten respektiert - was gerade in islamischen Ländern ein großes Problem ist - oder ob nichtchristliche Nachbarn Christen diskriminieren wie in Pakistan oder Indien, wo sie in manchen Gegenden nicht den Dorfbrunnen nutzen dürfen.

KNA: Und die übrigen drei Bereiche?

Rode: Wir fragen viertens nach dem staatlichen Rahmen für Religionsfreiheit und analysieren dafür sehr genau die Verfassungen und Gesetzbücher der jeweiligen Länder. Fünftens schauen wir, unter welchen Bedingungen kirchliches Leben ausgeübt werden kann. Und zuletzt registrieren wir die Zahl von Anschlägen und gewalttätigen Übergriffen auf Christen. Alle Ergebnisse fließen in einem Punktesystem zusammen, was die Rangfolge der einzelnen Länder ergibt. Spitzenreiter Nordkorea etwa hat 87 Punkte, Saudi-Arabien auf Platz 2 zählt 75 Punkte. Oft sind die Unterschiede hauchdünn, manchmal ist die Punktzahl gleich. Dann ist es Ermessenssache unserer Experten, den Rang festzulegen.

KNA: Unterscheiden Sie nicht zu wenig zwischen offener Verfolgung und Diskriminierung?

Rode: Die Grenzen zwischen Verfolgung und Diskriminierung sind fließend. Deshalb haben wir den Begriff «Verfolgung» als Oberbegriff gewählt. Es steht uns nicht zu, Christen per Definition vorzuschreiben, ob sie erst dann als verfolgt gelten, wenn sie gefoltert oder ins Gefängnis geworfen werden, oder bereits wenn ihre Kinder von Ausbildungs- und Berufschancen bewusst ausgeschlossen werden. Verfolgung hat viele Facetten, die auch von den Christen vor Ort subjektiv, und somit unterschiedlich stark erlebt werden.

KNA: Für ein repräsentatives globales Bild müssten Sie über Konfessionsgrenzen hinweg vernetzt sein. Mit wem arbeiten Sie zusammen?

Rode: Den Index erarbeiten internationale Experten auf dem Gebiet der Religionsfreiheit, Forscher und Analysten in enger Zusammenarbeit mit christlichen Leitern vor Ort. Weltweit hat Open Doors rund 1.000 Mitarbeiter. Sie verteilen sich weitgehend auf alle Konfessionen, die in den jeweiligen Regionen vorkommen. Unsere Stärke ist, dass wir eng mit den unterdrückten Gemeinden in Kontakt stehen, seien sie offiziell anerkannt wie die Kopten in Ägypten oder im Untergrund wie in Nordkorea. In den 57 Jahren, die Open Doors inzwischen aktiv ist, haben sich verlässliche Informationsstrukturen gebildet. Auch wenn je nach Gewichtung der einzelnen Verfolgungskriterien hier und da andere Länderergebnisse zustande kämen - alles in allem liefern wir, glaube ich, ein zutreffendes Bild von der Unterdrückung der Christen weltweit.

KNA: Es heißt, Open Doors stehe dem evangelikal-freikirchlichen Spektrum besonders nah, das anders als etwa Katholiken oft intensiv in problematischen Ländern missioniert und Verfolgungen provoziert.

Rode: Auch wenn ich selbst einer Freikirche angehöre: Basis unserer Arbeit als überkonfessionelles Hilfswerk ist nicht das Denken in Denominationen, sondern die Bibel. Wir wollen für alle Christen arbeiten. Religionsfreiheit ist ein fundamentales Menschenrecht. Dazu gehört, anderen unseren Glauben bezeugen zu können und offen für Konvertiten etwa aus dem Islam zu sein. Auch wenn wir nicht vor Ort missionieren, ist es wichtig, dass sich Missionsarbeit und Hilfsprojekte immer an den einheimischen Gemeinden orientieren und nicht an ihnen vorbeigehen. Aber wir würden Christen niemals raten, ihr Bekenntnis aus Sorge vor Diskriminierung zu verstecken. Wir würden aber auch niemals einen Christen verurteilen, der aus Angst seinen Glauben verheimlicht.

Video: Open Doors Weltverfolgungsindex 2013


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