Dialogprozess statt Glaubensvertiefung

16. Dezember 2012 in Kommentar


Nur halbherzig und zögernd tritt die Kirche bei uns gegenwärtig dem säkularisierten Zeitgeist entgegen, auch da, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht. Das Zweite Vatikanische Konzil – Eine Bestandsaufnahme, Teil 5. Von Prof. Joseph Schumacher


Freiburg (kath.net) In Wien, Freiburg und Augsburg rebellieren die Priester. Bischof Küng von St. Pölten erklärte kürzlich in einer Predigt im Wiener Stephansdom: „Wir brauchen Priester, nicht ungehorsame, sondern gehorsame, demütige Priester“ [Bischof Küng am österreichischen Nationalfeiertag, dem 26. Oktober 2012, kath.net hat berichtet]. Dem kann man nur zustimmen. Ich würde noch hinzufügen; ehrliche Priester, solche, die die Kirche lieben, die sich nicht der Welt angleichen und nicht um die Gunst der Welt buhlen.

Die Stoßrichtung des inneren und äußeren Widerstandes gegen die Kirche ist das Papsttum, das seit eh und je das entscheidende Bollwerk gegen den Protestantismus gewesen ist. Ohne das Papsttum gibt es kein objektives Amt, keine Eucharistie, keine Sakramente. Die Heilige Messe ist für Martin Luther (+ 1546) „der größte Gräuel des Papsttums“. Er erklärt: „… Wo die Messe fällt, da liegt das Papsttum“ [WA 50, 204]. In den Augen der Protestanten hat Luther mit seinen Ablassthesen ein neues Verständnis der Buße als Weg in die Freiheit beschrieben und generell die Autonomie des Glaubens und der Befreiung von autoritären Strukturen gebracht. Dieser Geist ist weithin in die katholische Kirche eingedrungen. Was die Papstkritik Luthers angeht, ist dessen Ausspruch äußerst charakteristisch: „Hoc unum me mortuo servate, odium in pontificem Romanum“ - „das eine müsst ihr euch nach meinem Tod bewahren, den Hass gegen den Papst“ [Hans Urs von Balthasar, Der antirömische Affekt, Einsiedeln 21988, 16].

„200 Jahre ist die Kirche stehen geblieben“ heißt es in einem Papier zur Recollectio einer Ordensgemeinschaft. Für den Organisator der Recollectio ist nicht der moralische und religiöse Verfall schuld daran, dass die Ordensgemeinschaft seit Jahrzehnten ohne Nachwuchs ist, sondern schuld daran sind für ihn die Reste des Katholischen, die noch übrig geblieben sind. Der Verfall ist für ihn nicht konsequent genug. Da wird man erinnert an jenen Jesuiten-Oberen, der vor einiger Zeit die katholische Sexualmoral für die Missbrauchsfälle in den Internaten seines Ordens verantwortlich machte. Welch eine Ignoranz! Für den Organisator der Recollectio sind die Schuldigen nicht die, die den Glauben verloren haben und hochmütig ihren eigenen subjektiven Einfällen gefolgt sind, sondern die, die sich um die Heiligung des Lebens gemüht haben und die der Kirche die Treue gehalten haben. Lapidar apostrophiert er sie als Fundamentalisten.

In dem Papier heißt es, die „Kirchen“ seien müde in Europa. Den Grund dafür sieht das Papier nicht in dem Zusammenbruch des Glaubens, sondern in dem, was noch übrig geblieben ist von ihm, und in der Tatsache, dass die Kirche, wie es da heißt, nicht Neues wagt, dass sie nicht genügend viele Experimente macht, dass sie noch nicht weltlich genug geworden ist. Derweil haben doch gerade der Verlust der Identität, die Abwendung von dem Überkommenen, die immer neuen Experimente und die Verweltlichung die Kirche in diese Situation gebracht. Das müsste doch der gesunde Menschenverstand erkennen, der jedoch die Augen davor verschließt.

Auch darauf sei in diesem Zusammenhang noch hingewiesen: Wo der Glaube dahin ist, da stirbt auch die Liebe. Davon legen immer mehr Ordensgemeinschaften Zeugnis ab in ihrer inneren Zerstrittenheit. Ohne das Zeugnis des Glaubens gibt es auch das Zeugnis der Liebe nicht. Wie will ich den Nächsten lieben, wenn Gottes Wort mir gleichgültig ist, wenn ich nicht einmal genau weiß, ob Gott gesprochen hat, ja ob es ihn überhaupt gibt?

In dem Papier der Recollectio wird endlich noch festgestellt, dass die Katholiken keinen „selbstbewussten“ Umgang mit dem Wort Gottes haben, im Unterschied zu den Protestanten, so muss man ergänzen. Der Subjektivismus der Protestanten wird da zum Ideal der Katholiken erhoben. Darum heißt es an dieser Stelle: Nicht der Klerus und nicht das Kirchenrecht können die Innerlichkeit des Menschen ersetzen. „Gesetze und Dogmen sind da, um die innere Stimme des Menschen zu klären und die Geister zu unterscheiden“. Die Gemeinschaften der Reformation haben demnach den Stifter des Christentums besser verstanden als die katholische Kirche. Das ist ein Gedanke, der uns in der Gegenwart immer wieder begegnet, ein Ausdruck der Resignation auf der ganzen Linie [Die hier angesprochene Recollectio fand statt bei den Ursulinen in Osnabrück-Haste im Sommer 2012 unter der Leitung eines Jesuiten].

Nur halbherzig und zögernd tritt die Kirche bei uns gegenwärtig dem säkularisierten Zeitgeist entgegen, auch da, wo himmelschreiendes Unrecht geschieht. Auch das ist charakteristisch für den Zustand der Kirche nach dem Konzil. So schweigt sie etwa weithin angesichts der Tatsache, dass heute weltweit so viele Kinder abgetrieben werden, wie der ganze Zweite Weltkrieg Tote gefordert hat, und lässt nicht einmal verlautbaren, dass der tiefere Grund für die Abtreibung die neue Sexualmoral ist, die eigentlich eine Antimoral ist, die Moral des „Zeitalters des Wassermanns“. Die jüngste Gestalt solcher Missachtung der Würde des Menschen ist die mehr und mehr ausbreitende Praxis der Organexplantation, bei der man Sterbende tötet, um ihre Organe als lebendige für die Transplantation zu erhalten. In diesem Kontext ist auch an die verbrauchende Embryonen-Forschung zu erinnern und an die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe sowie an den Weltbild-Skandal, der bis heute keine befriedigende Lösung gefunden hat.

Der Mannheimer Dialog, der seine Fortsetzung in Hannover gefunden hat, ist de facto in den Augen seiner Akteure nichts anderes als ein Mittel, die Forderungen des Memorandums der Theologen von 2011 der Kirche aufzudrängen, Forderungen, die im Grunde illusorisch sind, weil sie vom Glauben her nicht erfüllt werden können und weil sie die Identität der Kirche in Frage stellen. Das Ganze ist somit auf einer Lüge aufgebaut, die zudem nicht wenig Geld verschlingt [Erzbischof Gerhard Ludwig Müller erklärte kürzlich als neuer Präfekt der Glaubenskongregation mit Blick auf den Dialog in Mannheim und in Hannover in einem Interview, da würden Forderungen gestellt, die mit dem Glauben nicht vereinbar seien, mit denen man falsche Hoffnungen wecken und die Verantwortlichen der Kirche in Zugzwang bringen wolle [Die Tagespost vom 12. Oktober 2012, kath.net hat berichtet]. Ein ehrlicher Dialog müsste die wirklichen Fragen in Kirche und Welt aufgreifen, wie den katastrophalen Glaubensverlust, den ebenso katastrophalen Werteverfall und die wachsende Demoralisierung in der Gesellschaft, die Jugendkriminalität, die Zerstörung von Ehe und Familie sowie die Bildungskrise. Das Ganze ist also ein „So-tun-als-ob“. So etwas kann nur Unsegen bringen, Misstrauen säen, die Zerstrittenheit in der Kirche fördern, ihre Glaubwürdigkeit unterminieren und zu einer weiteren Zerstörung des Glaubens und der Sitten führen. Statt das Christentum und die Kirche zu verwässern und dem Zeitgeist anzupassen, sollte man, so sagt es doch der gesunde Menschenverstand, sich Gedanken darüber machen, wie man mit Hilfe des Christentums und der Botschaft der Kirche Antworten finden kann auf die drängenden Fragen der Zeit und das Denken und Handeln der Menschen erneuern kann. Echt wäre dieser Dialog und eine wirkliche Hilfe, wenn er nicht die Anpassung an den Zeitgeist und eine neue Kirche im Sinn hätte, sondern über die Wege der Vermittlung des Glaubens beraten würde.

Schon als Kardinal hat Joseph Ratzinger dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken Mangel an Glaubensfreude vorgeworfen. Dem ökumenischen Kirchentag von 2003 hat er vorgehalten, dass auf ihm „das Antlitz Christi des Gekreuzigten“ nicht hervorgetreten sei, dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken und den katholischen Verbänden hat er den Vorwurf nicht erspart, sie seien funktionärsbestimmt und bürokratisiert [kath.net hat berichtet]. Das alles gilt heute mehr noch als damals. Die Grenzlinie verläuft heute nicht zwischen rechts und links oder konservativ und progressiv, sondern zwischen Glaube und Unglaube. Da geht es nicht um Parteien, sondern um frivolen Missbrauch und nackten Unglauben.

Sehr schlecht ist es um den Religionsunterricht bestellt. Weithin wird in ihm der Glaube der Kirche nicht mehr vermittelt, und nicht selten wird er für antikirchliche, vor allem für antirömische und antipäpstliche Agitation in Dienst genommen. Das Wissen der neuen Generation um den Glauben ist gleich Null, obwohl sich der Religionsunterricht in der Regel über 13 Jahre hin erstreckt. Das Leben der Religionslehrer ist sehr oft fragwürdig, moralisch und religiös. Schon lange werden geschiedene und wiederverheiratete Religionslehrer durch die Ordinariate toleriert. Wie sollen da die guten Früchte des Konzils reifen?

Vor Kurzem erklärte der evangelische Theologie-Professor Peter Zimmerling beim Deutschland-Treffen der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in Leipzig, die meisten Aussagen im christlichen Glaubensbekenntnis seien heute innerhalb der evangelischen Kirche umstritten [kath.net hat berichtet]. Das gilt inzwischen nicht weniger für die katholische Kirche. Im Einzelnen erinnerte er daran, dass die Vateranrede Gottes in Frage gestellt werde, die Allmacht Gottes, die Wiederkunft Christi und die Auferstehung der Toten. Was übrig bleibt bei solchem Kahlschlag, wenn überhaupt noch etwas übrig bleibt, ist, um mit Friedrich Schleiermacher (+ 1834) zu reden, das schlechthinnige Gefühl der Abhängigkeit.

Der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Schneider, so konnte man kürzlich vernehmen, will im Ernstfall auch einen Suizid begleiten und mithelfen, ihn durchzuführen. Sein Geständnis: „Wenn ein Mensch intensiv darum bittet, dann mache ich mir nach der reinen Lehre auch die Hände schmutzig“ [kath.net hat berichtet].

- Fortsetzung folgt -

Joseph Schumacher

kath.net-Buchtipp:
Esoterik. Die Religion des Übersinnlichen
Eine Orientierungshilfe nicht nur für Christen
Joseph Schumacher
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Die vollständige kath.net-Serie von Prof. Schumacher:
Teil 1: Was wollte das II. Vatikanische Konzil?
Teil 2: ‚Allzu viele Vertreter der Kirche haben zwei Gesichter‘
Teil 3: ‚Die Kirche ist unsere Mutter. Das haben heute viele vergessen‘
Teil 4: Kirche wurde von einer Säkularisierungswelle überflutet
Teil 5: Dialogprozess statt Glaubensvertiefung
Teil 6: De facto haben sie nicht geschwiegen, diese Memorandums-Theologen!
Teil 7: Die Nachkonzilszeit hat viele faule Früchte hervorgebracht

Foto Prof. J. Schumacher: © kath.net



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