Es ist Zeit, die Führung unseres Lebens Christus zu übertragen

1. November 2012 in Spirituelles


Kardinal Meisner: „Lassen wir das alle in unserer Umgebung merken, dass wir Christen sind!“ – „Wir schulden den vielen suchenden Menschen die Gewissheit unseres heiligen katholischen Glaubens.“


Köln (kath.net/pek/pl) „Es ist Zeit, die Führung unseres Lebens Christus zu übertragen. Lassen wir das alle in unserer Umgebung merken, dass wir Christen sind!“ Dies sagte der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seiner Allerheiligenpredigt im Hohen Dom zu Köln. Er wies darauf hin, dass Papst Benedikt XVI. genau deshalb „ein Jahr des Glaubens proklamiert“ habe. Denn „wir schulden den vielen suchenden Menschen die Gewissheit unseres heiligen katholischen Glaubens“.

kath.net dokumentiert die Predigt des Kölner Erzbischofs Joachim Kardinal Meisner zum Allerheiligenfest am 1. November 2012 in voller Länge

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Soeben hat Gott selbst in der Verkündigung des Evangeliums zu uns gesprochen. Wenn wir heute die Heiligen Gottes feiern, so ist dies kein Abrücken, keine Distanzierung vom Evangelium Jesu Christi, denn Gott spricht auch durch die Heiligen zu uns. Vielleicht müssen wir hier unser Bild von den Heiligen und ihrem Dienst am Volke Gottes ergänzen. Wir betrachten die Heiligen oft nur als vorbildhaft für unser eigenes christliches Leben, indem wir sie nachahmen sollen, oder wir sehen in ihnen nur Nothelfer, die wir in den Bedrängnissen und ausweglosen Situationen unseres Daseins anrufen können. Das ist alles gut und schön. Aber es ist nicht alles.

1. Das II. Vatikanische Konzil, dessen Beginn vor 50 Jahren wir in diesen Tagen begehen, sagt uns in der berühmten Kirchenkonstitution: „Es ziemt sich also durchaus, diese Freunde und Miterben Christi (die Heiligen) hilfesuchend anzurufen und zu ihrem Gebet, zu ihrer mächtigen Hilfe Zuflucht zu nehmen, um Wohltaten zu erflehen von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus, der allein unser Erlöser und Retter ist“. Aber das ist lange nicht alles! Das Konzil sagt dann weiter: „Im Leben der Heiligen zeigt Gott den Menschen in lebendiger Weise seine Gegenwart und sein Antlitz. In ihnen redet er selbst zu uns, gibt er uns Zeichen seines Reiches“. Es ist klare Lehre der Kirche, dass mit Christus und den Aposteln die große allgemeine Offenbarung Gottes für immer abgeschlossen ist. Das darf uns jedoch nicht zu einer gleichsam deistischen Gottesauffassung verführen, als ob Gott sich nun von der Welt zurückgezogen und die Welt sich selbst überlassen hat. Nein! Gott wirkt auch heute noch. Und er greift auch heute noch in die Geschichte der Menschen und der Völker ein. Nicht nur die Bibel kennt ein göttliches Eingreifen, auch die spätere Geschichte der Kirche ist durch die Heiligen von dem lebendigen Atem Gottes durchweht. Noch heute offenbart sich Gott im Drama der Weltgeschichte.

Dass man aber dieses Erleben Gottes im Hier und Heute bemerkt, darauf will uns das Allerheiligenfest aufmerksam machen. Diese Aufmerksamkeit entscheidet, ob unser christliches Leben nur auf die Vergangenheit orientiert ist oder ob es eine lebendige, gegenwärtige Wirklichkeit ist. Es geht um eine lebendige Religiosität. Hier sind unsere Heiligen einzuordnen. Es ist einfach falsch, wenn wir sie nur als Randfiguren betrachten. Sie stehen in der Mitte des mystischen Leibes Christi, der die Kirche ist. Sie sind Künder und Deuter dessen, was Gott in bestimmten Situationen von uns, von seiner Kirche, von der Welt will. Die Heiligen sind durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte hindurch die Sprachrohre des Heiligen Geistes. Wenn wir erkennen wollen, was im Ratschluss Gottes die Heiligen in ihrer Zeit zu sagen haben, muss man selbstverständlich auch die Tendenzen und Erscheinungen dieser betreffenden Zeit kennen.

2. Gott hat eine Stimme und ein Gesicht auch für uns gegenwärtige Christen in seinen Heiligen angenommen. Darum ist es ganz legitim, wenn eine bestimmte Zeit von ganz konkreten Heiligen geprägt ist. Ich bin überzeugt, das Glaubenszeugnis der seligen Mutter Teresa von Kalkutta, der hl. Mitpatronin Europas, Edith Stein, und des seligen Papstes Johannes Paul II. lassen das Wort Gottes unter den heutigen Zeitverhältnissen und Lebensbedingungen vor den Menschen und der Kirche hörbar werden. In der Mutter Teresa von Kalkutta spricht Gott von der unantastbaren Würde eines jeden Menschen. In ihrem dramatischen Appell an alle Frauen der Welt, die meinen, ihr ungeborenes Kind abtreiben lassen zu müssen, bittet sie, den Kindern das Leben zu schenken und sie dann alle ihr zu übergeben. Auf die Vorwürfe mancher Sozialstrategen, sie würde durch ihren Dienst an den Ungeborenen und Sterbenden nur die kapitalistischen Verhältnisse der gegenwärtigen Welt zu verewigen suchen, gibt sie die schlichte Antwort: „Die Strategien der Weltpolitik zu ändern, ist nicht meine Aufgabe. Sie ist sicher auch wichtig. Meine Berufung besteht darin, dem ungeborenen und dem neugeborenen Kind und den sterbenden Menschen jetzt zu helfen, die nicht warten können, bis die vielen Weltverbesserer ihr Werk vollbracht haben“.

Die hl. Edith Stein ist die Stimme Gottes in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit einem so genannten aufgeklärten Atheismus. Edith Stein ist überzeugt, dass es zum Wesen des Menschen gehört, nach Erfüllung seiner Sehnsucht, seiner Hoffnung und seiner Wünsche zu streben. Als Philosophin sucht sie nach der Wahrheit. Und sie fügt hinzu: „Wer nach der Wahrheit sucht, der sucht nach Gott, ob ihm das bewusst ist oder nicht“. Gerade heute versucht der Atheismus, die Naturwissenschaften als Beweismittel für die Nichtexistenz Gottes einzuspannen. Edith Stein weist deutlich darauf hin, dass die Naturwissenschaften völlig ihre Autonomie auf ihren Gebieten haben, aber nicht darüber hinaus. Sie sollen im Labor bei ihren Experimenten bleiben, aber sie sollen sich nicht auf einer philosophischen oder theologischen Kanzel niederlassen. Vor lauter Bäumen sieht man auf diesem Gebiet oft am Ende den Wald nicht mehr.

Aber eigentlich ist der Glaube etwas ganz Einfaches: Glauben an Gott, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens. Dieser Glaube ist vernünftig, denn er sieht hinter dem Universum einen ordnenden Schöpfer am Werk, keine Unvernunft und keinen Zufall. Mit diesem Glauben brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir sollten versuchen, auch anderen die Vernunft des Glaubens zugänglich zu machen. Diese Glaubenslogik muss uns aber auch selbst in Fleisch und Blut übergehen, wie sie sich im Glaubenszeugnis und Lebenszeugnis von Edith Stein zeigt.

Oder die Stimme Gottes für unsere Zeit, die sich im Glaubens- und Lebenszeugnis des seligen Papstes Johannes Paul II. geäußert hat. Er wurde nicht müde und hat in dieser Intention die Welt durchreist, um die Menschen für Jesus Christus zu gewinnen, weil er die einzige Lösung der Weltprobleme darstellt. Der Heilige Vater war tief berührt von der Passivität, mit der die Christen auf die vielfachen Angriffe gegen das Evangelium heute reagieren, ohne Gewissensbisse dabei zu haben. Er fragte sich immer wieder: „Warum entscheidet man sich dafür, zuzuschauen, wie Wertvolles zerstört wird, statt zu argumentieren, zu verteidigen und die Wahrheit zu verkünden, und zwar von einem rationalen Standpunkt aus. Warum sollte man sein natürliches Potential, auf negative Entwicklungen zu reagieren, nicht ausschöpfen, besonders, wenn diese auf einer er-lahmenden Ideologie gedeihen“. Jetzt ist die Zeit, aufzuwachen. Jeder soll auf seine Weise und in seinem Lebensumfeld sprechen. „Lest! Schreibt! Sprecht laut!“. Wir müssen uns vorbereiten, weil Christus uns schon gewarnt hat, denn „die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes“ (Lk 16,8), wie es bei Lukas heißt. Wir können diese Entwicklung nicht aufhalten, indem wir auf ein Wunder von Gott warten. Warum sollte er ein Wunder tun, wenn er uns schon die Fähigkeit dazu durch unseren Glauben und unseren Verstand gegeben hat? Das Gebet ist zweifellos der erste Schritt, den wir tun müssen, aber wir dürfen es nicht beim Knien belassen! Wir müssen handeln! Wir schulden das unseren Nachkommen! Es ist Zeit, die Führung unseres Lebens Christus zu übertragen. Lassen wir das alle in unserer Umgebung merken, dass wir Christen sind! Darum hat ja auch Papst Benedikt XVI. ein Jahr des Glaubens proklamiert. Wir schulden den vielen suchenden Menschen die Gewissheit unseres heiligen katholischen Glaubens.

Die Heiligen sind die Stimme Gottes für uns in der Gegenwart. Die selige Mutter Teresa, die hl. Edith Stein und der selige Johannes Paul II. sind solche Dolmetscher der Stimme Gottes in der Gegenwart.

3. Nicht nur auf den Zeitgeist antwortet der Heilige Geist durch das Leben und Zeugnis bestimmter Heiliger. Jedem Menschen, der in diese Welt tritt, hat Gott eine bestimmte Aufgabe zugedacht. Dafür hat er ihn mit den nötigen Gaben und Charismen beschenkt. Dafür bedarf er auch einer besonderen Wegweisung, die ihm durch bestimmte Heilige geschenkt wird. Ich bin überzeugt, dass jeder lebendige Christ seinen besonderen Schutzpatron oder seine Heilige als geistlichen Begleiter hat, die ihm in seinen speziellen Lebensgegebenheiten hierzu Wegweisung geben. Für mich ist es einerseits der hl. Josef, andererseits der hl. Pfarrer von Ars. Der hl. Josef ist für mich so wichtig, weil von ihm nur Taten berichtet werden, und zwar wichtige Taten für das Leben und die Mission Jesu Christi, aber es werden von ihm keine Worte überliefert. Bei mir wird es bestenfalls einmal umgekehrt sein. Man wird sicher eine ganze Reihe von Worten und Aussprüchen erzählen und zitieren, aber kaum bemerkenswerte Taten sind überlieferungswert, sodass der hl. Josef für mich ein wichtiges Korrektiv für meine Nachfolge Christi ist.

Oder der hl. Pfarrer von Ars, der größte Beichtvater in der Kirchengeschichte überhaupt, ist für mich nötig, damit mir meine priesterliche Vitalität erhalten bleibt. Diese hängt mit dem Bußsakrament zusammen. Wenn ein Priester nicht mehr zur Beichte geht, dann trocknet ein ganzer Lungenflügel seiner priesterlichen Existenz ein. Und wenn er selbst nicht mehr Beichtvater ist, dann trocknet auch noch die andere Lungenhälfte seines priesterlichen Daseins ein, dann bekommt er kaum noch Luft. Er wird geistlich unwirksam. Von ihm geht nichts mehr aus.

Von vielen Heiligen wissen wir, mit welchem heiligen Schutzpatron sie ihre Nachfolge Christi mit Glanz und Gloria bewältigt haben: die hl. Edith Stein mit der hl. Theresa von Ávila, der hl. Pfarrer von Ars mit der hl. Philomena, dem hl. Petrus Canisius war sein Ordensvater, der hl. Ignatius von Loyola, wichtig. In den Heiligen werden für uns die Einsprechungen des Heiligen Geistes hörbar. Sie helfen uns, das Wort Gottes zu vernehmen, und sie zeigen uns, wie aus dem Wort unsere christliche Tat wird. Allerheiligen ist deshalb kein frommes Herbstfest im Kirchenjahr, sondern die überaus wichtige Vergewisserung für das Volk Gottes, dass Gott zu jedem Einzelnen spricht und ihm zeigt, dass Nachfolge Christi geht und wie sie geht. Das ist uns Anlass zu Dank und Lobpreis. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner

Die Predigt auf kathTube:


Foto Kardinal Meisner: (c) Domradio (Screenshot)


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