Die Ostkirchen sind die 'lebendigen Zeugen der Anfänge'

27. Oktober 2012 in Interview


Ein Interview mit Kardinal Leonardo Sandri, Präfekt der Kongregation für die orientalischen Kirchen


Rom (kath.net/Bistum Basel) „All diese Situationen des Verfalls und der Ablehnung der Würde der menschlichen Person in der Welt kommen von der Gottesfinsternis.“ Das sagte Kardinal Leonardo Sandri (siehe Foto), Präfekt der Kongregation für die orientalischen Kirchen, in einem Interview mit dem Bistum Basel. Die „orientalischen“ Kirchen sind die mit Rom unierten katholischen Ostkirchen, die die Liturgie und auch weitgehend die Disziplin der Orthodoxie beibehalten haben. Das Interview wurde im Rahmen der Bischofssynode in Rom geführt.

Eminenz, diese Synode befasst sich mit einem sehr wichtigen Thema. Wie müsste die Neuevangelisierung für Europa und für die orientalischen Kirchen aussehen?

Das „Instrumentum laboris“ wie auch die zahlreichen Beiträge in der Aula, wollten nicht neue Formeln oder Hinweise geben, sie riefen uns vielmehr dazu auf, das Geschenk des Glaubens neu zu entdecken, sowie das, was wichtig ist im Leben der christlichen Gemeinschaften und der Universalkirche.

Ich selbst fühlte, dass ich den Rahmen, der vom Heiligen Vater am Anfang der Apostolischen Exhortation über die Synode der Kirchen im Nahen Osten wieder in Erinnerung gerufen wird, erneut anbieten musste: die Verkündigung des Wortes, der Dienst der Nächstenliebe, die Eucharistie und die Sakramente, das Gebet. Dies dient als Einsatz zur Reinigung und zur Konversion aller.

Die orientalischen Kirchen sind die „lebendigen Zeugen der Anfänge“, wie es auch im Dekret Orientalium Ecclesiarum des Zweiten Vatikanischen Konzils anerkannt wird.

Papst Benedikt definierte sie als „Überbringer der christlichen Authentizität für die ganze Kirche, die nur mit Sicherheit in die Zukunft schauen kann, wenn das, was seit dem Anfang existiert, verankert bleibt“.

Vielleicht hat der Europäische Kontinent - in manchen Denkfronten - entschieden, sich von den Ursprüngen, die ihn geschaffen haben, zu entfernen.

Die Definition als „alt“, mit der man ihn gewöhnlich bezeichnet, ist es nicht für die Auseinandersetzung mit der „neuen Welt“, sie ist es aber für eine fortschreitende Schwächung und Alterung der Hoffnung.

In Europa gibt es aber viele Emigranten, einige davon kommen auch von unseren orientalischen Kirchen. Ich kann hier das Beispiel von Schweden nennen, gemäss einigen Quellen sind rund 25.000 der 100.000 Katholiken chaldäische Christen, die meisten stammen aus dem Irak.

Die Neuheit für den Kontinent liegt nicht darin, ein Rezept oder eine Zauberformel zu suchen, die die Situation umdrehen, sondern es geht darum, sich einerseits von dem Durst der Unendlichkeit ansprechen zu lassen, der dem Menschen angeboren ist und der nicht ausgelöscht ist. Vielleicht ist man sich dieses Durstes einfach nicht mehr bewusst.

Andererseits gibt es die Präsenz so vieler Brüder und Schwestern, die die Prüfung des Krieges und der Emigration erleiden mussten, gleichzeitig aber die freudige Sicherheit bestärkt haben, dass nur Christus der Herr der Geschichte ist.

Die orientalischen Kirchen haben eine doppelte Schwierigkeit. Die erste betrifft die Vermittlung des Glaubens, die zweite die Situation der Diaspora, der sich viele orientalische Kirchen stellen müssen. Wie könnten die Kirchen vor Ort diesen Gemeinschaften mit einem orientalischen Ritus helfen?

Ich bin nicht sicher, ob es eine Schwierigkeit in der Vermittlung des Glaubens gibt. Sicherlich könnte man einwenden, dass die Wege der Einführung besser strukturiert werden in der erwachsenen christlichen Gemeinschaft, von dem Moment an, wo die Sakramente nach der Geburt erteilt werden, wie auch der grosse liturgische Reichtum gut erklärt und angenommen wird. Man wartet auf eine mögliche Reform, die man mit den Kirchen gleichen Ritus in Angriff nehmen könnte, die nicht in der Einheit mit Rom stehen.

Ich würde einfach sagen, dass die lateinischen Kirchen, die diese Brüder in ihrem Territorium aufnehmen, sie nicht fürchten müssen. Sie müssen sie kennenlernen.

Bei den Ad Limina Besuchen der Bischöfe aus aller Welt stellen wir immer wieder fest, dass viele Katholiken die Existenz unserer Kirchen ignorieren, oder sie einfach allgemein zu den „Orthodoxen“ zählen.

Es gibt aber auch Beispiele guter Zusammenarbeit zwischen den lateinischen Prälaten und den orientalischen Gläubigen. Die Erzbischöfe von Paris und Wien sind gleichzeitig Ordinarius für die orientalischen Gläubigen, die über keinen eigenen Hirten verfügen.

Solche Situationen, die in enger Zusammenarbeit mit der Kongregation für die orientalischen Kirchen erfolgen, helfen, dass man im jeweiligen Territorium spürt, dass die Kirche sich garantiert um alle ihre Kinder sorgt.

Andererseits sieht man hier die Schönheit der Verschiedenheit in der Einheit, die auf Christus gestützt ist und die in Gemeinschaft mit dem Glaubensbekenntnis des Apostels Petrus und seiner Nachfolger steht.

Eminenz, was erwarten Sie von dieser Synode und was wünschen Sie den orientalischen Kirchen für ihre Zukunft?

Das Zusammentreffen der Synode und die Eröffnung des Jahres des Glaubens, gibt mir eine gute Hoffnung auf einen erneuerten internen Impuls der Christen des Orients und des Okzidents, der sich zum Wort Gottes hinwendet, den gelebten Glauben unterstützt, der gemeinsam von der ganzen Kirche bekannt wird.

All diese Situationen des Verfalls und der Ablehnung der Würde der menschlichen Person in der Welt kommen von der Gottesfinsternis. Gemäss einem bedeutenden Ausdruck des Heiligen Vaters Benedikt XVI. können wir zu Gott zurückkehren, in der Person von Jesus dem Heil der Welt, animiert vom Heiligen Geist, um so glaubwürdige Zeugen in der Welt zu sein.

Ich wünsche mir besonders für die orientalischen Kirchen, dass sie in der „Gemeinschaft und im Zeugnis“ wachsen, wie sie sich bereits vor zwei Jahren während der Synode eingesetzt haben. Sie müssen im apostolischen Glauben verwurzelt sein und immer von der tatkräftigen Nächstenliebe gegenüber allen Brüdern der Menschheit belebt werden, besonders in den Kontexten von Leid, Gewalt und Verfolgung. Die verschiedenen Formen der Anteilnahme am Kreuz des Herrn und unseres Meisters sind Türen, die uns zur Erfahrung der frohen Auferstehung führen.

Kathpedia: Katholische Ostkirchen

Foto: (c) SIR


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