Komm, Heiliger Geist, der Reformen schafft...

10. Oktober 2012 in Kommentar


Dialogprozess: „Ein großer Teil des Streits um Reform und Wahrheit gründet darin, dass wir den Vollzug unseres Glaubens und dessen Verkündigung vergessen haben und immer weiter in den Hintergrund drängen.“ – Ein Gastkommentar von Georg Dietlein


Köln (kath.net) Fünfzig Jahre nach der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils begeht die Weltkirche ein „Jahr des Glaubens“. In Deutschland beginnt damit etwa zeitgleich der Gesprächsprozess „Im Heute glauben“ der Deutschen Bischofskonferenz. Über Notwendigkeit und Ziele eines solchen Dialogprozesses kann man sich lange streiten – in jedem Falle soll er geistgewirkte Einheit und Verständnis füreinander schaffen. Gelingen kann ein kirchlicher Dialog aber nur dann, wenn sich die Gesprächspartner über Grundannahmen einig sind: wenn sie zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen nicht ihre eigenen Pläne für die Kirche, sondern die Person Jesu Christi selbst machen. Nur so können wir uns sicher sein, dass alle dieselbe Sprache sprechen, denselben Geist atmen und kein neuer Turm zu Babel gebaut wird. Nur dann bleibt die Kirche, der der Heilige Geist eingestiftet ist, ihrem Ursprung treu.

Angesichts der vielen unterschiedlichen Impulse, die auf den „Wunschzetteln“ der Gesprächsteilnehmer auftauchen, kann man das Vorhandensein dieses gemeinsamen Fundaments allerdings infrage stellen: Gefordert wird einerseits ein „frischer Wind“, „Aggiornamento“, „Anpassung“ an die Welt – andererseits auch Entweltlichung, geistiger Aufbruch, zum Teil Abschied von der Kirchensteuer. Immer lauter werden ganz konkrete Wünsche: die Priesterweihe für Frauen, Abschaffung des Zölibats, Anpassungen in der Sexualmoral, beim Eheverständnis und in der Ökumene.

Solange solche Forderungen mit reinem Herzen vorgetragen werden und ihren Grund in der gelebten Pastoral, der Liebe zur Kirche, im Anruf des Herzens finden, sollten wir in der Tat einen Moment innehalten und unser Herz weiten. Denn Dialog kann nur dann gelingen, wenn die Ergebnisse nicht bereits vorweggenommen werden, wenn sich beide Seiten wirklich auf ihn einlassen. Und so gutgemeint die Forderungen, Wünsche und Träume doch sind, könnte die Kirche schließlich auf sie eingehen: Sie könnte damit anfangen, „gender-gerecht“ Männer und Frauen in der Kirche gleichzustellen. Sie könnte das Verständnis von der Unauflöslichkeit und der Zielrichtung der Ehe ein wenig lockern, um auch Paare, die in „zweiter Ehe“ leben und deren „erste Ehe“ tatsächlich gescheitert ist, mit an Bord zu holen und gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern endlich eine kirchliche Trauung oder zumindest eine Segnung zu ermöglichen. Und wieso eigentlich noch am Zölibat festhalten? Als Priester in erster, zweiter, dritter Ehe oder in Lebenspartnerschaft lebt es sich doch viel schöner. Dabei kommt dann noch das Problem des Priestermangels dazu: Schließlich könnte der Zölibat ja ein Grund sein, der Gott noch daran hindere, junge Männer in seine Nachfolge zu rufen. Eine Kirche, die Verständnis für die Menschen und ihre Sorgen aufbringt, wird sich auf diese Fragen zumindest einlassen müssen.

Kritisch sollten wir hier aber auch fragen – und das gehört genauso zu einem kritischen Dialog dazu: Wem ist damit eigentlich geholfen? Können wir so die wirklichen Probleme der Kirche lösen? Können wir so dazu beitragen, dass sich Menschen wieder mehr für den christlichen Glauben interessieren? Tragen wir so dazu bei, dass Eltern mit ihren Kindern wieder häufiger beten und Gottesdienste besuchen? Helfen wir mit einer „Lockerung“ der Ehe wirklich christlichen Eheleuten? – Schön wäre das. Ich persönlich vermute aber, dass es einer solchen „Kirche light“, in der man die Eingaben des Zeitgeistes zum Prinzip macht, nicht besser ginge als der katholischen Kirche. Der Zeitgeist kann möglicherweise kurzfristig einen „neuen Aufbruch“ initiieren, wird aber langfristig dazu führen, dass die Kirche ihrer eigenen Grundlage immer ungewisser wird und so schließlich den Anschluss an Christus verpasst.

Wichtiger als Reform, Arbeitskreis und Memorandum erscheinen mir Glaubenskreis, Gebetsgemeinschaft und Gottesdienstgemeinde. Ein großer Teil des Streits um Reform und Wahrheit gründet darin, dass wir den Vollzug unseres Glaubens und dessen Verkündigung vergessen haben und immer weiter in den Hintergrund drängen. Wir drehen uns um uns selbst und streiten am liebsten über Randfragen. Wir meinen Jesus Christus persönlich zu kennen, weil wir uns auf den „historischen Jesus“ berufen – und blicken dabei eigentlich auf uns selbst. Wir meinen die Kirche müsse sich anpassen, weil ihr das bessere Sympathiewerte einbringen könnte. Und dabei vergessen wir, dass auch Jesus klare Meinungen hatte und diese genauso scharf nach außen hin vertrat.

Bei all unserem Selbstbewusstsein müssen wir uns die Frage gefallen lassen, woher wir denn eigentlich die vielen neuen Erkenntnisse nehmen, die nun zum Ausgangspunkt einer großen Kirchenreform werden sollen. Woher nehmen wir unser Bild von Jesus Christus? Halten wir uns an vermeintlich seriöse Wissenschaftler, die dem historischen Jesus scheinbar begegnet sind, oder aber an den überlieferten Glauben der Kirche? – Wir sollten einmal zurückblicken darauf, woher wir denn eigentlich den Glauben an Jesus Christus nehmen. Glaubwürdig ist der Bericht von der Auferstehung Jesu Christi etwa aufgrund seiner Zeugen, die wir jeweils wieder zurückführen können auf andere Glaubenszeugen – bis hin zu den Aposteln, denen Christus seine Kirche anvertraut hat. „Historische“ Funde und nichtchristliche Quellen über das Leben Jesu sind wenig hilfreich. Wenn wir etwas über den „realen“ Jesus Christus des Glaubens erfahren wollen, so bleibt uns nichts anderes übrig als uns an die Überlieferung der Apostel zu halten und die Predigt ihrer Nachfolger, der Bischöfe. Interessante historische Klarstellungen mögen da Jesus-Bücher zutage bringen, nicht aber den Glauben an Jesus als den Christus.

Wir sollten uns immer wieder kritisch prüfen: Was macht uns darin so sicher, dass wir Jesus Christus in seiner Menschlichkeit und Barmherzigkeit besser kennen als die Menschen vor uns, besser als die 2000-jährige Tradition der Kirche, besser als die Apostel und die Jünger Christi selbst? Ist es wirklich der Heilige Geist, der da in uns glüht, oder gehen wir doch nur dem Zeitgeist auf den Leim, der in uns Sehnsüchte und Wünsche hochkommen lässt? Sind die Reformen, die wir anmahnen, wirklich im Ruf Gottes begründet oder nur in unseren eigenen Sehnsüchten? Haben wir ein wirklich offenes Herz für Gott, das bereit ist sein leises Rufen in den Stürmen unserer Zeit zu erhorchen? Beten wir gemeinsam vor einer kirchlichen Sitzung – im Pfarrgemeinderat, im Kirchenvorstand und in anderen kirchlichen Gremien – um den Heiligen Geist? Halten wir täglich einen Moment inne vor dem Allerheiligsten, damit er uns sage, was zu tun ist?

Reformfreudigkeit und „Menschlichkeit“ sind Phänomene, die bereits die Heilige Schrift kennt. Petrus ist im Grunde der erste „Reformer“ der Kirche, der mit seinen eigenen Plänen und Ideen bei Christus aufkreuzt. Wir erinnern uns an die Szene, in der Jesus sein Leiden und seine Auferstehung ankündigt. Petrus nimmt ihn beiseite und rät ihm davon ab. Die Antwort Jesu auf den eigentlich doch gut gemeinten Vorschlag des Petrus, den er wenige Augenblicke vorher noch zum Felsen seiner Kirche gemacht hatte, ist eindeutig: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16, 23). Jesus wählt nicht den kürzesten und einfachsten Weg, den die Menschen ihm in einem Dialogprozess raten, sondern den Weg Gottes. Eine Reform zugunsten „menschlicherer“ Wege kann, soll und darf da nicht sein – zumindest was die Verkündigung des Evangeliums anbelangt. Dass Jesus im Umgang mit Sündern und Zöllnern Herz zeigt, ist die andere Seite. Er will auch die Fehlenden für sich gewinnen, indem er ihnen vergibt, indem er ihnen aber auch den Weg der Umkehr weist.

So könnten auch wir uns heute fragen: Was hätte Jesus dem Petrus auf den Vorschlag geantwortet, seine Kirche nicht auf ihn zu bauen, sondern auf eine Doppelspitze – in den Kreis der Apostel mindestens noch Maria von Magdala und Salome aufzunehmen – das letzte Abendmahl in einem „ökumenischen“ Rahmen auf der Straße abzuhalten – die Apostel davon freizustellen, ihrem Herrn radikal nachzufolgen – die Ehescheidung aus Gründen der Bequemlichkeit doch wieder zuzulassen? – Vermutlich hätte er Petrus in genau demselben Ton zurechtgewiesen: Weg von mir!

Fragen auch wir unseren Herrn weniger: Hättest Du das nicht auch anders machen können? Öffnen wir unser Herz für Gott. Und fragen wir ihn doch einmal: Was können wir an uns selbst anders machen?


Georg Dietlein (Foto), geb. 1992 in Köln, studierte parallel zu seiner Gymnasialzeit seit 2006 Katholische Theologie und Philosophie in Köln und Bonn. 2008 veröffentlichte er sein Erstlingswerk zum mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham. 2009 folgte ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Mit Erlangung seines Abiturs setzte er 2010 das Studium der Rechtswissenschaften fort und begann zusätzlich ein Studium der Betriebswirtschaftslehre. Er ist kirchlich, politisch und gesellschaftlich engagiert und veröffentlicht regelmäßig in juristischen Fachzeitschriften. 2011 gründete Georg Dietlein gemeinsam mit Kölner Studierenden die erste selbständige studentische Rechtsberatungsgesellschaft in Deutschland - „Student Litigators“. Nach seinem rechtswissenschaftlichen Studium möchte Georg Dietlein ins Priesterseminar eintreten.
Foto Georg Dietlein: © www.student-litigators.de


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