Vatikan: Ist die Erde eine leicht gebogene Scheibe...

14. August 2012 in Aktuelles


… und der ehemalige Päpstliche Kammerdiener Paolo Gabriele ein Einzeltäter ‚ohne Komplizen’, ein gesalbter ‚Infiltrierter des Heiligen Geistes’? Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Der „Infiltrierte des Heiligen Geistes“ hat gesprochen und gehandelt. Als solcher sieht sich der ehemalige Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, wie aus den gestern veröffentlichten Akten hervorgeht. „Mission from God“: der Gedanke an Joliet „Jake“ Blues und seinen Bruder Elwood drängt sich förmlich auf, als die beiden „Blues Brothers“ begannen, ihre alte Band neu zusammenzustellen, um das Geld für das Fortbestehen eines Waisenhauses aufzutreiben. In John Landis Film aus dem Jahr 1980 kam es zum Happy End der „Mission from God“. Im Vatikan zur Farce. Wie dem auch sei: das am 13. August veröffentlichte Urteil ist nur der erste Schritt.

Gewiss ist: Paolo Gabriele bleibt bis zum heutigen Tag der einzige Angeklagte, dessen Prozess nach dem vatikanischen Strafrecht im September oder Oktober 2012 seinen Anfang nehmen wird. Er wird des Diebstahls von vertraulichen Dokumenten aus der Päpstlichen Wohnung sowie deren Verbreitung zuerst in der Fernsehsendung „Gli Intoccabili“, dann im Buch des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi „Sua Santità“ und auf den Seiten der Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“ beschuldigt. Die „große Neuheit“ besteht darin, dass nach den vatikanischen Ermittlungen ein zweiter Mann und Angestellter des Staatssekretariats, Programmierer und Informatiker, der Begünstigung beschuldigt wird. Im Schubladen seines Schreibtisches waren in einem an Paolo Gabriele adressierten Umschlag vertrauliche Dokumente gefunden worden.

Liest man das 35 Seiten umfassende Dokument der vatikanischen Anwälte Nicola Picardi und Piero Antonio Bonnet durch, kommt man nicht umhin, sehr erstaunt zu sein. Der Fall wird so, wie er sich seit dem 19. Mai entwickelt hatte, dargestellt. Der Leser wird in die Persönlichkeit Gabrieles eingeführt, der zwei psychiatrischen Gutachten unterzogen wurde. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass Gabriele in vollem Bewusstsein und frei gehandelt hatte. Zudem sei er nach wie vor in dem Bereich, in dem er seine Straftaten begangen hatte, „sozial gefährlich“. Vor allem aber handelt es sich nach dem psychiatrischen Gutachten um eine beeinflussbare Person, die ein tiefes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuneigung der anderen hat. Somit steht Gabriele in der Gefahr der Manipulation durch seine Freunde und Verbündete.

Und dennoch: trotz der Aussagen der bis auf Prälat Georg Gänswein nicht namentlich genannten Befragten ergibt sich der Eindruck, als habe Gabriele allein gehandelt. Der Ex-Butler hatte jedoch laut dem psychiatrischen Gutachten „Unruhe, Anspannung, Wut und Frustration“ entwickelt, dies aufgrund seiner Unangemessenheit gegenüber den ihm anvertrauten Aufgaben. Dies habe ihn zum „Subjekt äußerer Manipulationen“ gemacht. Wie auch Prälat Gänswein in einer seiner Aussagen bekräftigt, sei Gabriele ein Mann gewesen, der der ständigen Führung und Leitung bedurft habe: „Er war ein Ausführer“, so Gänswein, „dem daher keine Aufgaben anderer Natur anvertraut werden konnten“. Oft sei es notwendig gewesen, ihm die Dinge mehrmals zu wiederholen. So habe Gabriele jenseits seines Dienstes als Kammerdiener des Papstes nur kleine routinemäßige Aufgaben übernehmen können, nicht mehr. Daher sei es möglich gewesen, dass Gabriele den Fluss von Dokumenten verfolgen konnte, ohne jedoch deren Inhalt zu kennen.

Ein solcher Mann betrachtete sich selbst angesichts des Schlammes im Vatikan, den er zu verspüren meinte, als „Infiltrierter des Heiligen Geistes“, der mit seinem Handeln einen „medialen Schock“ provozieren wollte. Obwohl er erkannt hatte, dass der Besitz der von ihm fotokopierten und entwendeten Dokumente unrechtmäßig gewesen sei, habe er sich aus diversen Gründen zu seinem Handeln berechtigt gesehen. Der Ansicht Gabrieles nach sei auch der Papst nicht richtig über die von ihm kritisieren Vorgänge im Vatikan informiert gewesen: „Da ich das Übel und die Korruption überall in der Kirche sah, war ich sicher, dass ein auch durch die Medien gewirkter Schock heilsam hätte sein können, um die Kirche auf die richtigen Geleise zu bringen“. In gewisser Hinsicht „habe ich gedacht, dass diese Rolle in der Kirche dem Heiligen Geist zukommt, als dessen Infiltrierter ich mich gewissermaßen fühlte“.

Dieser „Infiltrierte“ und oft auch in Widersprüchen verwickelte Diener des Heiligen Geistes sowie die Umstände seines Handelns werfen so manche Fragen auf, die deutlich werden lassen: Vatileaks als „leaks“ ist zwar beendet, das Wichtige muss jetzt aber erst kommen. Sowohl in seinem Interview, das er vermummt in der Sendung „Gli Intoccabili“ am 23. Februar 2012 gegeben hatte, als auch in seinen Äußerungen gegenüber den vatikanischen Anwälten bekräftigte Gabriele, dass Geld kein Motiv gewesen sei. Im Fernsehen erklärte er, dass die „Raben“ im Vatikan „una ventina“ („so um die zwanzig) seien – und leugnete damit bereits zu Beginn des Spitzelskandals die später immer wieder vorgebrachte und von vorneherein unglaubwürdige Theorie des „Einzeltäters“.

Gabriele wollte etwas Gutes für den Papst und die Kirche tun, so seine Version, die seiner Persönlichkeitspsychologie entsprechend durchaus zutreffend sein kann. Dass diese Motivation von anderen ausgenutzt werden konnte, ergibt sich aus den psychiatrischen Gutachten.

Gabriele berichtet, er habe seinem geistlichen Begleiter eine mit dem päpstlichen Siegel versehene Schachtel mit Dokumenten übergeben. Dieser „geistliche Begleiter“ – im vatikanischen Dokument hinter dem Buchstaben „B“ verborgen, habe sie dann verbrannt, ohne sich um den Inhalt zu kümmern. Gleichzeitig habe „B“ Gabriele geraten, nichts zu sagen, alles abzustreiten, und – wenn überhaupt – nur vor dem Papst persönlich die Wahrheit zu sagen. Eine fragwürdige „geistliche Begleitung“.

„W“ und „Y“ – hinter diesen Buchstaben werden die Personen verborgen, die Gabriele über den zweiten Mann aus dem Staatssekretariat Dokumente zukommen lassen haben. Die These des Einzeltäters, der aus edlen, wenn auch kranken Motiven heraus gehandelt hat, wird auch durch diesen Vorgang entkräftet. Vielmehr wird deutlich, dass Gabriele als eine Art schwacher Spielball der verschiedensten Personen gehandelt hat, deren Gründe durch die Untersuchung der vatikanischen Anwälte nicht ans Tageslicht gebracht wurden. Hierzu wird man wohl auf die Ergebnisse der Arbeiten der von Benedikt XVI. eingesetzten Kardinalskommission warten müssen.

Wie „schwach“ die Persönlichkeit Gabrieles ist, ergibt sich auch aus einem fast kuriosen Detail. In seiner Wohnung wurden ein auf „Seine Heiligkeit Benedikt XVI.“ ausgestellter Scheck über 100.000 Euro, ein Goldklumpen sowie eine Übersetzung der „Aeneis“ aus dem Jahr 1581 gefunden – alles Geschenke an den Papst. Der Scheck sei aus Zufall und aufgrund der steigenden Unordnung Gabrieles zwischen den Papieren gelandet – ein Scheck, den niemand anders auf sein Konto hätte einzahlen können. Das Geld bildete eine Stiftung der „Universitad Catolica San Antonio“ von Guadalupe für die Werke der Nächstenliebe des Papstes. Einen Goldklumpen kann man mal übersehen, das ist klar. Das antike Buch jedoch – wurde Gabriele von Prälat Gänswein geliehen, da er damit auf den Lateinlehrer seines Sohnes Eindruck machen wollte. Das Buch habe sich noch in seiner Wohnung befunden und darauf gewartet, wieder zurückgebracht zu werden.

Fazit: Wie in jedem guten Krimi ist das Motiv das Wichtigste, um zur Lösung eines Falls zu kommen. Bei Vatileaks stehen wir vor einem geständigen Verbrecher, der seinen Worten nach aus höheren Idealen heraus gehandelt hat. Diese „Begründung“ mag für den kleinen und ungebildeten Mann Paolo Gabriele vielleicht gar zutreffen. Sicher tritt sie nicht für die noch im Schatten stehenden Hintermänner zu. Nach Geld, das keine Rolle spielt, gehören Eifersucht und Machtstreben zu den stärksten Antrieben, die für den einzelnen auch ein gegen das Gewissen gerichtetes Handeln rechtfertigen können.

Gabriele gibt vor, er habe dem Papst helfen und ihn vor seinen Feinden schützen wollen. Wer sind diese Feinde, die ein Kammerdiener erkannt hat? Entsprechend der leicht beeinflussbaren und manipulierbaren Psyche Gabrieles und seiner Souffleure dürfte es sich dabei wohl um die ersten Mitarbeiter des Papstes handeln: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und Prälat Georg Gänswein. Nicht umsonst ist in den Monaten des Vatileaks-Skandals immer wieder betont worden: gerade die ersten Mitarbeiter des Papstes mit Bertone an der Spitze würden Benedikt XVI. nicht schützen, wie es sich gebührt, sie seien ungeeignet, um diesen besonderen Pontifikat in seiner Bedeutung und Tiefe hervorscheinen zu lassen. Die Medien spielten dieses teuflische Spiel eifrig mit.

Ein Spiel, das es nicht scheut, den Vatikan, den Heiligen Stuhl und die engsten Mitarbeiter des Papstes als das Land und die Bewohner von Absurdistan darzustellen. Ein „Kampf“ zwischen Amok laufenden Fraktionen, mit einem großen Ziel: den vielen zu mächtig und eigenwillig erscheinenden Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone zu diskreditieren und den Papst zu „zwingen“, ihn – am besten vorzeitig, am besten sofort – in Pension zu schicken. Nicht selten wurde suggeriert, dass Bertone immer isolierter sei (obwohl der Papst dem persönlich mehrmals widersprochen hat). Und immer wieder wurde es nahe gelegt, dass es gar – aus verschiedenen Gründen – einen Gegensatz zwischen Kardinal Bertone und dem Privatsekretär des Papstes gebe, bildet doch Gänswein in seiner absoluten Treue und Loyalität einen mächtigen Schutzwall um Benedikt XVI. und garantiert so, dass der Papst sich aller Umstände und Dimensionen der verschiedensten Problematiken bewusst ist. So verwundert es kaum, dass die Angriffslinien der satanischen Kräfte immer mehr auf einen der engsten Mitarbeiter Benedikts XVI. zuliefen.

Dieselbe Stoßrichtung wird deutlich, liest man die beiden gestern veröffentlichten Dokumente genau.

Zum Schluss muss die Frage gestellt werden: Wenn der Rabe und seine Helfershelfer und Rädelsführer (denn dass es diese gibt, bezweifelt keiner, und Gabriele selbst sprach von "so um die zwanzig" weiteren in den Skandal verwickelten Personen) Benedikt XVI. und seinen Pontifikat schützen wollten – warum haben sie dies nicht im Jahr 2010 getan, als der Papst allein auf weiter Flur den damals wütenden Missbrauchsskandal bewältigen musste? Den Papst schützen – ein gutes Vorhaben, würde man meinen. Leider entspricht es nicht der Wirklichkeit, oder entstammt von anderen Phantasien oder Emotionen verzerrten Gehirnen.

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