Einer verbreiteten Müdigkeit in Glaubensfragen entgegenwirken

4. Juli 2012 in Interview


"Jeder, der sich katholisch nennt, sollte sich auch an die Prinzipien des katholischen Glaubens halten" - - Der neue Präfekt der Glaubenskongregation Müller im Interview - Von Johannes Schidelko (KNA)


Rom (kath.net/KNA)
Papst Benedikt XVI. hat den Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller (64) zum neuen Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation ernannt. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich Müller am Mittwoch zu seinem Wechsel nach Rom und zu Perspektiven seiner neuen Tätigkeit:

KNA: Herr Erzbischof, was empfinden Sie angesichts Ihrer Ernennung?

Müller: Dankbarkeit für das Vertrauen, das der Papst mir schenkt. Es ist keine leichte Aufgabe, wenn man sich das Ganze der Weltkirche vor Augen hält; aber es ist eine schöne Aufgabe, dem Papst in seinem Lehramt dienen zu können. Das Amt hat eine universalkirchliche Dimension - und hat nichts mit Zentralismus zu tun.

KNA: Seit wann wussten Sie, dass Sie nach Rom gehen werden?

Müller: Schon etwas länger. Aber der Amtswechsel musste seinen geordneten Gang gehen.

KNA: Wissen Sie, warum der Papst Sie ernannt hat? Wollte er einen Deutschen, einen Theologen, einen Vertrauten?

Müller: Es ging sicher nicht um die Nationalität, und als Katholiken gehören wir alle zur Weltkirche. Aber der Heilige Vater kennt mich und meine theologische Arbeit, nicht nur als Buchautor, sondern auch als Experte bei Bischofssynoden in Rom oder in der Deutschen Bischofskonferenz, in deren Ökumene- und Glaubenskommission.

KNA: Wann treten Sie Ihr Amt an?

Müller: Ich habe es bereits angetreten, am 2. Juli.

KNA: Sie sind jetzt am Vatikan eine der wichtigsten Persönlichkeiten, einer der engsten Mitarbeiter des Papstes. Was sind Ihre ersten Schritte?

Müller: Ich habe mich bereits mit den Verantwortlichen der Kongregation getroffen, um einen Überblick über die alltäglichen Abläufe und Zuständigkeiten zu bekommen. Der Aufgabenbereich ist sehr weit gefächert: Die Glaubenskongregation besteht aus drei Abteilungen: der Lehr-, der Disziplinar- und der Eheabteilung. Dann ist der Präfekt zugleich Präsident der Bibelkommission und der Internationalen Theologenkommission. Wir haben rund 50 unmittelbare Mitarbeiter. Dann gibt es die «Feria quarta», die Versammlung der Kardinäle, die fast alle vier Wochen stattfindet.

KNA: Was sind die inhaltlichen Prioritäten?

Müller: Die Glaubenskongregation ist für die Förderung der Glaubenslehre zuständig, nicht nur für ihren Schutz. Die Neuorganisation der Behörde 1965 hat diesen positiven Aspekt in den Mittelpunkt gestellt. Es geht darum, die Theologie und ihre Verankerung in der Offenbarung zu fördern, Qualitätssicherung zu betreiben, die wichtigen geistigen Entwicklungen der Zeit im weltweiten Maßstab zu sehen. Wir können die Glaubenslehre nicht einfach nur mechanisch wiederholen. Sie muss stets mit den geistigen Entwicklungen der Zeit, den soziologischen Veränderungen, mit dem Denken der Menschen in Zusammenhang gebracht werden.

KNA: Wo wollen Sie besondere Akzente setzen? Was wird Sie in der nächsten Zeit besonders beschäftigen?

Müller: Die Kongregation hat die Aufgabe, den Papst in seinem Lehramt zu unterstützen. Wir müssen uns an den Schwerpunkten orientieren, die er in seiner Verkündigung setzt. Bei seiner Deutschlandreise hat Benedikt XVI. die Gottesfrage in den Mittelpunkt gestellt. Er hat auch von der «Entweltlichung» der Kirche gesprochen - ein Thema nicht nur für Deutschland. Es geht um das richtige Verständnis vom Wesen und der Sendung der Kirche; darum, die richtige Balance zu finden zwischen Abschottung von der Welt und Anpassung - damit wir der Welt wirklich dienen können im Namen Jesu Christi. Insbesondere müssen wir einer verbreiteten Müdigkeit in Glaubensfragen entgegenwirken. Dazu wird das 'Jahr des Glaubens' mit der Erinnerung an 50 Jahre Konzilsbeginn und 20 Jahre Katechismus der Katholischen Kirche Wesentliches beitragen.

KNA: Sie beginnen Ihren Dienst in einer für den Vatikan bewegten Zeit. Fasst der Vatikan derzeit wieder Tritt?

Müller: Konkret weiß ich dazu nicht viel. Man muss abwarten, was die Untersuchung ergibt. Wichtig scheint mir, dass man nicht den guten Dienst der vielen hundert Mitarbeiter in den Kurienbehörden übersieht. Sie werden ungerechterweise mit diesen Einzelaktionen in Verbindung gebracht; es entsteht der Eindruck, als ginge alles drunter und drüber. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein.

KNA: Ein nächstes großes Thema in Rom ist das Konzilsjubiläum. Was erwarten Sie von dem Rückblick?

Müller: Wir brauchen keine Hermeneutik, die von außen an das Konzil herangetragen wird. Es gilt die Hermeneutik zu entdecken, die im Konzil selbst enthalten ist: die Hermeneutik der Reform in der Kontinuität, wie der Heilige Vater wiederholt unterstrichen hat. Ein Konzil ist die Ausführung des obersten Lehramtes der Kirche in der Gemeinschaft der Bischöfe zusammen mit dem Papst.

In diesem Sinn war das Zweite Vatikanische Konzil eine großartige Veranstaltung, wenn auch von einem etwas anderen Typ als manche früheren Konzilien. Es war seine legitime Absicht, nicht nur auf bestimmte Irrtümer einzugehen und sie zu korrigieren, sondern eine Gesamtdarstellung des katholischen Glaubens zu bieten. Es wollte nicht viele Einzelelemente, sondern den großen Zusammenhang, die große Architektur der Kirche mit weiten Räumen darstellen, in denen man sich zu Hause fühlt und gerne wohnt.

KNA: Das Konzil schaffte freilich auch Probleme, etwa für die Piusbrüder.

Müller: Jeder, der sich katholisch nennt, sollte sich auch an die Prinzipien des katholischen Glaubens halten. Diese werden ja nicht von der Glaubenskongregation oder sonst jemandem vorformuliert, sondern sind uns in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus vorgegeben, die der Kirche anvertraut ist. Man kann daher nicht einfach auswählen, was einem in ein vorgegebenes Schema hineinpasst.

Vielmehr muss man sich dem Ganzen des christlichen Glaubens, dem ganzen Glaubensbekenntnis, der Geschichte der Kirche und ihrer Lehrentwicklung öffnen. Man muss sich der lebendigen Tradition öffnen, die nicht irgendwann - etwa 1950 - abbricht, sondern die weitergeht. So sehr wir auch die Geschichte mit ihren großen Ergebnissen und Wirkungen würdigen, so müssen wir doch sehen, dass jede Epoche auch unmittelbar zu Gott steht. Jede Epoche hat ihre eigene Herausforderung. Wir können nicht eine geschichtliche Epoche zum klassischen Muster erklären, sondern wir wandeln von einem Gipfel zum nächsten Gipfel.

ACHTUNG: Gratulationsmöglichkeit per E-mail [email protected]

kathTube: Vortrag von Bischof Gerhard Ludwig Müller über das 2. Vatikanum



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