‚Unsere Welt braucht Rollenmodelle mehr als Fotomodelle’

15. Juni 2012 in Interview


Leah Darrow, ehemaliges Fotomodell, hat die Schattenseiten der Modelwelt und des Reality-TV erlebt. Im Interview mit KATH.NET spricht sie über ihre Bekehrung und ihre Kritik an der gegenwärtigen Kultur. Von Johannes Graf


El Cajon (kath.net/jg)
Leah Darrow ist in einer katholischen Familie aufgewachsen. Als Jugendliche hat sie ihren Glauben verloren. Nach einer Teilnahme bei „America’s Next Top Model“ hat sie eine vielversprechende Karriere als Fotomodell vor sich gehabt und erreicht, wovon viele Mädchen träumen. Doch während eines Fotoshootings ist etwas passiert, das ihr Leben für immer verändert hat. Jetzt tritt sie für die katholische Apostolatsinitiative „Catholic Answers“ auf und ermutigt Mädchen und Frauen zu einem Leben aus dem Glauben.

Kath.net: Sie sind katholisch aufgewachsen, haben aber langsam den Glauben verloren. Was ist passiert?

Leah Darrow: Katholisch aufzuwachsen ist eine Sache, erwachsen werden und wissen, warum man katholisch ist, eine andere. Als junge Erwachsene habe ich den Glauben nicht bewusst angenommen. In der High-School habe ich Kompromisse gemacht, um dazu zu gehören. Ich habe mein Gewissen und den gesunden Menschenverstand ignoriert. Ich habe die Konsequenzen ignoriert und mich auf das hier und jetzt konzentriert, auf die schnelle Erfüllung. Als ich mit 15 Jahren meine Jungfräulichkeit verloren habe, habe ich auch die Hoffnung verloren. Würde Gott mir vergeben? Meine gleichaltrigen Freunde haben jeden Gedanken, neu anzufangen, um Vergebung zu bitten und mich wieder am Ideal der Reinheit zu orientieren, mit Füßen getreten. Sie haben mir eingeredet, Sex sei keine große Sache.

Ohne meinen Glauben zu kennen und zu verstehen, habe ich mich den Lügen unserer Kultur angepasst: Dass ich glücklich (und ohne schlechtes Gewissen) sein würde, so lange es genug Leute um mich herum gibt, die mir sagen, dass mein Lebensstil o.k. ist.

Kath.net: Sie waren Teilnehmerin der dritten Staffel von „America’s Next Top Model“. Ihre Karriere als Fotomodell hatte gerade begonnen, Sie hatten erreicht wovon viele Mädchen und junge Frauen träumen. Wie war Ihr Leben? Hat es Ihnen gefallen?

Leah Darrow: Bei „America’s Next Top Model“ gab es Momente, die sehr spannend und lustig waren. Es ist so anders als das wirkliche Leben und man überlässt sich leicht dem Gedanken, so (Reality-TV) soll das Leben eigentlich sein. Reality-TV schneidet die Wirklichkeit heraus und zeigt uns eine Fantasiewelt. In dieser Welt kann das Leben glamourös und ohne Konsequenzen sein, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Was sie nicht sagen ist, dass man 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche von Kameras überwacht wird. Die Suite in New York City, in der wir gewohnt haben, wurde umgebaut, alle Türen wurden entfernt. Es gab keine Schlafzimmertür, keine Badezimmertür. Alle Kameraleute waren Männer. Sie haben uns gefilmt während wir geredet, gegessen, gebadet und uns umgezogen haben. Es war entwürdigend. Man erwartet, die ganze Zeit gefilmt zu werden, aber wir haben angenommen, sie würden unsere Privatsphäre respektieren, wenn wir uns umziehen oder während wir im Bad sind – aber das haben sie nicht. Es gab nicht einmal einen Duschvorhang im Badezimmer. Die Grundlage jeder Reality-TV Sendung ist es, die Teilnehmer in jeder Hinsicht zu exponieren.

Die Zeit mit den anderen Teilnehmern, die Reise und das neue Abenteuer haben mir gut gefallen aber es hat mich gestört, für Unterhaltung benützt zu werden.

Kath.net: Während eines Fotoshootings haben Sie etwas erlebt, dass sie zum Glauben zurückgeführt hat. Was war es?

Leah Darrow: Während eines Foto-Shootings für ein internationales Magazin ist meine kleine Vorstellung von der Welt zusammengebrochen. Es hat alles wie bei den meisten Shootings begonnen, mit Friseur, Make-up Stylist. Als der Kleiderständer hereingebracht wurde, habe ich gesehen, dass alle Kleider sehr „mini“ waren. Mir wurde klar, das Ziel des Fototermins war „sexy“. Als ich die Kleider durchgesehen habe, war mir sehr unwohl, aber ich hatte nicht den Mut, einfach zu gehen. Ich dachte mir: „Das ist ein Job, sei professionell – mach es einfach.“ Während der Aufnahmen, als der Blitz einmal meine Augen traf, sah ich mich an einem anderen Ort. Ich sah mich in den Kleidern, die ich gerade anhatte. Ich war in einem weißen Raum und ich wusste, ich war tot. Ich hatte keine Schmerzen und keine Angst. Dann sah ich mich in demselben offenen Raum und wusste dass ich in der Gegenwart Gottes war. Ich sah ihn nicht, es war nur ein inneres Wissen. Schließlich sah ich mich mit hohlen Händen an meinen Hüften, die ich nach oben hob, bis zu meinem Kopf. Mir war klar, das war meine letzte Gabe. Ich gab Gott alles was ich hatte, alles was ich in meinem Leben getan hatte, um ihn zu lieben und ihm zu dienen. Aber es gab ein Problem: Meine Hände waren leer. Ich hatte nichts aus den Gaben und Talenten, die er mir gegeben hatte, gemacht, weil ich sie alle für mich verschwendet hatte. Dann endeten die Bilder in meinem Kopf. Ich merkte, dass mich der Fotograf anschrie. Aber alles, worauf sich mein Herz konzentrieren konnte, war Christus. Durch eine Gnade habe ich die Gegenwart Gottes erfahren und seinen Ruf an mein Herz, mich von der Sünde abzuwenden, seine Barmherzigkeit anzunehmen und mich zu bekehren.

Bevor es mir so recht bewusst war, war ich aus meiner Pose aufgesprungen und hatte den Leuten am Set gesagt, dass ich aufhöre. Niemals zuvor habe ich mich so mutig gefühlt wie in dem Moment als ich an den Männern und Frauen vorbeiging, die mir noch wenige Minuten vorher wichtig waren und deren Ansichten ich nicht in Frage zu stellen wagte. Alles und alle verblassten im Vergleich mit Christus und seinem Ruf an mein Herz.

Ich ging nach Hause und weinte. Nach vielen Tagen tat ich das einzige, was ein Mädchen tun kann ... ich rief meinen Vater an. Ich sagte ihm am Telefon, dass er kommen und mich abholen müsse, sonst würde ich meine Seele verlieren. Es war eine unheimliche Stille am Telefon bis mein Vater sagte: „Ok, mein Schatz, ich komme und hole dich ab.“ Er ist durch das halbe Land gefahren, um mich abzuholen. Als er an meiner Tür war, hatte er das breiteste Lächeln auf, das ich je gesehen habe. Ich war unruhig, verzweifelt und deprimiert, aber mein Vater war fröhlich. Er sagte: „Ich freue mich so dich zu sehen! Aber als erstes gehen wir beichten!“ Aus Angst zögerte ich, aber dann sagte mein Vater etwas, das mich vor eine Entscheidung stellte: „Leah DiAnn, du hast mich angerufen und mir gesagt, du musst nach Hause. Ich bin hier um dich nach Hause zu bringen – und die Kirche ist zu Hause. Wenn du an einen anderen Ort willst, dann rufe bei Southwest Airlines an.“ Mitten im Fotoshooting kehrte ich zu Gott zurück und, mit der Hilfe des Heiligen Geistes und meiner Familie, zurück zu einem Leben aus dem Glauben.

Kath.net: Sie sind jetzt Referentin bei „Catholic Answers“. Welche Themen behandeln Sie bei Ihren Auftritten?

Leah Darrow: Ich spreche über Konversion und Barmherzigkeit und möchte alle ermutigen, einen starken Charakter zu entwickeln und ein tugendhaftes Leben zu führen, großzügig im Geist Gottes zu lieben und dieses Licht mit anderen zu teilen.

Kath.net: Sie stehen unserer gegenwärtigen Kultur, wie wir sie in der Popmusik, der Modewelt, den Medien, etc. erleben, sehr kritisch gegenüber. Was gefällt Ihnen nicht?

Leah Darrow: Wir leben in einer Welt, in der universelle Toleranz erwartet und kritisches Denken ungern gesehen wird. Wenn unsere Kultur die Menschen ermutigt, Tugend und Charakter zu vernachlässigen, sollten wir nicht zu feig sein, um Fragen zu stellen, Bedenken zu äußern und der Tugend eine Stimme zu geben. Es gibt genügend Talente in Mode, Musik, Medien und Technik, was uns fehlt ist die Fähigkeit, richtig und falsch zu unterscheiden und diesen Unterschied anzusprechen.

Kultur ist der gesellschaftliche Ausdruck unserer Werte. Wenn die Werte vernachlässigt werden, dann drückt die Kultur Unordnung aus. Was mir nicht gefällt ist die gegenwärtige Toleranz gegenüber allem außer der Tugend. Scheinbar haben wir Angst, das auszusprechen, was Logik und Wahrheit von uns verlangen, weil wir Angst vor Zurückweisung oder Verfolgung haben. Was ich nicht mag, ist diese Angst und diejenigen, die diese Angst fördern.

Kath.net: Was würden sie einer Teenagerin raten, die Fotomodell werden möchte?

Leah Darrow: Ich bin fest davon überzeugt, dass Mädchen und Frauen dieser Welt mehr zu bieten haben als ein hübsches Foto. Es gibt Bereiche, in denen es sanfter zugeht, aber auch sie schaffen einen Raum für Eitelkeit, Egoismus, die letztlich unglücklich machen. Unsere Welt braucht Rollenmodelle mehr als Fotomodelle. Wir brauchen starke Frauen, die die Standards von Schönheit und Erfolg in Frage stellen und mehr von unserer Kultur fordern. Der verstorbene Erzbischof Fulton Sheen hat gesagt: „Wenn ein Mann eine Frau liebt, muss er ihrer würdig sein. Je tugendhafter sie ist, je vornehmer ihr Charakter, je mehr sie sich der Wahrheit, Gerechtigkeit und Güte verpflichtet hat, desto mehr muss sich ein Mann bemühen, ihrer würdig zu sein. Die Geschichte der Zivilisation könnte unter dem Aspekt des Niveaus ihrer Frauen geschrieben werden.“

Unsere Kultur braucht mutige Frauen, die die Tugend hoch schätzen, um sie kämpfen und die Krone des Sieges erringen.

Kath.net: Wir danken für das Interview.


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