Jörg Splett: Nur eine Wahrheit, aber verschiedene Perspektiven

13. Juni 2012 in Interview


Der Philosoph Jörg Splett über die „Diktatur des Relativismus“: „Wir sind nicht der liebe Gott, wir kriegen Sätze unter Umständen nicht zusammen, wir müssen sie einzeln verteidigen.“ KATH.NET-Interview von Christof Zellenberg


Heiligenkreuz (kath.net/cz/pl) „Ich würde gern einen Unterschied machen zwischen „widersprüchlich“, das geht nicht, und „unvereinbar“, was es gibt. Wir sind nicht der liebe Gott, wir kriegen Sätze unter Umständen nicht zusammen, wir müssen sie einzeln verteidigen. Wir verteidigen: Einen Gott in drei Personen. Das soll mal einer zeigen, wie er das wirklich zusammendenkt oder zusammenschließt.“ Dies sagte der emeritierte Philosophieprofessor Jörg Splett im kath.net-Interview während der Tagung zu „Diktatur des Relativismus“ in Heiligenkreuz.


kath.net: Herr Professor Splett, wie stehen Sie zu diesem Thema „Diktatur des Relativismus“?

Splett: Natürlich bin ich gegen die Diktatur des Relativismus, wie wir alle, die wir da sind. Auf der anderen Seite gehört es ja zu den klassischen Einsichten der Metaphysik, dass nichts ganz falsch ist.

Es gibt gar nichts, was ganz falsch ist, genau wie es nichts gibt, was ganz böse ist, es gibt kein Absolutum dort. Also, was ist denn so der Wahrheitskern dadrin? Man könnte ja sagen, relativ – also bezogen auf –, das gehört sicher mit zur Wahrheit.

Relativismus ist ja dadurch ausgezeichnet, das Wort hat man halt geprägt, dass auch einander widersprechende Sätze falsch sein könnten. Wenn ich das durchstreiche, würde ich gern eintreten für eine Bezüglichkeit der Wahrheit. Ich werde nachher etwas sagen in Anknüpfung an Johannes Paul II., dass es Wahrheit durchaus im Plural gibt.

Mir ist es nämlich öfter begegnet, dass man so als Antwort auf den Relativismus sagt: Es gibt nur eine Wahrheit. Ja, natürlich, es gibt nur eine Wahrheit, Jesus Christus hat gesagt, er ist die Wahrheit, aber da es ja verschiedene Perspektiven auf die eine Wahrheit gibt, oder drücken wir es anders aus, dass es verschiedene wahre Meinungen gibt.

Meinungen, die sich widersprechen, können nicht beide wahr sein. Aber Meinungen, die verschieden sind, ohne sich zu widersprechen, die kann es doch geben, und das kann sogar soweit gehen, dass sie für uns normalerweise nicht vereinbar sind.

Also, ich würde gern einen Unterschied machen zwischen widersprüchlich, das geht nicht, und unvereinbar, was es gibt. Wir sind nicht der liebe Gott, wir kriegen Sätze unter Umständen nicht zusammen, wir müssen sie einzeln verteidigen. Wir verteidigen: Einen Gott in drei Personen. Das soll mal einer zeigen, wie er das wirklich zusammendenkt oder zusammenschließt. Ich glaube, dass das zu jeder tiefen Glaubenswahrheit gehört, dass wir abwehren müssen Versuche, sie als widersprüchlich zu zeigen, aber dass es uns nicht gelingen muss, zu zeigen, wie wir das nun durchdringend und begreifend denken können, weil es über unserem Verstand sein darf, nur nicht gegen ihn.“

kath.net: Aber ist da nicht auch eine Gefahr darin, dass wir dann zum Beispiel in einem politischen Diskurs oder auch in einem theologischen Diskurs, vielleicht dann in manchen Punkten gar keine klare Position mehr beziehen können, und wo ist dann, wenn wir an einen solchen Punkt kommen, wo ist dann unser letzter Referenzpunkt?

Splett: Die Gefahr besteht ohne weiteres. Nur ist das nichts Neues.

Wie bringen Sie zum Beispiel, fangen wir mit dem Neuen Testament an, die verschiedenen Christologien der Synoptiker und Johannes und Paulus auf einen Nenner? Wie bringen Sie die verschiedenen Christusbilder der großen Orden, der Benediktiner, der Jesuiten, der Franziskaner oder so auf einen Nenner? Das wär gar nicht gut, sie auf einen Nenner zu bringen, man muss sie noch nicht einmal so als Superchrist so zusammenbringen können für sich. Sondern die Spiritualität des einen ist nicht einfach die des andern.

Also es gibt Fragen, wo ich glaube, dass man es offen lassen kann, wie sich etwas durchsetzt. Bei uns an der Theologischen Hochschule St. Georgen war das jahrelang ein Dauerbrenner: Die jungen Männer, die zum Priesteramt dort studierten, da waren die einen bei der Bundeswehr gewesen und die anderen im Zivildienst. Ich hab den Leuten gesagt: Ihr könnt diskutieren und miteinander versuchen zu werben und zu kämpfen, was ich von euch aber nicht hören möchte, ist, dass jemand, der anderer Meinung ist als der eine, ein Christ zweiter Klasse ist.

Ich stimme Ihnen also zu: Es gibt Dinge, die bleiben offen und da ist keine Eindeutigkeit zu kriegen. Das hat das II. Vatikanum gesagt: Christen können besten Wissens und Gewissens in nicht unwesentlichen Fragen verschiedener Meinung sein.

Das gilt aber nicht für alles, es bleiben genug Punkte übrig, wo man in aller Deutlichkeit sagen kann, was hingehört. Nicht, was sich jemand so zurechtlegt und was sich heute die Leute denken, was Gewissen heißt, das ist es wirklich noch nicht.

Man kann jetzt alles Mögliche aufzählen, nehmen wir bloß zum Beispiel die Abtreibung, wo man wirklich nicht sagen kann, man kann hier guten Gewissens so etwas einführen. Aber es gibt andere Bereiche, wo es offen bleibt und ich sehe schon auch eine Gefahr – das hat man immer auch so gesagt – bei Häresien, dass sie die Verteidiger der Wahrheit in die Gefahr bringen, eine entgegengesetzte Häresie zu vertreten.

Also: Der Relativismus und seine Diktatur hat schon eine Gefahr, dass es so die Verteidiger der Wahrheit in fundamentalistische Positionen treibt – nicht in das, was die Fundamentalisten fundamentalistisch nennen -, sondern was es objektiv ist, mit einer gewissen Reserve beispielsweise gegenüber dem Denken, auch in so manchen charismatischen Bewegungen oder Kreisen.

Wenn man das überwindet und das offenhält, ist das eine Chance. Und dass wir dann nicht so schlagkräftig sein können wie irgendwelche Häresien und Ideologien, damit müssen wir leben.

kath.net: Das heißt aber auch: Man muss aber auch wirklich sich bewusst sein, ist etwas tiefer Inhalt, fundamentaler Inhalt, der nicht diskutabel ist, oder ist etwas – Sie haben auch von den verschiedenen Christusbildern gesprochen – oder ist etwas auch eher Form, die sich dann um diesen Inhalt herumschließt. Das heißt, in der Form müssen wir offen bleiben, aber den tiefen Inhalt, dessen wir uns bewusst sein müssen, den müssen wir verteidigen, der ist nicht diskutabel.

Splett: Der Inhalt ist überhaupt nicht diskutabel, der ist eindeutig und selbig. Ich würde den Unterschied machen zwischen selbig und gleich. Also ich kann dasselbe auf verschiedene Weise ausdrücken, und diese verschiedenen Weisen, die deshalb auch niemals das ganze Selbe sind, weil es nicht ausschöpfbar ist, diese müssen sich auch ihrer Grenzen bewusst bleiben.

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