'Die Ehe ist unauflöslich'

4. März 2012 in Schweiz


Müsste nicht manche kirchliche Trauung abgesagt oder verschoben werden, weil die notwendigen Voraussetzungen für eine christliche Ehe fehlen?- Das Hirtenwort von Bischof Huonder vorab auf KATH.NET


Chur (www.kath.net)
KATH.NET dokumentiert exklusiv vorab den Hirtenbrief zur Fastenzeit 2012 von Vitus Huonder, Bischof von Chur:

Brüder und Schwestern im Herrn,

„Die Ehe soll von allen in Ehren gehalten werden.“
Diese Ermahnung entnehmen wir dem Brief an die Hebräer (Hebr 13,4). Es ist dem Verfasser des Schreibens wichtig, bei den verschiedenen Hinweisen auf die christliche Lebensführung die Ehe eigens zu nennen. Das zeigt uns, welchen Stellenwert die Ehe im Leben der Kirche von Anfang an hatte. Eine gut geführte Ehe galt als ein unverzichtbares Glaubenszeugnis. Das intakte Ehe- und Familienleben war selbst Maßstab bei der Nachprüfung, ob jemand in der Kirche eine Aufgabe übernehmen kann (vgl. 1 Tim 3,4; zur gesamten Lehre der Kirche zum Sakrament der Ehe vgl. den Katechismus der Katholischen Kirche 1601-1666).

Anderseits wird das Wort aus dem Brief an die Hebräer auf dem Hintergrund bestehender Probleme zu interpretieren sein. Der Verfasser muss es als notwendig erachten, darauf zu verweisen. Offenbar wird die Ehe nicht von allen respektiert. Es entstehen bittere Situationen. Daher fährt der Autor in einem auffallend strengen Ton fort: „... das Ehebett bleibe unbefleckt, denn Unzüchtige und Ehebrecher wird Gott richten.“

Verankerung in der Heilsgeschichte

Die [heutige] Lesung des dritten Sonntags der Fastenzeit des Lesejahres B kommt auch auf die Ehe zu sprechen. Die Zehn Gebote, der Kern des Gesetzes des Alten Bundes, greifen das Thema zweimal auf: Im sechsten Gebot im Wortlaut „Du sollst nicht die Ehe brechen“, im neunten Gebot mit der Formulierung „Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen“ (Ex 20,14.17). In diesen zwei Geboten spiegelt sich die Sorge Gottes um die Ehe wieder. Denn Gottes Gebote sind eine Hilfe zum Gelingen des Lebens, daher auch zum Gelingen der Ehe.

Diese Sorge Gottes zeigt sich weiter darin, dass die ganze heilige Schrift von Hinweisen auf das Eheleben durchdrungen ist (vgl. Lev 18,6-18.19-20; Dtn 22,13-21.22.23-27.28-29; 23,1; 24,1-4.5; Spr 5,1-23; 6,20-7,27; Tob 7,13; Weish 14,26; Sir 23,16-27; 1 Kor 7,1-40; Eph 5,21-33; Kol 3,18-19; 1 Petr 3,1-7. Dies ist keine erschöpfende Aufzählung. In diesen Schrifttexten ist oft die Rede vom Ehebruch. Die Ehe wird oft von dieser negativen Seite her ins Spiel gebracht. Positiv steht aber dahinter das Bestreben, die Ehe zu schützen.). Die Ehe ist ein hohes Gut, das erkannt, gepflegt, erhalten und geschützt werden will. Die vielen Vergleiche mit der Ehe, welche das Verhältnis Gottes zu seinem Volk umschreiben, bestätigen diese Feststellung (vgl. etwa das Buch des Propheten Hosea).

Heutige Wirklichkeit

Im vergangenen Jahr haben wir in unserer Diözese den ersten Tag der Ehe durchgeführt und damit die Anregung im Hirtenbrief 2011 aufgegriffen („Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27). Ein Wort zum Sakrament der Ehe, Hirtenbrief zur Fastenzeit 2011). Es war ein Tag der Besinnung auf die Werte der Ehe im Allgemeinen, auf die Ehegemeinschaft als Hauskirche im Besonderen, ein Tag ebenso der gegenseitigen Bestärkung und Ermutigung, schließlich ein Anlass zur Erneuerung des Eheversprechens.

Diese Begegnung mit jüngeren und älteren Ehepaaren hat gezeigt, wie heute noch Ehe gelingen kann. Und sie gibt mir Anlass, allen Ehepaaren, die in Liebe und Treue ihren gemeinsamen Weg gehen, für ihr Glaubenszeugnis Dank zu sagen. Von dieser positiven Erfahrung ausgehend, spüren wir, dass Gottes Geist auch in unserer Zeit wirkt, auf die Ehen Einfluss nimmt und hilft, die Gemeinschaft von Mann und Frau in Harmonie mit Gott zu leben, den Alltag familienfreundlich zu gestalten sowie Probleme im gemeinsamen Leben anzupacken und zu lösen.

Diese Feststellung ist umso wichtiger, als die Statistik der Eheschließungen und der Ehescheidungen der vergangenen 40 Jahre ein düsteres Bild zeichnet. Waren es 1970 noch 15 Prozent der Ehen, die geschieden wurden, kam man 2009 auf das Dreifache, nämlich auf 47 Prozent (Quelle: Bundesamt für Statistik, Statistik des jährlichen Bevölkerungsstandes (ESPOP) und der natürlichen Bevölkerungsbewegung (BEVNAT)). Da die Ehe ein hohes Gut darstellt und unserer sorgenden Aufmerksamkeit bedarf, muss uns das Ausmass dieser Entwicklung beschäftigen.

Folgen einer Entwicklung

Jede Ehescheidung ist ein menschliches Drama. Keine Scheidung darf uns unberührt lassen, auch wenn uns scheinen will, dass wir ohnmächtig vor dieser Entwicklung stehen. Die Folgen der Ehescheidung sind in mehrfacher Hinsicht schwer: Für das Paar selber, für die Kinder, sofern Kinder da sind, für die Gesellschaft, schliesslich auch für die Glaubensgemeinschaft sowie die Gottesbeziehung. Wir müssen alles unternehmen, um solche Dramen vermeiden zu helfen und die betroffenen Menschen mit unserer Sorge um ihr zeitliches Wohl, aber ebenso um ihr ewiges Heil umgeben.

Die Folgen für die Glaubensgemeinschaft und die Gottesbeziehung werden uns bewusst, wenn wir das Wort Gottes betrachten und uns in die Weisungen des Herrn vertiefen. Denn die Lehre des Herrn ist klar: Die Ehe ist unauflöslich (vgl. Mt 19,3-12; Mk 10,2-12; Lk 16,16-18). Deshalb geben jene Getrennten und Geschiedenen, welche allein bleiben, ein kostbares Zeugnis für die Unauflöslichkeit der Ehe. Denn in gewissen Fällen ist es nicht nur erlaubt, sondern unvermeidbar, dass eine Trennung erfolgen muss. Indem die betroffenen Personen jedoch eine Wiederverheiratung ausschließen, halten sie sich an das einmal gegebene Wort und nehmen die Lehre unseres Herrn ernst.

Die Folgen für die Gottesbeziehung sind vor allem im Falle einer Wiederverheiratung schmerzhaft, da wiederverheiratete Geschiedene nicht zu den Sakramenten zugelassen sind (vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum Caritatis (22. Februar 2007), 29).

Betroffene kommen nämlich durch ihre Entscheidung, eine neue Partnerschaft einzugehen, in eine Situation, die den Empfang der Sakramente verunmöglicht. Umso mehr müssen sich die Seelsorger diesen Gläubigen mit besonderem Feingefühl zuwenden und ihnen helfen, ihre Situation im Angesicht Christi zu überdenken, um immer mehr ins Verständnis seiner Lehre, aber auch in die Macht seiner erlösenden Liebe hin-einzuwachsen.

Daraus kann eine Kraft entspringen, die zu einer neuen Sicht der Dinge führt und hilft, die Weisungen unseres Herrn anzunehmen und dem Leben eine Orientierung nach dem Herzen des Erlösers zu geben. Leider sind bestehende kirchliche Angebote, um zivilrechtlich wiederverheiratete Geschiedene neu und tiefer ins Leben der Kirche zu integrieren, oft nicht bekannt. Doch haben sie schon manchen Betroffenen zu einer neuen und verstärkten Christusbeziehung und zu einer vertieften Erkenntnis der Haltung und der Disziplin der Kirche verholfen.

Auch möchte ich auf die Möglichkeit hinweisen, ein Ehenichtigkeitsverfahren durchzuführen. Selbstverständlich geht es hier nicht um eine Form der Ehescheidung, sondern darum, von vorneherein ungültige Eheschliessungen zu erkennen und so den Betroffenen eine kirchliche Eheschliessung zu ermöglichen.

Fragen an die Seelsorger

Nochmals auf die erwähnte Statistik zurückgreifend, müssen wir uns fragen, ob Traupaare genügend in die Ehe und ihren christlichen Gehalt eingeführt werden. Wird ihnen die Tragweite des Versprechens bewusst gemacht? Werden die Fragen bezüglich der Bereitschaft zur christlichen Ehe ehrlich beantwortet? Ja, wird die liturgische Form der Trauung, die in sich eine wunderbare Ehekatechese ist, überhaupt eingehalten?

Aus Gesprächen bezüglich Nichtigkeitsverfahren geht nicht selten hervor, das die Unterweisung mangelhaft war, oder dass absichtlich gewisse liturgische Formulierungen ausgeblendet wurden wie etwa „bis der Tod euch scheidet.“

Dazu stellen sich noch folgende Fragen: Werden die Traupaare auf ihre geistig-seelische Reife genügend geprüft? Müsste nicht manche kirchliche Trauung abgesagt oder verschoben werden, weil die notwendigen Voraussetzungen für eine christliche Ehe fehlen? Treten Paare wirklich im Glauben an das Sakrament an den Traualtar? Wollen sie den Ehebund wirklich mit Blick auf Christus und auf dem Fundament seiner Lehre eingehen?

Wenn wir die Ehe nur als eine rein gesellschaftliche Grösse betrachten und den Tag der Trauung als einen Event werten mit möglichst vielen Überraschungseffekten - darunter auch kirchlichen -, kommen wir an den gestellten Fragen rasch vorbei. Alles ist ja dann in diesem Fall nicht so ernst zu nehmen und nicht auf Dauer angelegt. Als Christen können wir aber nicht so denken, vielmehr muss uns daran gelegen sein, die Aufforderung des Briefes an die Hebräer umzusetzen: „Die Ehe soll von allen in Ehren gehalten werden.“

Bei der Hochzeit in Kana richtete Maria die besorgten Worte an ihren Sohn: „Sie haben keinen Wein mehr.“ (Joh 2,3) Das war mehr als nur eine Bitte um ein vergängliches Getränk. Es war eine Bitte um den Geist, um den Geist des Glaubens. Nur aus diesem Geist können Eheleute ihr Leben so gestalten, dass sie als Zeugen Christi erkannt werden, eben als Christen.

Diesen Geist möge die Gottesmutter auch unserer Zeit erbitten. Mit diesem Wunsch grüße ich Euch alle recht von Herzen und erteile Euch gerne meinen bischöflichen Segen

+ Vitus, Bischof von Chur

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Foto: (c) kath.net


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