Die Fastenzeit als 'Schule des Gebetes'

23. Februar 2012 in Spirituelles


Wir brauchen die Bereitschaft, uns für Gott Zeit zu nehmen, besonders für das Gebet: die ganz persönliche Begegnung mit Ihm, das ganz persönliche Gespräch mit Ihm. Von P. Bernhard Speringer ORC / Schweizerisch-katholisches Sonntagsblatt


Goldach (kath.net/Schweizerisch-katholisches Sonntagsblatt) In seiner Botschaft zur Fastenzeit 2012 sagt Papst Benedikt XVI.: »In der Tat ist die Fastenzeit eine günstige Zeit, um mit Hilfe von Gottes Wort und den Sakramenten unseren persönlichen wie gemeinschaftlichen Glaubensweg zu erneuern. Es ist ein Weg, der vom Gebet und vom miteinander Teilen geprägt ist, von Stille und Fasten, in der Erwartung, die österliche Freude zu erleben.« (Nr.1)

Der Papst stellt seine Überlegungen unter das Thema: „Lasst uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen.“ (Hebr 10,24) Er fährt fort und sagt:

Mit diesem vom Papst vorgeschlagenen Programm kann die Fastenzeit zu einer echten geistlichen Erneuerung werden. Und dennoch können Glaube, Hoffnung, Liebe und alle anderen Tugenden nicht wachsen, kann es zu keiner persönlichen Beziehung zu Gott kommen, ohne die Bereitschaft, uns für Gott Zeit zu nehmen, besonders für das Gebet: die ganz persönliche Begegnung mit Ihm, das ganz persönliche Gespräch mit Ihm.

Als Priester werde ich oft gefragt, was wohl das Wichtigste für die Kirche heute sei. Trotz der Negativschlagzeilen über Priester haben viele Gläubige doch noch Vertrauen zum eigenen Seelenhirten und erwarten Antworten, Orientierung und Führung. Meine Antwort auf diese Frage ist stets: „Das Wichtigste für die Kirche von heute sind Gläubige, die beten.“

Wäre das nicht ein äußerst geeigneter Fastenvorsatz: sich täglich eine bestimmte Zeit für Gott im Gebet zu nehmen.

Das Beispiel Jesu

Bischof Alvaro del Portillo, Nachfolger des hl. Josemaria Escrivá, hat einmal geschrieben:

“Die sogenannten ‚aktiven Christen‘ sind nicht am wichtigsten für die Kirche. Nicht sie sind es, die der Kirche am besten dienen. Es sind vielmehr die Kontemplativen, die der Kirche am besten dienen, also jene, die den festen, großherzigen und leidenschaftlichen Wunsch haben, die Kirche durch Ihr Gebet und ihr Opfer umzuformen und zu heiligen – mit Christus und in Christus. Es mag widersprüchlich erscheinen, aber in der katholischen Kirche ist der Betende die wirklich aktive Person.“

In der Heiligen Schrift wird uns Jesus immer wieder als “Kontemplativer“, als Betender vorgestellt. Zahlreiche Abschnitte im Evangelium über das Gebet Jesu möchten nichts anderes, als uns zum Gebet nach dem Beispiel Jesu hinführen:

Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel … (Lk 3,21).
Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. (Lk 11,1-3)
In diesen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; sie nannte er auch Apostel. (Lk 6,12-13)
Etwa acht Tage nach diesen Reden nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus beiseite und stieg mit ihnen auf einen Berg, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes, und sein Gewand wurde leuchtend weiß. (Lk 9, 28-29)

Jesus war ein Mann des Gebetes. Vielleicht sind wir in Gefahr zu denken, Jesus habe gebetet, weil er wahrer Gott ist. Aber Jesus war auch wahrer Mensch. „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen.“ (Phil 2,7)

Das Gebet Jesu hat den Himmel geöffnet (vgl. Lk3,21), hat den Hungernden Nahrung gebracht (vgl. Mt 14,16), gab ihm selbst Klarheit in seinen Entscheidungen (vgl. Lk 6,12) – er hat durch sein Gebet Erde und Himmel verbunden. Jedoch nicht nur das Gebet Jesu hat diese Bestimmung. Auch wir können und sollen im Gebet Himmel und Erde verbinden.

Durch das Gebet treten wir in eine tiefe Gemeinschaft mit Gott, wir dürfen uns wie Kinder in Seine Vater-Arme werfen. Im Gebet rufen wir wie und mit Jesus: „Abba Vater“ (Röm 8,15, Gal 4,6). Als Kinder Gottes dürfen wir im Gebet zu jeder Zeit Zuflucht zu unserem Vater im Himmel nehmen, ihm unsere Liebe und Hingabe zeigen. Es geht weniger darum zu empfangen oder etwas zu tun, sondern mehr darum, in Gott zu sein, Ihm unsere Liebe zu schenken – durch unser Wort aber vor allem durch unser ganzes Sein.

Durch das Gebet gewinnt unser alltägliches Leben an Bedeutung. Wir lernen Gott besser kennen und Ihn tiefer lieben. Das Gebet ist wie eine Brille, durch die man im alltäglichen Leben den Willen Gottes besser erkennen und die entsprechenden Entscheidungen für unser Leben treffen können. Durch das Gebet muss die Dunkelheit in unserem Leben weichen und der Weg der Wahrheit wird erleuchtet.

Mir fällt das Beten manchmal soooo schwer…

Kürzlich hat mir jemand geschrieben:

„Warum ist das Beten oft so mühsam? Ich möchte Jesus ganz nah sein. Es gibt nichts in meinem Herzen, das Jesus ablehnen und stattdessen der Welt folgen wollte. Ich liebe Jesus. Daran gibt es keinen Zweifel. Er ist mein Heiland und Erlöser. Ich werde Ihn nie gehen lassen. Soviel ist sicher. Aber warum überträgt sich das nicht in ein lebendiges, reichhaltiges, buntes und erfüllendes Gebetsleben? Ich kämpfe gegen Entmutigung an, gegen Sinnlosigkeit und gegen einen schwermütigen Geist. Und wenn man das mit den Herausforderungen des Berufes, des Haushaltes, der Kindererziehung und anderen Verpflichtungen verbindet, wird das eine echte Herausforderung und ein tägliches Ringen um die Zeit und die Energie zum Gebet. Was mache ich falsch?“

Ich denke, diese Frage stellen sich viele, die sich um ein gutes Gebetsleben bemühen. Und gerade die Fastenzeit ist wie eine 40-tägige Schule des Gebetes. Die Fastenzeit ist wie ein 40-tägiger Exerzitien-Kurs, wo wir wieder neu auftanken können und intensiver beten lernen.

Das Beten ist oft wie eine mühsame Bergwanderung und wir werden gelegentlich von Frust und Zweifel niedergedrückt, statt dass wir gleichmäßig den Weg des Vertrauens und der Treue gehen. Aber nur so wird eine Art „Geistliche Kondition“ oder „Geistliche Ausdauer“ gebildet. Und Training ist oft hart, anstrengend, es ist ein Ringen gegen sich selbst und die eigene Bequemlichkeit. Aber was nehmen Spitzensportler an Selbstüberwindung und Opfer auf sich – um des Erfolges willen. Was sind wir bereit, auf uns zu nehmen – um Jesu willen?

Treue im Gebet

Dieses Ringen und Kämpfen ist natürlich auch eine Gabe, denn das Wichtigste, das wir zu lernen haben, ist schlicht und einfach, treu zu sein. So zu denken, wie es in der „Nike-Werbung“ heißt: “Just do it - Tu’s einfach.“ So, wie ein Muskel durch wiederholte Übungen gestärkt wird, so braucht unser Herz „Training“. Und da gibt es diese schönen Momente, wenn das Gebet froh ist und inspiriert. Und dann gibt es Momente, die sind als ob man sich schwerfällig wie durch dicken Matsch wühlt. Es ist ein Kämpfen und ein Ringen unserer Treue.

Wir brauchen Rituale in unserem Gebetsalltag

Kürzlich habe ich in einem Buch gelesen: “Gehe niemals mit jemandem auf Reisen, der dich immer interessant finden will. Auf einer langen Reise wird es zwangsläufig langweilige Momente geben.”

Der Autor beschreibt in einer beruhigenden Art und Weise den Sinn von Ritualen und guten Gewohnheiten in unserem geistlichen Leben. Nicht alles ist immer aufregend, nicht jedes Gebet oder jede Andacht ist erfüllt von Emotionen und Romantik, was aber keinesfalls bedeutet, dass wir etwas falsch machen. So heißt es weiter in diesem Buch:

“Pflicht und Hingabe ohne Herz werden sich letztendlich nicht selbst erhalten. Dennoch ist es wichtig zu erkennen, und die Tatsache zu benennen, dass sich jede Beziehung in Liebe, Familie, Kirche oder im Gebet nur dann über lange Zeit halten kann, wenn sie in Ritual und Routine verwurzelt ist. Das Ritual stützt das Herz, nicht umgekehrt.”

“Jeder, der nur dann betet, wenn er tatsächlich sein Herz und seine Seele mit einbringen kann, wird das Gebet nicht über lange Zeit aufrechterhalten können. Aber die Gewohnheit des Gebetes, das Ritual, die einfache Treue zum Gebet (wenn man auch treu zum Gebet erscheint, selbst wenn man keine Lust zum Beten hat und ganz gleich, welche Laune man gerade hat), kann das Gebet ein Leben lang aufrechterhalten und im Hin und Her des Herzens und des Kopfes regieren.”

Jesus weiß, welche armseligen Gaben wir ihm an unseren besten Tagen zu überreichen vermögen. Jesus sagt uns nicht, dass wir ihm bei jedem Gebet ein extravagantes Bankett bereiten müssen; der Feind der Seele tut das. So kann er uns vom Gebet abhalten, wenn wir gestresst sind, oder unmotiviert und desinteressiert.“Was soll das Gebet denn, wenn Dein Herz nicht dabei ist…“ lügt er mich an. „Das ist doch verlorene Liebesmühe.“

Deshalb müssen wir uns bemühen dem Lügner zu widerstehen. Es ist niemals verlorene Liebesmühe zu beten, und Satan weiß das. Und ob wir das “Amen” sprechen und uns während des Gebetes besser “fühlen“, spielt überhaupt keine Rolle. Wir bauen unsere geistliche Kondition auf und trainieren den Willen. Wir zeigen dem Herrn in unserer unbedeutenden Weise, dass wir nicht nur dann zu ihm kommen und ihm unsere Liebe schenken möchten, wenn wir uns gut fühlen, sondern dass wir ihm ernsthaft nachfolgen wollen.

Ob das Gebet nun ganz leicht aus einem erfüllten Herzen hervorsprudelt, uns leicht von den Lippen geht, oder ob es sich schwer und mühsam anfühlt – es ist immer gut. Am schwersten scheint zu sein, einfach zum Gebet zu erscheinen und es zu tun. Es wiederholt sich, braucht Zeit, Entschlossenheit, Willenskraft – und Demut. Aber Treue in schweren Zeiten ist der Beweis der Liebe; Treue, wenn es leichter wäre, einfach aufzugeben, ist ein Zeichen echter Hingabe.

Es bleibt also wirklich nur eines zu tun - Beten. Wenn es schwer fällt, um so mehr beten. Wenn wir viel zu tun haben – noch mehr beten. So wird unser Herz in der Liebe gestärkt und der Glaube wächst, ob wir es unmittelbar merken oder nicht. Der Kampf des Gebetes soll uns nicht frustrieren oder entmutigen, sondern uns stärken in der Liebe zu Gott und zum Nächsten.

Gerade die 40 Tage der Fastenzeit sollen für uns eine „Schule des Gebetes“ sein, so dass wir durch das Gebet in diesen 40 Tagen unserem Herrn und Heiland näher kommen und die Liebe, Treue zu Ihm und die vorbehaltslose Hingabe an Ihn wachsen kann.

Original: Leitartikel im «Schweizerisch Katholischen Sonntagsblatt»Nr. 4/2012


© 2012 www.kath.net