Das Herz des Menschen ist wie der Klöppel der Glocke

4. Jänner 2012 in Spirituelles


Das gute Herz, das gute Gewissen, die gute Hand - und der ‚Decke Pitter’: Erzbischof Joachim Kardinal Meisner predigt zur neuen Karnevalssession im Hohen Dom zu Köln


Köln (kath.net/PM) Ein Mensch ohne das gute Herz ist wie eine Glocke ohne Klöppel. Auf diese Erfahrung, dass die St. Petersglocke (auf Kölsch der "Decke Pitter" genannt, siehe Foto), der Glocke 1 des Kölner Domgeläuts, fast im gesamten Jahr 2011 der Klöppel gefehlt hat und nun zur allgemeinen Freude wieder da ist, nahm der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner in seiner Predigt zu den Karnevalisten am Mittwochabend Bezug.

Das Spiegelbild des Herzens sei das Gesicht, daher bedeute christliche Gesichtskosmetik zuerst Freiwerden von Argwohn, Neid, Hass und Missgunst, um Freude, Dankbarkeit und Liebe einziehen zu lassen „in einem guten Morgengebet“.

Was die Radnabe im Rad, ist das Gewissen im Menschen. Wenn ein Mensch dem Gewissen, der Stimme Gottes in seinem täglichen Leben Raum gibt, dann wird unser ganzes Leben zu einem belastungsfähigen Wagenrad.

Die Freude des Karnevals sei dazu da, „um anderen Leuten Freude zu machen und dabei selbst Freude zu finden“. „Dieser Freude ist es nicht wichtig, dass ich die erste Geige spiele, sondern dass ein anderer sich freut, wenn er sie spielen darf.“ „Gott sei Dank, dass wir den „Decken Pitter“ hören und dass uns die gute Hand gegeben ist, die den anderen in den Vordergrund rückt, die sich freut, andere zu erfreuen.“

Die Predigt im Wortlaut

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Was ist Köln ohne den „Decken Pitter“!? Aber was ist der „Decke Pitter“ ohne Glockenklöppel? Das haben wir alle im letzten Jahr erfahren. Am Fest der Heiligen Drei Könige 2011 fiel plötzlich der Klöppel aus der Glocke beim Einläuten zum Festgottesdienst heraus, und erst am Vorabend des Hochfestes der Unbefleckten Empfängnis Mariens - also im selben Jahr am 7. Dezember – läutete der „Decke Pitter“ zum ersten Mal wieder nach der Reparatur.

Elf Monate hatten wir zwar den „Decken Pitter“, aber was nützte diese geniale Glocke, ohne dass sie zu läuten vermochte? Es war ein wenig, als wenn Köln seine Seele verloren hätte. Und seit dem 7. Dezember scheint wieder alles okay zu sein: Der „Decke Pitter“ läutet.

Ich meine, dieses von den Medien in aller Welt reich kommentierte Ereignis mit unserem „Decken Pitter“ sollte uns als Karnevalisten Anlass zur Besinnung für diesen Gottesdienst sein, der am Anfang der neuen Karnevalssession steht.

1. Wenn einem Menschen das gute Herz fehlt, dann mag er eine noch so gute Figur machen, dann hat er keine Ausstrahlung, dann verbreitet er nur um sich eine Atmosphäre der Kühle und der Distanz.

Es ist wie bei unserem „Decken Pitter“. Er war die elf Monate ohne Klöppel im Südturm zu besichtigen. Man konnte ihn fotografieren, aber nicht hören. Es ging kein Klang von ihm aus. Da mag der Glockenmantel noch so schön sein und der Glockenstuhl einwandfrei: es nützt aber alles nichts, er kann den bekannten warmen Ton nicht von sich geben.

Es fehlt eben der kleine Klöppel. Von solcher Wichtigkeit ist das kleine Herz im Leben eines jeden Menschen. Das Herz gibt dem Menschen Profil, Inhalt und Charakter.

Unser Gesicht ist das Schaufenster des Herzens. Wenn wir morgens früh aufstehen, achten wir alle bei der Morgentoilette darauf, dass unser Kopf in Ordnung ist. Das ist auch gut so und soll auch so bleiben.

Aber noch wichtiger ist, in den Spiegel zu schauen, ob auch unser Gesicht in Ordnung ist.

Keiner von uns hat sein Gesicht jemals im Original gesehen. Er sieht es immer nur im Spiegelbild. Im Original sehen es nur die Menschen, mit denen wir täglich zusammenleben, zusammenarbeiten, zusammenwohnen.

Hier ist Kosmetik angesagt, weil ja Gott die Welt als Kosmos erschaffen hat. Gesichtskosmetik meint zuerst die Kosmetik des Herzens, denn das Gesicht ist nur das Spiegelbild des Herzens.

Sorgen wir dafür, dass kein Argwohn, kein Neid, kein Hass und keine Missgunst im Herzen wohnen und wie all die niederen Stallkrankheiten der Menschen noch heißen, sondern sorgen wir in einem guten täglichen Morgengebet dafür, dass Freude an Gott und Dankbarkeit für unser Leben, Liebe zu unseren Mitmenschen und Ehrfurcht vor allem, was lebt, in unser Herz einzieht.

Dann sieht uns jeder gern kommen und bedauert es, wenn wir wieder weggehen. Dann haben der Klang unserer Stimme und der Glanz unserer Augen etwas von dem warmen, tiefen und einladenden Ton der großen Glocke in unserem Kölner Dom, vom „Decken Pitter“, an sich.

Was könnte das für ein Glockenkonzert geben, wenn jeder darauf achtet, dass sein Herz in Ordnung ist und damit dann auch als Folge davon das Gesicht die Herztöne optisch weitergibt.

2. Der „Decke Pitter“ ohne Klöppel ist wie ein Wagenrad ohne Mitte, ohne Radnabe. Wir haben es elf Monate lang gespürt: Der „Decke Pitter“ gab keinen Ton von sich, auch wenn mehrere Motoren das Läutegerät bewegt hätten.

Ein Wagenrad ohne die Radnabe würde degenerieren zu einem einfachen Reifen. Ein solcher könnte nichts tragen, er würde bei jeder Belastung zerknickt. Erst die Radnabe in der Mitte, die dann durch die Speichen mit dem Reifen verbunden ist, ergibt ein festes und belastungsfähiges Wagenrad.

Die Speichen müssen tief mit der Radnabe verbunden sein, und sie müssen tief verbunden sein mit dem Radreifen. Dann wird das Rad stark und fest und ist befähigt, große Lasten zu tragen.

Ähnlich ist es auch mit unserem Leben. Wir haben unsere Hände, mit denen wir arbeiten. Wir haben Füße, mit denen wir laufen. Wir haben einen Kopf, mit dem wir denken.

Ob unsere Lebensäußerungen in die richtigen Bahnen gehen, liegt an unserem Gewissen. Das Gewissen ist nach unserem Bild die Radnabe. Das Gewissen ist dann die Stimme Gottes in jedem Menschen.

Man braucht gar nicht viel über das Gewissen zu reden. Ich glaube, es weiß jeder schon von Geburt an, was das Gewissen ist. Wir reden auch von Gewissensbissen, wenn wir gegen unsere innere Stimme gehandelt haben. Und es ist oftmals sogar die Rede davon, dass im Parlament die Abgeordneten nach ihrem Gewissen entscheiden sollen.

Darum ist es wichtig, dass wir auch unser Gewissen bilden, damit wir richtig entscheiden und damit wir das Gewissen in uns richtig vernehmen.

Die Zehn Gebote Gottes sind die ersten Äußerungen unseres Gewissens. An ihnen kann man ablesen, was gut oder böse ist, ob es uns dann ein gutes Gewissen macht oder ein schlechtes.

Die Fachleute sagen sehr richtig, das Gewissen ist das Wissen vom Naturrecht. Ein gutes Gewissen – so haben wir das als Kinder gelernt – ist ein gutes Ruhekissen.

Wenn ein Mensch dem Gewissen, der Stimme Gottes in seinem täglichen Leben Raum gibt, dann wird unser ganzes Leben zum Wohlklang, dann wird der Mensch zum Segen für seine Mitmenschen, dann hört man ihm gern zu, und dann sieht man ihn aufmerksam an. Er wird für andere zu einem guten Beispiel.

Wenn der „Decke Pitter“ läutet, dann bleiben viele Leute stehen und hören ihm zu. Wo ein Mensch mit einem guten Gewissen lebt, dort schauen viele auf sein Tun und Lassen und hören gern seinem Sprechen zu.

3. Wie die Glocke ohne Klöppel nicht sein kann, um zu läuten, so kann auch Köln ohne Karneval nicht sein. Der Karneval lädt die Menschen immer wieder ein, aus dem Einzeldasein, aus der Familie, aus der Verwandtschaft, aus dem Bekanntenkreis hinauszutreten in die größere Einheit des bürgerlichen Vereins, der kirchlichen Gemeinde oder des Veedels, und zwar nicht nur, um Probleme zu lösen, sondern um Karneval zu feiern.

Das aber bedeutet doch nicht mehr oder weniger, uns unseres Daseins zu freuen, dass wir da sind und dass wir in Kölle sind und dass wir das Leben haben und in Gemeinschaft mit vielen guten anderen Menschen stehen, die zusammenhalten, die zusammenfeiern und die zusammengehen.

Karneval ist nicht in erster Linie da, um Probleme zu machen und Probleme zu lösen, sondern um anderen Leuten Freude zu machen und dabei selbst Freude zu finden. „Man muss die Menschen froh machen“, sagte die hl. Elisabeth, als sie von der Wartburg zu den armen Leuten ging und bei ihnen blieb.

In der Heiligen Schrift wird immer wieder von der Freude gesprochen. Der Apostel Paulus sagt: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Der Herr ist nahe“ (Phil 4,4-5).

Diese Freude, die aus der Nähe des Herrn entspringt, besteht darin, anderen Freude bereiten zu wollen. Dieser Freude ist es nicht wichtig, dass ich die erste Geige spiele, sondern dass ein anderer sich freut, wenn er sie spielen darf.

Dieser Freude ist es nicht wichtig, dass man selbst zum Dreigestirn gehört, sondern dass sie sich darüber freuen, dass andere dazugehören.

Und dieser Freude ist es nicht wichtig, dass man selbst den ersten Karnevalsorden bekommt, sondern dass die anderen sich darüber freuen können, ihn als erste zu erhalten und damit auch den anderen ihre Freude weitergeben.

Richtige Freude steckt an. Dazu braucht man wohl, wie wir sagen, die gute Hand, die den anderen in die erste Reihe schiebt und auf den Sockel hebt.

Was der Klöppel für den „Decken Pitter“ ist, ist für die Karnevalisten die gute Hand, der es gelingt, anderen Freude zu bereiten. Solche Freude steckt an und fällt auf den zurück, der sie verschenkt hat. Darum heißt es mit Recht: „Freut euch des Lebens!“.

Gott sei Dank, der „Decke Pitter“ ist jetzt nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören! Köln hat seine Seele zurück. Gottlob, dass Karnevalisten ein Herz haben, sodass ihr Gesicht leuchtet, auch wenn es nicht angemalt ist.

Und das Herz ist die Wohnung Gottes im Menschen. Und Gott sei Dank, dass unser „Decker Pitter“ wieder zu hören ist und dass uns im Gewissen die innere Stimme gegeben ist, die uns auf die rechten Wege führt. Denn das Gewissen ist die zu hörende Stimme Gottes in uns.

Gott sei Dank, dass wir den „Decken Pitter“ hören und dass uns die gute Hand gegeben ist, die den anderen in den Vordergrund rückt, die sich freut, andere zu erfreuen.

Die Freude an der Freude anderer ist der Lebensstil Gottes im Menschen. Dreimal Gott, dann müssten die Karnevalisten wirklich alles haben, was zu einem gesegneten und frohen Kölner Karneval gehört: das gute Herz, das gute Gewissen und die gute Hand, sodass dann alle Besucher des Kölner Karnevals besser wieder von Köln weggehen werden, als sie zu uns gekommen sind. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln


Kathtube-Video: Der Dicke Pitter läutet wieder!



Foto: (c) www.koelner-dom.de (mit Hörprobe der Glocke)


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