Darum treten wir für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder ein

28. Dezember 2011 in Spirituelles


Der Kölner Kardinal Meisner zum Fest der Unschuldigen Kinder: Vor Gott gibt es keine Differenz zwischen ‚ungeboren’ und ‚geboren’, zwischen den ersten drei Monaten und den letzten sechs Monaten einer Schwangerschaft.


Köln (kath.net/PEK) Das heutige Fest der Unschuldigen Kinder zeige, dass Kinder „immer geschützt werden müssen vor den Interessen der Mächtigen, der Machthaber, der Klugen und der Erwachsenen“. Das sagte der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seiner Predigt zum Fest der Unschuldigen Kinder im Hohen Dom zu Köln am 28. Dezember.

Meisner bezeichnete das Fest Mariä Verkündigung (25. März) als das „erste Weihnachten“. „Das erste Weihnachtsfest hat keinen minderen Rang gegenüber dem zweiten, weil man am 25. März das Kind noch nicht sieht, weil es gerade erst unter dem Herzen Mariens Mensch geworden ist. Vor Gott gibt es keine Differenz zwischen ‚ungeboren’ und ‚geboren’, zwischen den ersten drei Monaten und den letzten sechs Monaten einer Schwangerschaft.“

„Unser armes Volk sollte gegenwärtig den 28. Dezember zum Staatsfeiertag erheben. Wie die Bevölkerungsstatistik der letzten Jahre zeigt, ist die Kinderzahl in Deutschland so massiv zurückgegangen, dass die soziale Sicherheit für unsere Bevölkerung verloren gegangen ist.“

Wenn Krippe und Liedersingen nicht bloße Romantik sein wollen, dann müssten wir heute das bekannte Lied weiter singen: „Zu Köln am Rhein geboren (oder ungeboren) ist uns ein Kindelein, das haben wir auserkoren. Unser eigen soll es sein.“

Die Predigt im Wortlaut:

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

1. Die Kirche feiert gleichsam zweimal Weihnachten im Laufe eines Jahres. Und darum hat sie auch zwei Weihnachtsevangelien.

Das erste Weihnachtsfest feiert sie präzise neun Monate vor dem zweiten Weihnachtsfest. Es ist das Fest der Verkündigung des Herrn am 25. März, bei dem uns das Evangelium von der Verkündigung Mariens zu Gehör gebracht wird: „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft. Und sie empfing vom Heiligen Geist“. „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14), zunächst unter dem Herzen Mariens.

Und dann das zweite Weihnachtsfest am 25. Dezember. Dort heißt es im Weihnachtsevangelium: „Sie wickelte das Kind in Windeln und legte es in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war (Lk 2,7).

Beide Male, am ersten Weihnachtsfest und am zweiten, betet die Kirche das Glaubensbekenntnis. Und bei dem Wort: „Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden“ geht die Kirche auf Erdberührung. Sie kniet dabei nieder.

Ohne das erste Weihnachtsfest, ohne die Menschwerdung des Sohnes Gottes unter dem Herzens Mariens aus der Kraft des Heiligen Geistes, gäbe es kein zweites Weihnachtsfest, keine Geburt im Stall von Bethlehem.

Das erste Weihnachtsfest hat keinen minderen Rang gegenüber dem zweiten, weil man am 25. März das Kind noch nicht sieht, weil es gerade erst unter dem Herzen Mariens Mensch geworden ist.

Das zweite Weihnachtsfest, seine Geburt im Stall von Bethlehem, ist nicht mehr als das erste, obwohl nun der menschliche Leib ganz ausgebildet ist und er außerhalb der Mutter selbstständig das Leben hat.

2. Gott ließ seinen Sohn bei seiner Menschwerdung nicht vom Himmel fallen, sondern er ließ ihn den Weg gehen, den er für alle Menschen vorgesehen hat: neun Monate lang, von der Empfängnis im Mutterleib bis zur Geburt, freilich mit Ausnahme eines irdischen Vaters.

Er hat sich also als Erlöser der Welt mit der Schöpfungsordnung Gottes identifiziert und sie darum nochmals geheiligt. Sie ist an sich schon heilig, weil sie die Schöpfungsordnung Gottes ist, aber sie ist nun nochmals geheiligt, weil der Sohn Gottes selbst diesen Weg mit Maria beschritten hat.

Das spürt man auch diesem Kind gegenüber, das Gottes größtes Geschenk an die Welt ist. Aber auch in allen Kindern zeigt sich Gottes Freigebigkeit an die Menschheit. Jedes Kind verwandelt die Welt zum Positiven.

Man kann es im Alltäglichen erfahren, wo sich ein Mensch mit sorgenvollem und betrübtem Gesicht über eine Kinderwiege beugt: von dort erhebt er sich entspannt, „entsorgt“, verklärt und lächelnd.

Vor Gott gibt es keine Differenz zwischen „ungeboren“ und „geboren“, zwischen den ersten drei Monaten und den letzten sechs Monaten einer Schwangerschaft. Und darum stellt sich die Kirche vorbehaltlos vor die Kinder, namentlich vor die ungeborenen Kinder, weil sie oftmals die gefährdetsten sind.

Das Kind darf nie Mittel zum Zweck werden, wenn es etwa der Familienplanung widerspricht, sodass man dann sein Leben auslöscht. Darum tritt die Kirche von Anfang ihres Bestehens an gegen jede Tötung ungeborener Kinder und natürlich auch der geborenen Kinder ein.

Das heutige Fest der Unschuldigen Kinder zeigt, dass Kinder immer geschützt werden müssen vor den Interessen der Mächtigen, der Machthaber, der Klugen und der Erwachsenen.

Jesus ist deshalb als Obdachloser geboren worden, um sich mit allen ungeborenen und geborenen Kindern zu identifizieren, wo immer sie auch geboren werden mögen. Ein geborenes Kind ist von Natur aus immer obdachlos, wenn die Eltern, die Erwachsenen, ihm nicht eine Unterkunft bereiten. Wie nötig diese Solidarität des Kindes Jesu mit den Kindern der Welt ist, zeigt der grausame Kindermord von Bethlehem.

3. Wir würden Weihnachten verfälschen, wenn wir dabei unsere rührenden und schönen Krippenlieder singen – etwa „Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein. Das hab ich auserkoren, sein eigen will ich sein“ –, ohne die Kinder zu schützen.

Wenn Weihnachten nicht nur fromme Romantik sein soll, dann müssen wir das schöne Weihnachtslied im Hinblick auf jedes Kind, auf jedes ungeborene und geborene und gefährdete Kind weiter singen: „Zu Köln am Rhein geboren (oder ungeboren) ist uns ein Kindelein, das haben wir auserkoren. Unser eigen soll es sein.“

Darum treten wir für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder ein, sei es gelegen oder ungelegen. Oder wir sollten unsere Krippen aus unseren Kirchen herausschaffen. Bethlehem mit seiner Krippe ist nicht Romantik, sondern das ist eine ganz wichtige und ernste Lebenswirklichkeit.

Und weihnachtliche Menschen zu sein bedeutet, Frauen und Männer zu sein, Junge und Alte, Große und Kleine, die immer auf der Seite der gefährdeten Kinder stehen und sich schützend vor sie hinstellen und für ihr Lebensrecht einstehen, ob man uns damit hören oder sehen will oder nicht.

4. Unser armes Volk sollte gegenwärtig den 28. Dezember zum Staatsfeiertag erheben. Wie die Bevölkerungsstatistik der letzten Jahre zeigt, ist die Kinderzahl in Deutschland so massiv zurückgegangen, dass die soziale Sicherheit für unsere Bevölkerung verloren gegangen ist.

Wir gehören materiell zu den reichsten Völkern der Welt und gleichzeitig zu den kinderärmsten auf Gottes weiter Erde. Da stimmt doch etwas nicht!

Das geistige und spirituelle Niveau eines Volkes zeigt sich immer darin, in welcher Weise Familien, Kindergärten, Schulen politisch gewertet und gefördert werden. Wir können uns doch in Politik und Alltagsleben nicht damit abfinden, dass jährlich etwa die Einwohnerzahl einer Großstadt wie Koblenz oder Remscheid abgetrieben wird. Da stimmt doch etwas mit unserem Volk nicht mehr!

Und ich meine, wir haben wohl das Wissen verloren, dass ein Kind - geboren oder ungeboren - ein kleiner, vollwertiger Mensch ist. Wir wissen nicht mehr, woher er kommt, mit welcher Verheißung er gesegnet ist und welche unverzichtbare Aufgabe er in der menschlichen Gesellschaft hat.

Der 28. Dezember ist für uns mit Recht zu einem Tag der Wertschätzung und der Verteidigung menschlichen Lebens, das heißt konkret unserer Kinder, geworden. Und damit ist das Fest der Unschuldigen Kinder gleichsam auch das Fest der Zukunft unseres Volkes.

Der Herr lässt durch den Propheten ausrichten: „Ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben“ (Jer 29,11). Eine Mutter, die ein Kind unter ihrem Herzen trägt, bezeichnen wir landläufig als eine „Frau in guter Hoffnung“.

Sie trägt damit die Zukunft der Menschheit, die Zukunft unseres Volkes, die Zukunft ihrer Familie unter ihrem Herzen und ist darum allen Schutzes und aller Unterstützung in der sozialen Gesetzgebung wert, denn sie ist zugleich bekanntlich auch allen menschlichen Gefährdungen ausgesetzt.

Eine Stadt, die sich rühmt, eine Stadt der Weihnachtskrippen zu sein, müsste auch eine Stadt der Kinder, ungeboren und geboren, ihres Schutzes in allen Variationen sein.

Darum haben wir uns heute versammelt an der ältesten und heiligsten Stätte der Stadt Köln. Seit sicher 1.900 Jahren wird hier an dieser Stelle das eucharistische Opfer gefeiert. Von hier aus ist das Evangelium, die Botschaft von der Heiligkeit Gottes und des Menschen, in unsere Stadt, in unser Rheinland, in unser Volk hineingetragen worden.

Christus hat sein Leben hingegeben, damit wir das Leben haben, und zwar in Fülle haben (vgl. Joh 10,10): das ungeborene, das geborene, das altgewordene Leben, das eigentlich kein „Es“ ist, sondern ein „Du“, damit sie dieses Leben in Fülle haben: die ungeborenen Kinder, die geborenen Kinder, die altgewordenen Menschenkinder.

Für sie treten wir ein mit Christus vor dem Vater im Heiligen Geist, damit der Mensch nicht seine vornehmste Berufung vergisst, mitzuwirken am Schöpfungswerke Gottes: in Ehe, Familie und in der Sorge um unsere Kinder. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner

Erzbischof von Köln

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