Schlechte Verlierer

12. Dezember 2011 in Deutschland


Die Bischöfe wollten sich lange nicht vom Lieblingsprojekt „Weltbild“ trennen. Jetzt entschuldigen sie sich nicht einmal für ihr Zögern – Von Christian Spaemann / Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung


Bonn (kath.net/FAS) Lange hat es gebraucht, bis sich die katholischen Bischöfe Deutschlands zur Trennung von der Verlagsgruppe Weltbild durchringen konnten. Ein Großteil der deutschen Bischöfe wollten partout nicht von ihrem Lieblingsprojekt lassen, selbst als es längst in den Brunnen gefallen war. Viele Reaktionen der Presse, aber auch von Kirchenleuten, lassen ahnen, welche Bedenken in den Köpfen einiger Hirten eine Rolle gespielt haben mochten. Da wird vor einem Rückzug der Kirche aus dem öffentlichen Raum gewarnt, vor konservativ-reaktionären Kreisen, die ein Rollback der Kirche betreiben würden und vor Sauberkeitsfanatikern, die ihre Kirche geradewegs in den Fundamentalismus führen.

Immer wieder wurde behauptet, dass der Anteil der von Weltbild vertriebenen Erotikliteratur mit 0,017 % verschwindend gering sei und eine Bestellung aller lieferbaren Bücher zum Standard jedes Online-Buchhändlers gehöre. Seltsam nur, wie rasch und genau das, was nach dem Willen der Eigner gar nicht vertrieben werden sollte, identifiziert und gezählt werden konnte. Sollten die Bischöfe wirklich 6.400 Arbeitsplätze riskieren – für ein paar übersehene „Erotiktitel“ im Sortiment? Natürlich ging es nicht um Peanuts dieser Art. Das Stichwort lautete: Beteiligungsunternehmen. An den verschiedensten Ecken hatte Weltbild (und damit die Kirche) die Finger drin. Bischöfe zu 50 % beteiligt am Esoterik-Verlag Mens Sana – an Mondkalendern und Lichtreisen? Zu 50% auch am Knaur Taschenbuchverlag? Und hier nun ging es nicht mehr um biedere „Erotik“, sondern die Produktion von pornographischer Literatur. Was hatte Weltbild-Chef Carel Halff noch vor Wochen verlautbart? Er habe nie Pornografie verkauft und tue das jetzt auch nicht? Da hatte er wohl bei seiner 100 % - Tochter „Jokers“ nicht so genau hingeschaut. Dort wurde neben sonstigem Schund auch Pornographie angekauft und verkauft. Und zwar in rauen Mengen.

Jeden Tag eine neue Sumpfblüte. Und die Bischöfe schwiegen. Der kirchensteuerzahlende und im Bett keineswegs verklemmte Katholik fragte sich, warum seine Bischöfe nicht nur am Handel mit, sondern auch der Produktion von Büchern wie „Gute Mädchen tun's im Bett - böse überall“ beteiligt sein sollen. Mündige Katholiken mussten sich für solch ein Hinterfragen vom Leiter des Öffentlichkeitsreferats der Deutschen Jesuiten, Thomas Busch, als Dunkelmänner und quasigeile Böcke beschimpfen lassen.

Die Erklärung der deutschen Bischöfen, mit der sie das Schmuddelkind nun endlich doch vom Hof jagten, ist nicht frei von dem Versuch, ihre Verantwortung für das, was da unter ihren Fittichen produziert und verkauft wurde, vor der Öffentlichkeit herunterzuspielen. Von 24,2 Prozent, die der Verband Deutscher Diözesen (VDD) an der Verlagsgruppe Weltbild halte, ist da die Rede, wohl wissend, dass sich die restlichen Anteile über die einzelnen Diözesen ebenfalls in der Hand der deutschen Bischöfe befinden. Im Vorfeld hatte man sich schon vom Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Donaubauer getrennt, einem Mann, der eher der finanztechnische Erfüllungsgehilfe als der eigentliche Stratege war. Der Mann aber, der die Fäden zog, Jesuitenpater Hans Langendörfer, Sekretär der deutschen Bischofskonferenz, Geschäftsführers des VDD und rechte Hand von Erzbischof Zollitsch, wurde aus der Schusslinie genommen, vermutlich weil man seinen Chef, der in der ganzen Affäre auf Tauchstation gegangen war, nicht noch weiter schwächen wollte. Langendörfer das „uneingeschränkte Vertrauen auszusprechen“ mutet schon kurios an, wo er es doch war, der die Bischöfe im Aufsichtsrat vertreten hatte. Von Nichtwissen, was sich da unter der Weltbildladentheke abspielte, kann bei Langendörfer nicht die Rede sein. Viele Schreiben von Gläubigen, die sich bei den Bischöfen beschwerten, wurden an Langendörfer weitergeleitet. Bischöfe und Generalvikare haben Langendörfer eindringlich auf die Missstände hingewiesen.

Liest man den Schluss der bischöflichen Scheidungsurkunde, glaubt man, in im falschen Film zu sein. Da wird die „verzerrenden und unangemessenen Weise der publizistischen Auseinandersetzung“, namentlich „in Medien, die der Kirche nahestehen“, gebrandmarkt. Spätestens hier zeigt sich, dass sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe bei der Trennung von Weltbild eher als Verlierer, denn als Gewinner fühlt. Dabei sind sie keine guten Verlierer. Nicht nur, dass von denen, die ihre Schafe Sonntag für Sonntag das mea culpa sprechen lassen, ein Wort der Entschuldigung oder wenigstens des Bedauerns über den jahrelang geduldeten Missstand ausblieb. Hier wurde auch noch gegen engagierte Laien nachgetreten. Allesamt keineswegs speziell konservative oder gar reaktionäre, sondern ganz normale katholische Gläubige, die neben Familie und Beruf ihre wertvolle Zeit für eine Lösung ihrer Kirche aus heilloser Verstrickung geopfert haben. Dabei blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Weg in die Öffentlichkeit anzutreten.

Es ist schlechter Stil, sich nicht zu entschuldigen und diejenigen, die einen Skandal offengelegt haben, zu kritisieren, statt sich bei ihnen zu bedanken. Es wäre schön, mal von einem Bischof zu hören, wie genau einer der vorgebrachten Sachverhalte verzerrend dargestellt wurde. Dass die Bischöfe auch anders können, haben sie im Missbrauchsskandal gezeigt. Gegenüber ihren eigenen Gläubigen scheinen diese Regeln allerdings nicht zu gelten. Allesamt kritische Gläubige, die sich nicht von irgendeiner Agenda innerkirchlicher politischer Korrektheit einschüchtern lassen, sondern hinterfragen, die Transparenz fordern und die ihr Recht darauf anmahnen, dass katholisch drin ist, wo katholisch drauf steht.

Es ist bemerkenswert, dass die Kirche in der Bundesrepublik bis heute nicht in der Lage war, ein modernes und flexibles Medienapostolat aufzubauen. Während jedes ADAC-Mitglied für einen Jahresbeitrag von 45,- Euro jeden Monat eine hochinformative und die Interessen des Individualverkehrs prononciert vertretende Hochglanzzeitschrift ins Haus bekommt, hält der kirchensteuerzahlende Katholik nicht einmal ein Fetzen Papier in der Hand, geschweige denn eine profilierte Zeitschrift, die Glaubensinhalte vermittelt und zu den alltäglichen Schwierigkeiten der Menschen und zu gesellschaftlichen Fragen aus christlicher Perspektive Stellung nimmt. Die Kirche ist leider nicht imstande, sich über attraktive und in Glaubensdingen profilierte Präsenz in der Medien- und Computerwelt wenigstens jener Kinder und Jugendlichen ein Milieu zu schaffen, die noch eine Verbindung zur Kirche hätten. Es ist erschütternd, feststellen zu müssen, dass an den heute für die Menschen relevanten Nahtstellen der Gesellschaft bei der Kirche ein ziemlicher Komplettausfall besteht. Milliardenumsätze mit einem Allerweltskonzern und hierfür kein Geld? In Frankreich gibt es katholische Familienzeitschriften mit Niveau, in denen neben Glaubensdingen aktuelle gesellschaftliche Fragen diskutiert werden. Kardinal Maradiaga aus Honduras hat eine Evangeliumswebseite aufgezogen, auf die jeden Tag vierhunderttausend Jugendliche schauen. Die Reihe könnte beliebig fortgesetzt werden. Alles Teilkirchen ohne Kirchensteuer und ohne Besitz milliardenschwerer Konzerne.

Grundsätzlich ist die Kirche auf ihre wesentlichen Ziele - den Gottesdienst, die Verkündigung und die Werke der Nächstenliebe - verpflichtet. Es sei unbestritten, dass es angesichts fortschreitender Säkularisierung sinnvoll sein kann, gewisse gesellschaftliche Räume in kirchlicher Trägerschaft aufrecht zu erhalten, die in ihrem christlichen Profil nicht sonderlich hervorstechen. Hier kann es z. B. auch in Zukunft möglich sein, dass Kinder Weihnachtslieder singen, in denen Jesus und Maria vorkommen - etwas, das beispielsweise in öffentlichen Kindergärten der Stadt Zürich verboten wurde. Dennoch müssen solche Überlegungen Grenzen haben. In der Auseinandersetzung um den Weltbildverlag und seine Beteiligungen wurde weitgehend nur auf krasse Sexliteratur Bezug genommen. Dies war notwendig, um die Bischöfe in Bewegung zu bringen. Was fehlte, war eine Diskussion über das kulturelle Profil kirchlicher Präsenz in der Gesellschaft. Wenn schon nicht die Verkündigung oder caritative Zwecke im Vordergrund jeder kirchlichen Aktivität stehen, so mögen die Bischöfe doch an den von Kant und Schiller aufgezeigten Zusammenhang von Gutem, Schönem und Wahren erinnert sein. Es ist ein Unterschied, ob man mit einem Milliardenkonzern billigen Ramsch unter die Leute bringt oder einen Verlag mit ausgewählten Kinder- und Jugendbüchern oder Kunst betreibt, bei denen die Menschen ein positive Assoziation aufbauen, wenn sie erfahren, dass dieser in der Hand der Kirche ist. Die Geldmaschine Weltbild hingegen stellt keine Präsenz der Kirche in der Gesellschaft dar. Sie dient zu nichts als dem Geldverdienen und allenfalls noch dazu, Macht und Einfluss auszuüben. Eine Macht und ein Einfluss, die langfristig nur die Bedeutungslosigkeit der Kirche in der Gesellschaft weiter befördern. Schließlich haben die Christen in der unserer Zeit ähnelnden Gesellschaft Spätroms nicht über die Beteiligung an der Ausrichtung von Zirkusspielen die Konstantinische Wende herbeigeführt. Die Freiburger Rede von Papst Benedikt hat uns gezeigt, dass nur eine entweltlichte Kirche, also eine Kirche, die sich nicht von ihren Aufgaben weg ins Geld flüchtet, in der Welt und für die Welt fruchtbar sein kann.

www.spaemann.com




© 2011 www.kath.net