Ist die evangelische Kirchengemeinschaft sehbehindert?

26. November 2011 in Kommentar


Zum einäugigen Einsatz gegen Extremismus und Menschenverachtung - Ein Kommentar Von Wolfgang Polzer


München (kath.net/idea)
Es steht der evangelischen Kirche gut an, wenn sie sich gegen menschenverachtenden Extremismus wendet – aber bitte gegen jeden! Sie darf nicht auf einem Auge blind oder auch nur sehbehindert werden. Aufgrund der aktuellen Diskussion um rechtsextremistische Gewalttaten ist es zu begrüßen, dass sich die hannoversche Landessynode – wie zuvor schon das „Kirchenparlament“ der EKD – gegen Menschenverachtung von rechts wendet und Christen zu friedlichen Protesten ermutigt, aber das Sehfeld sollte breiter sein.

Erhellende Worte hat Landesbischof Ralf Meister dazu in seinem Bericht vor der Landessynode gefunden: „Das christliche Menschenbild nimmt uns in die Verantwortung, jeden Menschen als Gottes Geschöpf und Ebenbild wahrzunehmen und für den Schutz seiner Würde einzutreten.

Deshalb ist und bleibt es unsere Aufgabe, unsere Sinne gegenüber jeder Form von menschenverachtender Ideologie und Gewalt zu schärfen und uns an der friedensstiftenden Kraft des Evangeliums zu orientieren.“
Klagen über Gorleben und Geflügelschlachthof sind lauter
Deshalb greift es zu kurz, Extremismus nur rechts zu verorten und Gewalt von linken Anarchisten zu verschweigen. Der Protest und Widerstand sollte für Christen, ungeachtet jeder politischen Himmelsrichtung, noch weiter gehen. Denn im höchsten Maße menschenverachtend ist es auch, wenn Kindern schon im Mutterleib das Recht auf Leben verwehrt wird oder wenn sie bei einer diagnostizierten Behinderung bis kurz vor der Geburt abgetrieben werden, wie es in einem Diakoniekrankenhaus in Hannover geschieht. Menschenverachtend ist es auch, wenn behindertes menschliches Leben aussortiert wird wie bei der Präimplantationsdiagnostik (PID).

Freilich darf man, wie Meister betonte, auch die verzweifelte Lage der betroffenen Eltern nicht übersehen. Aber das Dilemma, so oder so in Schuld geraten zu können, gehört ebenso deutlich angesprochen, wie es beispielsweise im Blick auf Bundeswehreinsätze getan wird. Doch in der Öffentlichkeit ist ein Aufschrei der evangelischen Kirche gegen die vorgeburtliche Tötung etwa von Kindern mit Down Syndrom kaum zu vernehmen. Viel lauter sind in der hannoverschen Landessynode die Klagen über das Atommülllager in Gorleben (Wendland) oder einen großen Geflügelschlachthof in Wietze bei Celle. Der Einsatz von Christen gegen die Verachtung von Gottes Geschöpfen duldet aber keine Selektion.


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