Die Päpste Benedikt und Johannes Paul II. über die Organspende

7. November 2011 in Chronik


Papst Benedikt: „Das Problem der Verfügbarkeit von lebenswichtigen Organen für die Transplantation ist jedoch leider nicht theoretisch, sondern auf dramatische Weise praktisch“.


Rom (kath.net) Sowohl Papst Benedikt XVI. wie auch der selige Papst Johannes Paul II. haben sich zum Thema „Organspende“ geäußert. Aus aktuellem Anlass erinnert kath.net an Ansprachen beider Päpste.

kath.net dokumentiert die Ansprache von Papst Benedikt XVI. an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zum Thema „Ein Geschenk für das Leben. Überlegungen zur Organspende“, veranstaltet von der Päpstlichen Akademie für das Leben am 07.11.2008

Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, sehr geehrte Damen und Herren!

Die Organspende ist eine besondere Form des Zeugnisses der Nächstenliebe. In einer Zeit wie der unseren, die oft durch verschiedene Formen des Egoismus gekennzeichnet ist, wird es immer dringender zu verstehen, wie entscheidend es für eine richtige Auffassung des Lebens ist, in die Logik der Unentgeltlichkeit einzutreten. Tatsächlich gibt es eine Verantwortung der Liebe und der Barmherzigkeit, die dazu verpflichtet, das eigene Leben zu einer Gabe für die anderen zu machen, wenn man sich wahrhaft selbst verwirklichen will. Wie der Herr Jesus uns gelehrt hat, wird nur derjenige sein Leben retten können, der es hingibt (vgl. Lk 9, 24).

Ich begrüße alle hier Anwesenden, besonders Senator Maurizio Sacconi, den Minister für Arbeit, Gesundheit und Sozialpolitik, und danke Erzbischof Rino Fisichella, dem Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben, für die Worte, die er an mich gerichtet hat, um die tiefe Bedeutung dieser Begegnung darzustellen und eine Synthese der Kongressarbeiten vorzulegen. Gemeinsam mit ihm danke ich auch dem Präsidenten der „International Federation of Catholic Medical Associations“ und dem Direktor des „Centro Nazionale Trapianti“ und möchte betonen, dass ich den Wert der Zusammenarbeit dieser Einrichtungen in einem Bereich wie der Organtransplantation schätze, die, meine verehrten Damen und Herren, Gegenstand Ihrer Studien- und Diskussionstage gewesen ist.

Die Geschichte der Medizin zeigt deutlich die großen Fortschritte, die erreicht werden konnten, um einer jeden Person, die leidet, ein immer würdigeres Leben zu ermöglichen. Gewebe- und Organtransplantationen stellen eine große Errungenschaft der medizinischen Wissenschaft dar und sind sicher ein Zeichen der Hoffnung für so viele Menschen, die sich in schwerwiegenden und manchmal extremen klinischen Situationen befinden. Wenn unser Blick sich auf die ganze Welt ausweitet, können leicht die so zahlreichen und komplexen Fälle ausgemacht werden, in denen dank der Technik der Organtransplantation viele Menschen hochgradig kritische Phasen überwunden haben und ihnen die Freude zu leben wieder geschenkt worden ist. Das hätte niemals geschehen können, wenn das Bemühen der Ärzte und die Kompetenz der Forscher nicht auf die Großherzigkeit und den Altruismus derjenigen hätten zählen können, die ihre Organe gespendet haben. Das Problem der Verfügbarkeit von lebenswichtigen Organen für die Transplantation ist jedoch leider nicht theoretisch, sondern auf dramatische Weise praktisch; es zeigt sich in der langen Warteliste vieler kranker Menschen, deren einzige Überlebensmöglichkeit mit jenen wenigen Angeboten verbunden ist, die dem objektiven Bedarf nicht entsprechen.

Vor allem im heutigen Kontext ist es von Nutzen, neuerlich über diese Errungenschaft der Wissenschaft nachzudenken, damit die anwachsende Nachfrage nach Transplantationen die ethischen Prinzipien nicht zerstört, die ihre Grundlage bilden. Wie ich in meiner ersten Enzyklika gesagt habe, kann der Leib niemals nur als bloßes Objekt angesehen werden (vgl. Deus caritas est, 5); die Logik des Marktes würde sonst die Oberhand gewinnen. Der Leib jeder Person stellt zusammen mit dem Geist, der jedem auf einzigartige Weise geschenkt ist, eine untrennbare Einheit dar, in die das Bild Gottes selbst eingeprägt ist. Von dieser Dimension abzusehen führt zu Perspektiven, die nicht in der Lage sind, die Ganzheit des Geheimnisses, das in jedem gegenwärtig ist, zu erfassen. Es ist daher notwendig, dass die Achtung für die Würde der Person sowie der Schutz ihrer persönlichen Identität an die erste Stelle gesetzt wird. Betreffend die Technik der Organtransplantation bedeutet dies, dass man nur spenden kann, wenn niemals eine ernsthafte Gefahr für die eigene Gesundheit und die eigene Identität besteht und nur aus einem sittlich gültigen und in einem rechten Verhältnis stehenden Motiv. Die mögliche Logik eines Handels mit Organen sowie auch die Anwendung diskriminierender oder utilitaristischer Kriterien stünden derart im Widerstreit mit der Bedeutung, die mit dieser Spende verbunden ist, dass sie sich schon von vornherein als sittlich unrechtmäßige Handlungen disqualifizieren würden. Die Missbräuche bei Transplantationen und der Organhandel, der häufig unschuldige Menschen wie Kinder betrifft, müssen von der Gemeinschaft der Wissenschaftler und Mediziner sofort und geeint als unannehmbare Praktiken abgelehnt werden. Sie sind daher entschieden als verabscheuungswürdig zu verurteilen. Dasselbe ethische Prinzip gilt, wenn man zur Schaffung und Vernichtung menschlicher Embryonen gelangen will, die zu einem therapeutischen Zweck bestimmt sind. Schon die Vorstellung an sich, den Embryo als „therapeutisches Material“ zu betrachten, widerspricht den kulturellen, zivilen und ethischen Grundlagen, auf welche sich die Würde der Person stützt.

Es kommt häufig vor, dass die Technik der Organtransplantation durch eine Geste totaler Unentgeltlichkeit seitens der Verwandten von Patienten ermöglicht wird, deren Tod mit Sicherheit festgestellt worden ist. In diesen Fällen ist die aufgeklärte Zustimmung [„informed consent“] die Vorbedingung der Freiheit, damit die Transplantation die Charakteristik einer Gabe hat und nicht als erzwungene Handlung oder als Akt der Ausnutzung interpretiert werden kann. Es ist jedoch nützlich daran zu erinnern, dass die einzelnen lebenswichtigen Organe nur ‚ex cadavere‘ entnommen werden dürfen [d.h. wenn der Mensch tot ist], der im übrigen seine einzigartige Würde behält, die zu respektieren ist. Die Wissenschaft hat in den letzten Jahren weitere Fortschritte in der Sicherheit der Todesfeststellung des Patienten gemacht. Es ist daher gut, wenn die erreichten Resultate die Zustimmung der ganzen wissenschaftlichen Gemeinschaft erhalten, um die Erforschung von Lösungen zu begünstigen, die allen Gewissheit vermitteln. In einem Bereich wie diesem darf nicht der geringste Verdacht auf Willkür gegeben sein, und wo noch keine Gewissheit erreicht ist, muss das Prinzip der Vorsicht walten. Es ist nützlich, dass die Fortschritte der Forschung und der interdisziplinären Reflexion in solcher Weise erfolgen, dass auch die öffentliche Meinung mit der immer transparenteren Wahrheit im Hinblick auf die anthropologischen, sozialen, ethischen und juridischen Implikationen der Praxis der Organverpflanzung konfrontiert wird. In diesen Fällen muss jedoch als Hauptkriterium immer die Achtung für das Leben des Spenders gelten, da die Entnahme von [lebenswichtigen] Organen nur angesichts des wirklichen Todes erlaubt ist (vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 476). Der Akt der Liebe, der durch die Gabe der eigenen lebenswichtigen Organe ausgedrückt wird, bleibt ein echtes Zeugnis der Nächstenliebe, die über den Tod hinaus zu sehen weiß, weil das Leben immer siegt. Der Empfänger sollte sich der Bedeutung dieser Geste wohl bewusst sein; er ist der Empfänger einer Gabe, die über den therapeutischen Nutzen hinausgeht. Noch bevor er ein Organ empfängt, ist es zuerst schon ein Zeugnis der Liebe, das eine ebenso großzügige Antwort hervorrufen sollte, um die Kultur der Gabe und der Unentgeltlichkeit zu fördern.

Der Königsweg, der zu befolgen ist, bis die Wissenschaft zur Entdeckung möglicher neuer und fortschrittlicherer Therapieformen gelangt, sollte die Bildung und Verbreitung einer Kultur der Solidarität sein, die sich allen öffnet und niemanden ausschließt. Eine Transplantationsmedizin, die einer Ethik der Gabe entspricht, erfordert seitens aller das Bemühen, jede mögliche Anstrengung in der Bildung und Information zu unternehmen, um die Gewissen immer mehr hinsichtlich einer Problematik zu sensibilisieren, von der das Leben so vieler Personen direkt betroffen ist. Es wird daher notwendig sein, Vorurteile und Missverständnisse zu beseitigen, Misstrauen und Ängste zu zerstreuen, um sie durch Gewissheiten und Garantien zu ersetzen und in allen ein zunehmend sich weiter ausbreitendes Bewusstsein des großen Geschenks des Lebens zuzulassen.

Mit diesen Gefühlen erbitte ich, während ich jedem wünsche, weiterhin mit der gebührenden Kompetenz und Professionalität der eigenen Aufgabe nachzugehen, Gottes Hilfe für die Arbeiten dieses Kongresses und erteilen allen von Herzen meinen Segen.

Die deutsche Version dieser Ansprache wurde von Prof. Dr. theol. habil. Josef Spindelböck auf der Grundlage einer bereits bestehenden Textfassung von Claudia Reimüller (in: Die Tagespost, 11.11.2008, S.7), anhand des italienischen Originals erstellt. Irrtum vorbehalten. Aktualisiert am 13.11.2008.


kath.net dokumentiert die Ansprache von Papst Johannes Paul II. beim Internationalen Kongreß für Organverpflanzung im „Palazzo dei Congressi“ in Rom am 29. August 2000 in voller Länge:

Verehrte Damen und Herren!

1. Mit Freude begrüße ich Sie zu diesem internationalen Kongreß, der Sie hier zu einer Reflexion über das komplexe und schwierige Thema der Organverpflanzung zusammengeführt hat. Ich danke Professor Raffaelo Cortesini und Professor Oscar Salvatierra für ihre freundlichen Worte und richte einen ganz besonderen Gruß an die hier anwesenden Vertreter der italienischen Obrigkeit.

Ihnen allen möchte ich für die freundliche Einladung zur Teilnahme an diesem Treffen danken; ganz besonders schätze ich die große Aufmerksamkeit, die Sie der kirchlichen Morallehre widmen. Die Wissenschaft achtend und vor allem die Gebote Gottes beachtend, ist es das alleinige Ziel der Kirche, für das ganzheitliche Wohl des Menschen zu sorgen.

Transplantationen sind ein wesentlicher Fortschritt der Wissenschaft im Dienst am Menschen, und viele von uns verdanken ihr Leben heute einer Organverpflanzung. Mehr und mehr hat sich dieses Verfahren als ein gültiger Weg zur Verwirklichung des primären Ziels der Medizin erwiesen – der Dienst am menschlichen Leben. Daher schrieb ich in meiner Enzyklika Evangelium vitae, daß zur Förderung einer echten Kultur des Lebens „die in ethisch annehmbaren Formen durchgeführte Organspende besondere Wertschätzung verdient, um Kranken, die bisweilen jeder Hoffnung beraubt sind, die Möglichkeit der Gesundheit oder sogar des Lebens anzubieten“ (vgl. Nr. 86).

2. Wie immer, wenn es um den Fortschritt der Menschheit geht, weist auch dieser spezielle medizinische Bereich – trotz der Hoffnung auf Gesundheit und Leben, die er vielen von uns bietet – gewisse kritische Aspekte auf, die im Licht eingehender anthropologischer und ethischer Überlegungen untersucht werden müssen.

Grundlegendes Kriterium auch in diesem Bereich der medizinischen Wissenschaft muß die Verteidigung und Förderung des ganzheitlichen Wohls der menschlichen Person sein, im Einklang mit jener einzigartigen Würde, die uns aufgrund unserer menschlichen Natur zu eigen ist. Folglich ist offensichtlich, daß jeder am Menschen vorgenommene medizinische Eingriff gewissen Einschränkungen unterworfen sein muß: nicht allein den Grenzen der technischen Möglichkeiten, sondern auch den Grenzen, die durch den Respekt für die menschliche Natur selbst in ihrer ganzheitlichen Dimension gegeben sind: „das, was technisch möglich ist, ist nicht auch deshalb schon moralisch annehmbar“ (Kongregation für die Glaubenslehre, Donum vitae, Einleitung, 4).

3. Zunächst muß hervorgehoben werden, wie ich bei einer anderen Gelegenheit bemerkte, daß jede Organverpflanzung auf einer Entscheidung von hoher ethischer Bedeutung begründet ist: „die Entscheidung, unentgeltlich einen Teil des eigenen Körpers für die Genesung und das Wohlbefinden eines anderen zur Verfügung zu stellen“ (Ansprache an den I. Internationalen Kongreß der Gesellschaft für Organverpflanzung, 20. Juni 1991, Nr. 3; O.R. dt., Nr. 44, 18.10.1991, S.14). Genau darin besteht die Größe dieser Geste, eine Geste, die eine wahre Tat der Liebe ist. Es geht nicht lediglich darum, sich von etwas zu trennen, das uns gehört, sondern vielmehr geben wir einen Teil von uns selbst, denn „kraft seiner substantiellen Vereinigung mit einer Geistseele kann der menschliche Leib nicht nur als ein Gefüge von Geweben, Organen und Funktionen angesehen [...] werden, denn er ist konstitutiver Teil der Person, die sich durch ihn manifestiert und ausdrückt“ (Kongregation für die Glaubenslehre, Donum vitae, Einleitung, 3).

Demnach muß jedes Verfahren, das zur Kommerzialisierung menschlicher Organe führt oder sie als Tausch- oder Handelsware betrachtet, als moralisch nicht vertretbar angesehen werden, denn es verletzt die Würde des Menschen, den menschlichen Körper als „Objekt“ zu betrachten und zu gebrauchen.

Dieser erste Punkt hat eine unmittelbare Auswirkung von großer ethischer Bedeutung: die Notwendigkeit einer Patientenverfügung. Die menschliche „Authentizität“ einer solch entscheidenden Geste erfordert die umgehende Information des einzelnen über die betreffende Verfahrensweise, um ihm die Möglichkeit zu geben, frei und seinem Gewissen entsprechend zuzustimmen oder abzulehnen. Die Einwilligung der Angehörigen hat ihre eigene ethische Gültigkeit, wenn der Spender die Entscheidung nicht selbst treffen kann. Auch Empfänger von Organen sollten natürlich eine solche Einwilligung geben.

4. Die Anerkennung der einzigartigen Würde der menschlichen Person führt wiederum zu einer weiteren grundlegenden Konsequenz: Lebenswichtige Organe, die nur einmal im menschlichen Körper vorhanden sind, können nur nach dem Tod entfernt werden, d.h. dem Körper eines Menschen entnommen werden, der eindeutig tot ist. Diese Voraussetzung ist zweifellos selbstverständlich, denn jede andere Handlungsweise würde die durch die Entnahme der Organe verursachte absichtliche Tötung des Spenders bedeuten. Dies sich hieraus ergebende Problematik gehört zu den am meisten diskutierten Fragen der modernen Bioethik und führt zu ernsthafter Besorgnis unter den Menschen. Gemeint ist das Problem der eindeutigen Feststellung des Todes. Wann kann ein Mensch mit absoluter Sicherheit als tot angesehen werden?

In dieser Hinsicht hilft die Berücksichtigung, daß der Tod eines Menschen ein einzigartiges Ereignis ist, das in der vollkommenen Auflösung dieser Einheit und dieses integrierten Ganzen besteht, die das personale Selbst ausmacht. Er resultiert aus der Trennung des geistigen Lebensprinzips (oder Seele) von der leiblichen Wirklichkeit der Person. Der in dieser ursprünglichen Bedeutung verstandene Tod der menschlichen Person ist ein Ereignis, das durch keine wissenschaftliche Technik oder empirische Methode unmittelbar identifiziert werden kann.

Dennoch zeigt die menschliche Erfahrung, daß der Tod unweigerlich von bestimmten biologischen Kennzeichen begleitet ist, welche die medizinische Wissenschaft mit stets größerer Präzision zu erkennen gelernt hat. In diesem Sinn sollte das in der heutigen Medizin angewandte Kriterium zur Feststellung des Todes nicht als die technisch-wissenschaftliche Bestimmung der genauen Todeszeit verstanden werden, sondern als eine wissenschaftlich zuverlässige Methode zur Identifizierung jener biologischen Anzeichen, die den Tod der menschlichen Person eindeutig beweisen.

5. Es ist bekannt, daß gewisse wissenschaftliche Methoden zur Feststellung des Todes eine Zeit lang dem sog. „neurologischen“ Kriterium größeres Gewicht beigemessen haben als der traditionellen auf Herz- und Lungentätigkeit basierenden Diagnose. Hier geht es speziell darum, die vollkommene und unwiderrufliche Einstellung jeglicher Hirntätigkeit (im Großhirn, im Kleinhirn und im Hirnstamm) nach von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft eindeutig festgelegten Parametern zu bestimmen. Das erachtet man schließlich als Beweis für den definitiven Verlust der integrativen Fähigkeit des individuellen Organismus.

Im Hinblick auf die heute zur Feststellung des Todes gebräuchlichen Parameter – Anzeichen von Hirntätigkeit oder das traditionelle Kriterium der Herz-Lungenaktivität – enthält sich die Kirche jeder technischen Entscheidung. Sie beschränkt sich auf die durch das Evangelium vorgegebene Pflicht, die medizinischen Daten und die christliche Lehre von der Einheit der Person gegenüberzustellen, Ähnlichkeiten und mögliche Konflikte hervorzuheben, die die Achtung der menschlichen Würde gefährden könnten.

Hier kann darauf hingewiesen werden, daß das heute angewandte Kriterium zur Feststellung des Todes, nämlich das völlige und endgültige Aussetzen jeder Hirntätigkeit, nicht im Gegensatz zu den wesentlichen Elementen einer vernunftgemäßen Anthropologie steht, wenn es exakt Anwendung findet. Daher kann der für die Feststellung des Todes verantwortliche Arzt dieses Kriterium in jedem Einzelfall als Grundlage benutzen, um jenen Gewißheitsgrad in der ethischen Beurteilung zu erlangen, den die Morallehre als „moralische Gewißheit“ bezeichnet. Diese moralische Gewißheit gilt als notwendige und ausreichende Grundlage für eine aus ethischer Sicht korrekte Handlungsweise. Nur wenn diese Gewißheit besteht und die Einwilligungserklärung (Patientenverfügung) des Spenders oder seines rechtmäßigen Vertreters bereits vorliegt, ist es moralisch vertretbar, die technischen Maßnahmen zum Entnehmen von zur Transplantation bestimmten Organen einzuleiten.

6. Eine weitere Frage großer ethischer Bedeutung ist die Zuteilung gespendeter Organe durch Wartelisten und eine dem Dringlichkeitsgrad entsprechende Einstufung. Trotz aller Bemühungen zur Förderung von Organspenden kann den derzeitigen Anforderungen im medizinischen Bereich in vielen Ländern keineswegs entsprochen werden. Daher besteht die Notwendigkeit, Wartelisten für Transplantationen anzulegen, die von klaren und wohldurchdachten Kriterien ausgehen.

Aus moralischer Sicht erfordert ein einleuchtendes Rechtsprinzip, daß die Zuteilung gespendeter Organe in keiner Weise weder „diskriminierend“ (beispielsweise im Hinblick auf Alter, Geschlecht, Rasse, Religion, soziale Stellung) noch „utilitaristisch“ (von Leistungsfähigkeit oder gesellschaftlichem Nutzen abhängig) sein sollte. Ausschlaggebend bei der Einstufung der Organempfänger sollten vielmehr immunologische und klinische Faktoren sein. Jedes andere Kriterium würde sich als völlig willkürlich und subjektiv erweisen und jenen Wert mißachten, der jeder menschlichen Person eigen und von allen äußeren Umständen unabhängig ist.

7. Der abschließende Punkt befaßt sich mit einer möglichen Alternativlösung des Problems, menschliche Organe für Transplantationen zu beschaffen; gemeint sind „Xenotransplantationen“, d.h. Transplantationen, für die Organe verschiedener Tierarten verwendet werden, ein Verfahren, das sich allerdings noch weitgehend im experimentellen Stadium befindet.

Ich habe nicht die Absicht, die mit dieser Form von Eingriff verbundenen Probleme im Detail zu untersuchen. Lediglich möchte ich daran erinnern, daß bereits 1956 Papst Pius XII. die Frage ihrer Legitimität erörterte. Er kommentierte die damals angekündigte wissenschaftliche Möglichkeit, Tierhornhäute auf den Menschen zu übertragen. Seine Antwort ist auch für uns heute noch maßgeblich: im Prinzip, erklärte er, sind Xenotransplantationen zulässig, wenn das verpflanzte Organ die Integrität der psychologischen oder genetischen Identität des Empfängers nicht beeinträchtigt; ferner muß nachweislich die biologische Möglichkeit bestehen, daß die Transplantation erfolgreich verlaufen und der Organempfänger keiner übermäßigen Gefahr ausgesetzt sein wird (vgl. Ansprache vom 14. Mai 1956).

8. Abschließend möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß durch die Arbeit zahlreicher hochherziger und fachlich gebildeter Menschen die wissenschaftliche und technologische Forschung auf dem Gebiet der Transplantationen auch weiterhin Fortschritte macht und zur Erprobung neuer Therapien übergeht, die Organverpflanzungen möglicherweise ersetzen können, wie die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Prothetik zu versprechen scheinen. Auf jeden Fall müssen alle Behandlungsmethoden vermieden werden, die die Würde und den Wert der menschlichen Person mißachten. Insbesondere denke ich hier an Klonierungsversuche im menschlichen Bereich zur Beschaffung von Organen für Transplantationen; diese Verfahren sind, sofern sie die Manipulation und Zerstörung menschlicher Embryonen einschließen, moralisch untragbar, auch wenn ihr angestrebtes Ziel an sich positiv ist.

Die Wissenschaft selbst weist auf andere Formen therapeutischer Eingriffsmöglichkeiten hin, welche die Klonierung oder die Verwendung embryonaler Zellen ausschließen und vielmehr erwachsenen Menschen entnommene Stammzellen einsetzen. Diese Richtung muß die wissenschaftliche Forschung einschlagen, wenn sie die Würde jedes einzelnen menschlichen Wesens – auch im embryonalen Entwicklungsstadium – respektieren will.

Bei der Erörterung dieser verschiedenen Fragen ist der Beitrag von Philosophen und Theologen von wesentlicher Bedeutung. Ihre eingehende und kompetente Reflexion über die mit Transplantationen verbundenen Probleme kann bei der Bestimmung jener Kriterien helfen, anhand derer wir entscheiden können, welche Arten von Transplantationen moralisch vertretbar sind und unter welchen Bedingungen, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der personalen Identität jedes einzelnen Menschen.

Voll Zuversicht bestärke ich die Verantwortlichen für Gesellschaft, Politik, Erziehungs- und Bildungswesen, sich auch weiterhin für die Förderung einer wahren, von Hochherzigkeit und Solidarität gekennzeichneten Kultur einzusetzen. Die Herzen der Menschen, vor allem junger Menschen, müssen wahrhaft und zutiefst offen sein für die Notwendigkeit brüderlicher Liebe, eine Liebe, die in der Entscheidung Organspender zu werden ihren Ausdruck finden kann.

Möge der Herr jeden von Ihnen bei der Arbeit unterstützen und im Dienst für wahren menschlichen Fortschritt lenken. Diesen Wunsch begleite ich mit meinem Segen.

Deutsche Übersetzung: L’Osservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache, 30. Jg., Nr. 37, 15. September 2000


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