Wie werden Gläubige stärker? Indem sie glauben

24. Oktober 2011 in Weltkirche


Das „Jahr des Glaubens“ ist die Medizin des Papstes gegen das Verdunsten des Christentums. Benedikt XVI. benennt den spirituellen Notstand vieler Gesellschaften und spricht in Deutschland sogar von einer "Gottesfinsternis". Von Paul Badde / Die Welt


Rom (kath.net/DieWelt) Papst Benedikt hat das kommende Jahr zu einem „Jahr des Glaubens" erklärt. Er möchte so eine Zeit der Wiederentdeckung des christlichen Glaubens einläuten.

Es ist eine Binsenweisheit. Autoren, die gelesen werden wollen, wissen, sie müssen voraussetzungslos schreiben. Sie können nicht auf überwältigend viele Leser hoffen, die Andeutungen auf Zusammenhänge verstehen, die der Autor womöglich Jahre lang studiert hat. Vielleicht war diese Art nebenbei präsentierter Bildung ja auch immer schon ein eher elitärer Spleen. Auf einem Gebiet jedoch nicht. Denn es gab ja in Europa über Jahrhunderte einen Bezugsrahmen, über den sich durch alle Bildungsschichten das Kind bis zum Greis Bälle zuwerfen konnten, die der andere wie selbstverständlich auffing.

Es gab eine gemeinsame abendländische Erzählung, die jeder ohne Übersetzung verstand und sogar weiter trug, wenn er dagegen rebellierte. Das war, im Kern, die antike Nachricht vom Leben und Sterben Jesu von Nazareth und seiner Auferstehung von den Toten nach drei Tagen. Das war das christliche Glaubensbekenntnis, wie es im Jahr 325 in Nicäa (dem heutigen Iznik in der Türkei) in einem ersten ökumenischen Konzil von 318 Bischöfen und rund 2000 Teilnehmern – Kaiser Konstantin inklusive – festgelegt wurde: „Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott.“ Und so weiter. Doch halt!

Schwierigkeiten beim Glaubensbekenntnis

Denn wer weiß hier noch weiter? Wie viele gelehrte Leserinnen und Leser auch dieser Zeitung können die kleine Verfassungsurkunde der Christenheit schon längst nicht mehr auswendig? Wie viele haben das „Credo“ einfach nicht mehr gelernt, wie Latein oder Altgriechisch oder eine andere tote alte Sprache? Wie vielen hat es keiner mehr beigebracht, weder die Eltern noch die Lehrer?

In einer Zeit, wo christliche Theologen Höhen erklommen haben und in Tiefen hinab gestiegen sind, die menschlicher Geist noch nie erkundete, hat sich der Grundwasserspiegel vom Wissen der Christen um ihre Grundlagen enorm gesenkt, als sei der Glaube in weiten Teilen ehemals christlicher Nationen verdampft.

Papst mahnt in Bundestagsrede christliche Werte an

Gerade dieser Glaube aber war hier lange ein allgemein anerkanntes Referenzsystem, selbst für die Todfeinde der Christen – wie die Sowjets oder Nazis, die sie „mit Stumpf und Stiel ausrotten“ wollten und dafür schimärenhafte Nachäffungen als Gegenreligionen ersonnen hatten. Dennoch blieb christlicher Glaube in vieler Hinsicht der gesellschaftliche Kitt. Selbst nach dem 2. Weltkrieg kamen deshalb aus diesem Urgrund noch einmal die wesentlichen Impulse für die Entwicklung eines versöhnten Europas. Danach aber hat sich innerhalb von zwei Generationen der alte Kitt in Staub aufgelöst.

Selbstverständliche Voraussetzung des Lebens

Jetzt wird oft klanglos durchgewunken, was selbst den Nazis so gut wie nicht gelungen ist, etwa die Entfernung der Kreuze aus dem öffentlichen Raum. Es geschehe nicht selten, schrieb Papst Benedikt in der letzten Woche, dass Christen „den Glauben immer noch als eine selbstverständliche Voraussetzung des allgemeinen Lebens betrachten. In Wirklichkeit aber besteht diese Voraussetzung nicht nur nicht mehr in dieser Form, sondern wird häufig sogar geleugnet. Während es in der Vergangenheit möglich war, ein einheitliches kulturelles Gewebe zu erkennen, das in seinem Verweis auf die Glaubensinhalte und die von ihnen inspirierten Werte weithin angenommen wurde, scheint es heute in großen Teilen der Gesellschaft aufgrund einer tiefen Glaubenskrise, die viele Menschen befallen hat, nicht mehr so zu sein.“

In Deutschland sprach er sogar von einer „Gottesfinsternis“ – in der er nun ein „Jahr des Glaubens“ von 2012 bis 2013 ausgerufen hat, „um das gesamte kirchliche Gefüge in eine Zeit der Wiederentdeckung des Glaubens zu führen“. Es ist ein Notstandsprogramm „in einem Moment tiefgreifender Veränderungen, wie ihn die Menschheit gerade erlebt.“

Ins Innere der Christenheit

Das letzte „Jahr des Glaubens“ hatte Paul VI. 1968 ausgerufen. Dramatischer als die großen Umwälzungen jenes Jahres aber scheint heute die Lage der Christenheit. In einer Epoche enormer Verunsicherung will der Papst gegen den Trend endemischer Kochsendungen neu für den Geschmack und das Rezept einer Speise werben, „die nicht verdirbt und für das ewige Leben bleibt“.

Benedikt XVI. mahnt Katholiken zu Papst-Treue

Es ist ein Missionsunternehmen nicht mehr in fremde Erdteile, sondern ins Innere der Christenheit, zurück zur „radikalen Neuheit der Auferstehung“ Christi, die die „Herzen in der Hoffnung weitet“. Es ist eine Kurskorrektur der Kirche, die er mit diesem Schritt belehrt, dass Glaube nie Besitz ist, sondern nur im Glaubensakt leben und überleben kann.

Wie Benedikt von Nursia in seinen Klöstern die Kultur der Antike über die Wirren der Völkerwanderung hinweg einmal für Europa rettete, so will sich nun also auch Benedikt XVI. daran machen, die „Kenntnis des Glaubens“, die „Bildung der Christen“ und den Glauben als schöpferischen und „furchtlosen Akt der Freiheit“ durch die Revolutionsgewitter des anbrechenden Informationszeitalters an die nächsten Generationen weiter zu geben, „nicht als Theorie, sondern als Begegnung mit einer Person:“ mit dem Mensch gewordenen Gott.

„Allahu Akbar!“ heißt die einzige Losung des arabischen Frühlings. Im christlichen Herbst hingegen will der Papst nun noch einmal den ganzen Glauben der Christen neu erzählen und verbreiten lassen, jetzt an die Generation Facebook Europas, Amerikas, Afrikas, Asiens und Australiens. Ein unmögliches Unternehmen? Gewiss. Nur hoffnungslos scheint es nicht, wie wir seit Benedikt von Nursia wissen.

Im 7. Jahr seines Pontifikats will Benedikt XVI. nun jedenfalls eine ökumenische Grundschule des Glaubens eröffnen, wo der alte Lehrer als erstes ein Lehrstück über die Identität der Gläubigen auf den Lehrplan gesetzt hat, die „stärker werden, indem sie glauben“.


© 2011 www.kath.net