Der Geist weht nicht selten außerhalb der Strukturen

20. September 2011 in Deutschland


Walter Kardinal Brandmüller zum Papstbesuch in Deutschland: Verbände und Gremien organisierter Katholiken könnten kaum als repräsentativ für die deutschen Katholiken angesehen werden


Rom (kath.net) „Lassen wir uns überraschen!“. So kommentiert der emeritierte Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, Walter Kardinal Brandmüller, auf die Frage, was Papst Benedikt XVI. in den Mittelpunkt seiner Reise nach Deutschland stellen werde.

Brandmüller (Foto), der zusammen mit den anderen deutschen und deutschsprachigen Kurienkardinälen zum Gefolge des Papstes gehört, äußerte sich in einem von der Turiner Zeitung „La Stampa“ eingerichteten Internetsite für „Vatikanisches“ („Vatican Insider“) zu einigen Aspekten des Umfeldes der von vielen als „schwierig“ bezeichneten Reise Benedikts XVI. in seine deutsche Heimat. Am Ende werde es darauf ankommen, „wie tief die Aussaat des Papstes in den deutschen oft harten und trockenen Boden einzudringen vermag“. Wie das Evangelium lehre, brauche es dann seine Zeit, ehe aus der Aussaat eine Ernte wird.

Kardinal Brandmüller betonte, dass sich die Begegnung des Papstes mit den Gläubigen Deutschlands nicht auf Verbände oder Gremien organisierter Katholiken beschränken lasse: „Die allein, meine ich, könnten kaum als repräsentativ für die deutschen Katholiken angesehen werden – von ihrer fehlenden ‚demokratischen’ Legitimation durch die normalen Gläubigen einmal ganz abgesehen“. Es sei zu beachten, dass der Geist nicht selten außerhalb der Strukturen wehe.

Angesprochen auf die Missbrauchsskandale und den durch den „Dialogprozess“ erhofften Neuanfang in der deutschen Kirche erklärte Brandmüller, dass die Missbrauchsskandale nicht Ursache, sondern Folgen und Symptome einer tiefen, seit Jahrzehnten den Glauben erfassenden Desorientierung seien. In ihnen komme ein weitgehender Verlust der Dimension des Übernatürlichen zum Ausdruck: „Die Wirklichkeit Gottes war und ist für viele aus dem Blickfeld geraten“. Daher sei es schwer verständlich, was diesbezüglich ein wie immer gearteter Dialog zwischen wem auch immer über uralte, längst ausdiskutierte Themen bewirken könne. Es müsse vielmehr darum gehen, mit neuer Bereitschaft zum Hören, zum Glauben und zur Umkehr dem Heiligen Vater zuzuhören, wenn er in Deutschland das Wort Gottes verkünde.

Auf die Frage, ob ihn die Wahl eines Deutschen als Nachfolger Petri erstaunt habe, meinte Kardinal Brandmüller, dass die Nationalität keine Rolle gespielt habe, wie dies vielleicht noch bei Johannes Paul II. auch aufgrund der historischen Situation der Fall gewesen sei. Im Fall Benedikts XVI. sei es so gewesen, dass der langjährige Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, der extreme theologische und pastorale Herausforderungen zu meistern gehabt hätte, bei den Kardinälen höchstes Ansehen genossen habe.

Es sei durchaus positiv, so Brandmüller, wenn mehr als die Hälfte aller Deutschen stolz auf „ihren“ deutschen Papst seien. Bedeutungsvoller jedoch sei die Frage, ob diese auch die Botschaft annehmen werden, die ihnen der Papst bringen werde. Wichtig sei die Wirkung seines Wortes.

Trotz aller oft festgestellten „Kleinmütigkeit“ der deutschen Katholiken, wenn es um die Wirkung Benedikts XVI. gehe, sei es vielmehr der Fall, dass das so genannte kirchliche Establishment den Hunger vieler Menschen nach Gott, nach Wahrheit und sicherem Grund für das Leben und Sterben unterschätze: „Da dieser Hunger durch eine weithin kleinmütige, horizontalistische und damit oberflächliche Verkündigung seit langem ungestillt bleibt“, so Kardinal Brandmüller, „wird dem Wort des Papstes erhöhte Aufmerksamkeit nicht zuletzt außerhalb der Kirche entgegengebracht werden“.

Foto Walter Kardinal Brandmüller: (c) kath.net/Lorleberg


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