Wohin geht die deutsch-katholische Kirche?

8. September 2011 in Deutschland


Die Nostalgie nach der Ethikagentur - Unterwegs im Dialogprozess. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Erinnern Sie sich noch an den Bundestagsabgeordneten Werner Bornheim und seine Rede, die sich als richtungsweisend für einen neuen politischen Stil erwiesen hat? Nein? Kurz zur Gedächtnisauffrischung: Werner Bornheim gehörte in der Weimarer Republik der Deutschen Volkspartei an, wurde nach dem Kriege Mitglied der L.A.P., wechselte 1952 aus Gewissensgründen zur CDU und stieß 1957 zur FDP. 1961 legte er jedoch sein Mandat nieder und wurde Landtagsabgeordneter der SPD. 1964 überwarf er sich mit dieser Partei und zog als CSU- Abgeordneter in den Bundestag ein. Danach war er noch je zweimal Abgeordneter der SPD und der CDU, bevor er aus Gewissensgründen vorerst die Parteilosigkeit wählte.

Und dann... ließ ihn Loriot sprechen: „Meine Damen und Herren, Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch – ohne darumherumzureden – in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden. Ich kann meinen politischen Standpunkt in wenige Worte zusammenfassen: Erstens das Selbstverständnis unter der Voraussetzung, zweitens und das ist es, was wir unseren Wählern schuldig sind, drittens, die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms“. Bis Bornheim/Loriot mit dem denkwürdigen Aufruf endete: „Meine Damen und Herren, wir wollen nicht vergessen, draußen im Lande und damit möchte ich schließen. Hier und heute stellen sich die Fragen, und ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage... Letzten Endes, wer wollte das bestreiten! Ich danke Ihnen .....“

Denkt man an vieles im Bereich des sogenannten Dialogprozesses, drängt sich einem gleichsam die Erinnerung an diesen Sketch auf, der Generationen lachend auf dem Sofa festgeklebt hatte – mit einem Unterschied: keine Lachtränen stellen sich ein, sondern sorgenvoll werden die Falten um die Augen tiefer. Die Bischöfe hatten sich, so die anfängliche Beschreibung, zu einer „Dialoginitiative“ entschlossen, dies aus einer „konsequenten Option für die Menschen” heraus; die „Nähe zum Leben der Menschen von heute” wird betont, es geht den Oberhirten um die „tatsächliche Lebenssituation“ der Menschen. Der Auftrag wird darin erkannt, zu diesen „Menschen von heute“ wirklich und auf verständliche Weise zu finden.

Dialog, Dialog Dialog: dieses Wort von scheinbar magischer Macht wird seither wie ein Mantra rezitiert, „strukturiert“ soll dieser Dialog sein, und Anliegen des Dialogisierens ist es, „über das Bezeugen, Weitergeben und praktische Bekräftigen des Glaubens“ zu reden. „Umkehr und neuer Aufbruch“ ist das Motto, unter das die Bischöfe ihre Vision für die Zukunft stellten. Dabei benutzten sie mit dem Wort „Umkehr“ einen für das Lehramt Papst Benedikts XVI. kennzeichnenden Begriff, verkehren diesen jedoch allem Anschein nach in etwas anderes als das, was der Papst meint.

Dieser will mit der Umkehr keinen dramatischen und Effekt heischenden Bruch mit einer Vergangenheit, sondern die individuelle und kollektive Einkehr in das Wesentliche des Christentums und Kircheseins. Der Feind sitzt in der Kirche, weiß Benedikt XVI. Alles Leiden der Kirche entstammt der Untreue ihrer Glieder und besonders ihrer Diener, der Sucht danach, sich Moden anzugleichen, attraktiv sein zu wollen. Wer aber vor allem „Attraktivität“ der Kirche sucht, ist für den Papst schon auf dem Holzweg. „Die Kirche arbeitet nicht für sich, sie arbeitet nicht dafür, ihre Mitgliedszahlen und damit die eigene Macht zu vergrößern. Die Kirche steht im Dienst eines Anderen, sie dient nicht sich selbst, um stark zu sein, sondern sie dient dazu, die Verkündigung Jesu Christi zugänglich zu machen, die großen Wahrheiten, die großen Kräfte der Liebe, der Versöhnung, die in dieser Gestalt sichtbar geworden sind und die immer von der Gegenwart Jesu ausgehen“, so der Papst vor gut einem Jahr in seinem Gespräch mit den Journalisten auf dem Flug nach Großbritannien. Die Kirche muss also nicht die eigene „Attraktivität“ suchen, sondern mit den Worten des Papstes „für Jesus Christus transparent sein“.

Ist der „strukturierte Dialog“ und der geforderte offene Gesprächs- und Erneuerungsprozess in der Kirche der Tiefendimension der Lehre des Papstes angemessen? Angesichts einer von vielen als dramatische wahrgenommenen Situation scheint es notwendig zu sein, sich über Strategien Gedanken zu machen, wie dem Glauben eine Zukunft zu geben ist. Wird dabei aber nicht übersehen, dass der Glaube nur dann eine Zukunft hat, wenn das, was Glaube ist, unverfälscht in seiner umfassenden Dimension mitgeteilt wird, wenn klar gemacht wird, dass „Dialog“ nicht bedeutet, einen Anspruch zu relativieren, sondern ihn umso deutlicher zutage treten zu lassen?

Neue Strukturen sollen gefunden werden, die dem Volk Gottes angemessen sind. „Anschlussfähigkeit“ gegenüber einer säkularen Gesellschaft soll gesucht und bewiesen werden. Und wieder stellt sich eine Frage: Kann es sein, dass die Oberhirten der Ansicht sind, durch eine Selbstsäkularisierung der Kirche dem Glauben und der Verkündigung Christi in der Welt zu dienen? Besagt die Rede vom Anschluss denn nicht, den wahren Kern der Lehre verfügbar zu machen, ihn zu relativieren, ihn Moden und Zeitumständen anzupassen und so attraktiv zu machen?

„Mutig und offen“: das sind Worte, die gern im Mund geführt werden. Mutig und offen soll allen Problembereichen begegnet werden. Es scheint sich von selbst zu verstehen, dass es dabei um das geht, was in einer säkularisierten Gesellschaft und im Bereich eines des Wesentlichen unfähigen Glaubens immer Schlagwortthemen sind: Zölibat, Frauenpriestertum, katholische Morallehre, „demokratische“ Ordnung der Kirche gegen hierarchische Bevormundung – die üblichen Dauerbrenner, die bis zum Erbrechen immer wieder neu durchkaut werden.

Was soll man aber von einer schleichend und bewusst vorangetriebenen Unterwanderung der katholischen Sitten- und Morallehre halten? Kann es sein, dass ein Ziel darin besteht soll, sich säkularen Lebensumständen anzupassen, die nicht mehr unbedingt mit der Morallehre der Kirche übereinstimmen? Das Gespräch mit Rom wird gesucht, ja gebraucht, wie Karl Kardinal Lehmann zu Beginn des Dialogprozesses erklärte. Gegenstand der Gespräche sollten sein: „Etwa die Debatte um die 'viri probati', die Zulassung von Männern zum Priesteramt, die sich in Beruf und Ehe bewährt haben. Dazu gehören auch die Fragen der Stellung geschiedener Wiederverheirateter in der Kirche einschließlich des Sakramentenempfangs sowie die Frage einer Zulassung nichtkatholischer Christen zur Eucharistie. Man muss diese drei Themenblöcke auseinanderhalten, aber zugleich schauen, dass man sie mutig und offen angeht. Wobei man bei bestimmten Dingen sagen muss: Die Antworten wissen wir auch nicht ohne weiteres von vornherein. Aber es muss eine verlässliche und überzeugende Antwort sein. Dann nehmen uns die Leute dies auch ab. Selbst wenn nicht immer das herauskommt, was so auf der Straße liegt“.

Zu all diesem Dialog bedarf es dann für die Bischöfe im Rahmen der Umkehr und des „neuen Aufbruchs“ einer Auseinandersetzung mit dem II. Vatikanischen Konzil, vor allem mit dem Dokument „Freude und Hoffnung“ – „Gaudium et spes“. Im Jahr 1965 zielte dieses Dokument darauf ab, sich mit der „Kirche von heute“ auseinanderzusetzen. Im Jahr 1965. Die Nostalgie scheint überhandzunehmen. Es ist, als würde sich ein Soziologe 50 Jahre alter Texte aus einer Zeit bedienen, als Internet, Mobilfunk, „Social Networks“, Web 2.0 und all jene Elemente, die zum „heutigen“ Alltag gehören, noch im Bereich der Science Fiction lagen, um die moderne Kommunikationskultur zu beschreiben.

Nostalgie – sie scheint ein großer Antriebsmotor für viele zu sein. Nostalgie, die sich in Themen ausdrückt, die wie 50jährige Zombies das Klima vergiften: Zombies, die weiter ihr Unwesen treiben können, weil sie jenseits jeglicher über die Jeweiligkeit des Moments hinausgehender Reflexion künstlich am Leben erhalten werden. Nostalgie nach einer Kirche, die ihren so bequemen Platz einer Ethikagentur wieder einnehmen möchte und nur dadurch kann, dass sie wie jede andere Agentur verhandelt, sich auf den Markt begibt und nach dem Preis-Leistungsverhältnis denkt.

Was anscheinend durchgehend übersehen wird, ist, dass die Kirche kein soziales Konstrukt, kein endlicher Mechanismus ist, der jeweils dem Zeitgeist entsprechend neu hergerichtet werden kann oder muss. Wird nicht erkannt, dass die vielbeschworene Kirchenkrise eine Krise des Glaubens ist, für die es nicht ausreicht, Dialoginitiativen zu entwickeln, sondern die des Zeugnisses bedarf, dann gibt es nur ein nostalgisches Herumwerkeln an Strukturen. Statt Krusten zu entfernen, Eiterbeulen aufzustechen und Wundbrände zu heilen wird es dabei bleiben, immer mehr in den Schritt einer nicht mehr christlichen Welt des mehr oder minder aggressiven Relativismus zu treten.

Derartiges jedoch ist nicht des Namens der „Reform“ würdig. Es gibt keine „Reform“ der Kirche ohne übernatürliche Bindung. Es gibt kein tiefes Verständnis und somit keine Kommunikationsmöglichkeit der Sittenlehre, wenn diese nicht im Naturrecht verankert ist und jeder subjektivistischen Verkürzung entzogen wird. Wie ein Blick auf die großen Heiligen des Mittelalters zeigt, auf einen heiligen Bernhard von Clairvaux, auf einen heiligen Franziskus oder Dominikus, auf die heilige Katharina von Siena, besteht die einzige Reform der Kirche darin, ihre Heiligkeit aufleuchten zu lassen und hierzu allen Unrat und Gewohnheitsschrott zu beseitigen, gegen alle Verfinsterung des Sinnes für Gott.

Reform heißt: kompromisslos die Wahrheit Jesu Christi verkünden, sie zu lehren und nicht in Dialogprozesse unter dem Scheinlicht der Chimäre „Demokratie in der Kirche“ hineinzuführen. Wahre Reform kann nicht auf die Katechese als Wesenbestandteil verzichten. Deren Verwirklichung muss als unverzichtbarer Auftrag aller Hirten im Vordergrund stehen und zu neuem Leben gebracht werden.

Die Heiligkeit der Kirche – sie sollte erkannt, gesucht geliebt werden. Vielleicht wird es dann auch in Deutschland wieder möglich sein, das zu sehen und zu leben, was Gertrud von Le Fort dichtend über die Heiligkeit der Kirche formuliert:

„Deine Stimme spricht: Ich habe noch Blumen aus der Wildnis im Arme, ich habe noch Tau in meinen Haaren aus Tälern der Menschenfrühe. Ich habe noch Gebete, denen die Flur lauscht, ich weiß noch, wie man die Gewitter fromm macht und das Wasser segnet. Ich trage noch im Schoße die Geheimnisse der Wüste, ich trage noch auf meinem Haupt das edle Gespinst grauer Denker, Denn ich bin Mutter aller Kinder dieser Erde: was schmähest du mich, Welt, dass ich groß sein darf wie mein himmlischer Vater? Siehe, in mir knien Völker, die lange dahin sind, und aus meiner Seele leuchten nach dem Ew’gen viele Heiden! Ich war heimlich in den Tempeln ihrer Götter, ich war dunkel in den Sprüchen aller ihrer Weisen. Ich war auf den Türmen ihrer Sternsucher, ich war bei den einsamen Frauen, auf die der Geist fiel. Ich war die Sehnsucht aller Zeiten, ich war das Licht aller Zeiten, ich bin die Fülle der Zeiten. Ich bin ihr großes Zusammen, ich bin ihr ewiges Einig. Ich bin die Straße aller ihrer Straßen: auf mir ziehen die Jahrtausende zu Gott!“



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