Woelki bei Amtseinführung: Christ sein heißt 'Zeuge sein'

27. August 2011 in Deutschland


In seiner Predigt zur Amtseinführung als Erzbischof von Berlin wies Rainer Maria Woelki auf den „Grund unseres Lebensglücks“ hin. „Dieser Grund hat einen Namen: Jesus Christus!“


Berlin (kath.net) Rainer Maria Woelki wurde am heutigen Samstagvormittag in der überfüllten St.-Hedwigs-Kathedrale in das Amt des Erzbischofs von Berlin eingeführt. Vor hohen Repräsentanten aus Politik und Kirche überreichte ihm der Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Périsset, das päpstliche Ernennungsschreiben. Nach Verlesung des Schreibens wurde Woelki vom Dresdner Bischof Joachim Reinelt zur Kathedra geleitet. Das Pontifikalamt wurde zeitgleich auf eine Großbildleinwand am Bebelplatz übertragen. Der bisherige Weihbischof von Köln trat damit die Nachfolge von Georg Kardinal Sterzinsky an, welcher Ende Juni verstorben war.

Woelki wies in seiner Predigt auf den „Dreh- und Angelpunkt des Christentums“ hin, auf Jesus Christus. „In ihm, in Jesus Christus, nehmen wir Gott selbst in unser Innerstes, in unser Leben auf“. Denn, so erläuterte der neue Erzbischof, „Unser Glaube ist nämlich nicht in erster Linie eine Moral! Er ist auch nicht zuerst ein Gedankengebäude, und auch nicht ein bloßes Gebilde von Lehrsätzen. Das Christentum ist zu allererst ein Geheimnis, nicht irgendein Geheimnis, sondern ein Geheimnis der Liebe, einer Liebe zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und mir, einer Liebe, die nicht etwas gibt, sondern die sich selbst gibt.“


KATH.NET dokumentiert die Predigt von Erzbischof Dr. Rainer Maria Woelki zur seiner Einführung als Erzbischof von Berlin am 27. August 2011 in voller Länge:

Liebe Schwestern und Brüder,
bei meinem Abschied aus Köln ist mir ein neuer Bischofstab als Geschenk überreicht worden. Vielleicht haben Sie davon erfahren oder waren sogar dabei. Dieser Stab, den ich deshalb auch heute am Tag meiner Einführung als Erzbischof von Berlin trage, ist für mich wie eine Brücke, die mich jetzt hinüber führt von Köln nach Berlin.

Am Übergang vom Holz des Stabes zur Krümme sind die Hl. Drei Könige zu sehen. Sie entwachsen ihm gewissermaßen. Ihre Köpfe, ihre Augen, der suchende Blick – alles an ihnen ist ausgerichtet auf den Stern in der Höhe, der über ihnen steht und auf das Kind verweist, das in der Mitte des Bogens zu sehen ist. Diese Drei – sie stehen im Grunde stellvertretend für einen jeden von uns, diese Drei, die auf der Suche sind nach dem, was ihr Leben ausmacht. Auch wir suchen danach. Welchen Sinn hat mein Leben? Was soll aus mir und meinem Leben werden – ich meine: endgültig werden? Wo finde ich mein Glück, mein Lebensglück? Wo die Wahrheit meines Lebens? Wir Christen sind überzeugt, dies alles gefunden zu haben in dem, zu dem hin sich damals die drei Weisen aus dem Morgenland aufmachten: In Jesus Christus.

In den vergangenen Wochen, in denen ich als Ihr neu ernannter Bischof des Öfteren in Berlin sein durfte, war immer wieder davon die Rede, dass in unserer Stadt nur etwa jeder Dritte einer christlichen Kirche angehöre. Wir sind augenscheinlich nicht viele. Das soll und darf uns aber nicht entmutigen! Denn: Auch wenn wir numerisch in der Minderzahl sind, stehen wir als Christen für eine Botschaft, die für Kirche und Welt und damit für jeden Menschen von höchster Bedeutung, ja sogar – mit den Augen des Glaubens betrachtet – alternativlos ist: Wir können Rede und Antwort stehen jedem gegenüber, der uns nach dem Grund unserer Hoffnung fragt, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15), der uns nach dem Grund unseres Lebensglücks fragt. Und dieser Grund hat einen Namen: Jesus Christus! Diesen Namen haben Berliner Christen immer schon bezeugt – auch in schwieriger Zeit. Dafür steht z. B. der sel. Bernhard Lichtenberg, der in unserer Kathedrale in besonderer Weise verehrt wird. Dafür stehen viele Christen, die in den Zeiten der DDR für ihren Glauben eingestanden sind und die bereit waren, für ihn beruflich und privat Nachteile in Kauf zu nehmen.

Auch meine Vorgänger im bischöflichen Dienst haben das in ihrer Zeit auf ihre Weise getan, jedem gegenüber Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragte, die sie erfüllte. An dieser Stelle möchte ich dankbar an meinen verehrten Vorgänger im bischöflichen Dienst erinnern, an Georg Kardinal Sterzinsky, den wir vor wenigen Wochen nach seiner so schweren Erkrankung zu Grabe tragen mussten. Gerade in seinem Engagement für die Benachteiligten in unserer Gesellschaft, für die Flüchtlinge und Migranten, in seiner Sorge um eine gesicherte Zukunft für unsere Familien und die junge Generation und nicht zuletzt auch in seinem Eintreten für eine religiöse und Werte orientierte Erziehung gerade auch im schulischen Religionsunterricht ist er vielen zu einer Hoffnung geworden, die ihm aus seinem Glauben an Christus erwachsen ist.

So wie diese alle gefragt wurden nach dem Grund ihrer Hoffnung und dann oftmals nicht einfach nur mit Worten, sondern mit ihrem Lebenszeugnis geantwortet haben, so fragen heute auch uns Menschen danach. Sie fragen nach dem, was uns als Menschen und als Christen damals wie heute leben lässt. Das, was uns als Christen leben lässt – ich meine: wirklich leben lässt – das will der Herr uns heute noch einmal im Evangelium zeigen. Er sei – so sagt er uns da – gekommen, um den Namen Gottes zu offenbaren. Genau darin bestehe sein Werk, das er zu vollbringen habe: Den Vater auf Erden zu verherrlichen, jetzt, da die Stunde gekommen sei, in der er am Kreuz erhöht werden solle. Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht. Aber das ist doch unfassbar: Dass in der Erhöhung am Kreuz der Name Gottes für uns Menschen am deutlichsten offenbar werden soll. Dabei hatte dieser ihn ja schon im Alten Bund den Menschen offenbart – aus dem brennenden Dornenbusch heraus – sie erinnern sich: Jahwe ist mein Name – so hatte er zu Mose gesagt. Und das bedeutet: „Ich bin da“- für Euch. Der, der da aus dem Dornbusch redete, welcher brannte und doch nicht verbrannte, der „ich bin da“ – für euch, der wird jetzt in Jesus Christus zu dem, der rettet – endgültig rettet, einzig und allein rettet. Jesus – der Name – heißt denn auch: „Gott rettet!“ Das, liebe Schwestern und Brüder, ist Gottes Name, der uns Grund zur Hoffnung gibt!

Was das meint, können wir kaum ermessen. „Den einzigen und wahren Gott erkennen und den er gesandt hat, Jesus Christus“, das bedeutet so viel wie „das ewige Leben“ empfangen, das ewige Leben, das Gott selber ist, Gemeinschaft zu haben mit Ihm, communio, Anteil zu haben an Ihm und seinem Leben. Damit das geschehen kann, muss es uns vor allem um eines gehen: Wir müssen versuchen, bei allem was wir tun und sagen „im Namen Gottes zu bleiben“, „die Worte Jesu aufzunehmen“, und danach trachten, „Jesus als den Christus, als den Messias Gottes zu erkennen“. Das ist gewissermaßen die Außenseite dieses unfassbaren Geschehens. In ihm, in Jesus Christus, nehmen wir Gott selbst in unser Innerstes, in unser Leben auf. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist die Mitte unseres Glaubens! Das ist der Dreh- und Angelpunkt des Christentums!

Unser Glaube ist nämlich nicht in erster Linie eine Moral! Er ist auch nicht zuerst ein Gedankengebäude, und auch nicht ein bloßes Gebilde von Lehrsätzen. Das Christentum ist zu allererst ein Geheimnis, nicht irgendein Geheimnis, sondern ein Geheimnis der Liebe, einer Liebe zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und mir, einer Liebe, die nicht etwas gibt, sondern die sich selbst gibt. Genau das meint dann auch dieses Erkennen, von dem der Evangelist heute spricht – ein Erkennen, wie wir es vielleicht von zwei Menschen kennen, die einander lieben, wirklich lieben, so dass sie eins werden und einander erkennen bis in die tiefsten Tiefen ihrer Selbst. Um dieses liebende Erkennen geht es auch mit Blick auf Gott. Wir müssen uns dafür öffnen, damit er sich uns zu erkennen geben kann. Dieses liebende Erkennen ist u.a. nicht zuletzt deshalb notwendig, damit eingeforderte Rechtgläubigkeit nicht in einem unfruchtbaren Buchstabenglauben erstarrt. Dieses „Erkennen“ ist notwendig für unseren christlichen Einsatz für die Welt, um ihn mehr sein zu lassen als bloß anständige Menschlichkeit. An diesem „Erkennen“ hat sich alle Überlieferung und alle Reform messen zu lassen, um zu ersehen, ob sie diesem Geheimnis der Liebe zwischen Gott und Mensch dient oder nicht.

Vor dem Hintergrund dieses Erkennens geht es dann auch nicht mehr einfach nur um konservativ oder liberal, nicht um alt oder neu. Es geht nicht einfach nur um das sogenannte Zeitgemäße. Nein, es geht um mehr. Es geht allein um das Wahre und das Christliche für unser Heute! Zur Berufung und Sendung des Christentums gehört es, die Nöte der Welt heilen zu helfen. Dazu ist Christus wirklich gekommen, und deshalb wollen wir heute in unserem Kollektenopfer auch teilen - speziell mit den Hungernden am Horn von Afrika. Aber noch mehr ist er dazu gekommen, dass wir das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10), nicht irgendein Leben, sondern das ewige göttliche Leben Gottes selbst! Dieses Leben wird weitergegeben durch Zeugen. „Nos sumus testes - wir sind Zeugen! Das ist unsere Berufung als Christen! Christ sein heißt: Zeuge sein! Christ sein heißt: Christus in sich tragen und zu den Menschen tragen.

Wir haben ihnen zu bezeugen, dass Gott kein namenloses Es ist, der irgendwo im Jenseits west und von dem nichts gesagt werden kann. Nein! Gott hat einen Namen! Wir können ihn anreden, so wie er auch uns angeredet hat – nicht einfach nur mit Worten, sondern mit dem persönlichsten Wort seiner Liebe: Jesus Christus. In ihm ist er aus dem Verborgenen herausgetreten. In ihm hat er unser Geschick zu seinem eigenen gemacht. Darum wissen wir uns von Gott verstanden. In Christus haben wir sogar Zugang zu ihm. Denn in seiner Tat, in seinem Kreuz ist der Tod aufgebrochen, und diese Welt hat begonnen, neu zu werden. Die Schatten und Ahnungen der Religionen von der Vermählung Gottes mit dieser Welt, von der Gemeinschaft mit ihm als dem Sinn und Ziel aller Dinge, haben Gestalt angenommen, sind wahr geworden in dem, den er gesandt hat: Jesus Christus. Dieser ist die Hoffnung der ganzen Menschheit. Wo er ist, da ist Zukunft! Wo ihm geglaubt wird, da beginnt das Reich Gottes, nicht erst irgendwann einmal, wenn wir tot sind, nein, schon jetzt – in diesem Leben. Am Tag unserer Taufe hat das begonnen. Wo ihm geglaubt wird, empfangen sterbliche Menschen schon jetzt göttliches Leben, fangen zu leben an wie er, geweiht für die anderen, besonders für die, deren Würde mit Füßen getreten wird und die oftmals nur die Schattenseiten dieses Lebens kennen. Wo Menschen diese Liebe empfangen, wird die Welt anders, wird sie neu. Christen wie Bernhard Lichtenberg oder wie die, die in der ehemaligen DDR standgehalten haben, stehen mit ihrem Leben dafür. In Christus, liebe Schwestern und Brüder, haben wir eine lebendige Hoffnung, die nicht trügt, weil Gott nicht betrügt, sondern treu und ewig ist. Und sie ist einem jeden verheißen! Niemand ist hier ausgenommen!

Welchen Sinn hat mein Leben? Was soll aus mir und meinem Leben werden – ich meine: endgültig werden? Wo finde ich mein Glück, mein Lebensglück? Wo die Wahrheit meines Lebens?, so haben wir eingangs gefragt. Wir Christen sind überzeugt, hierauf eine Antwort gefunden zu haben, die zu allen Zeiten und unter allen Umständen gültig ist. Wir können sie jedem geben. Denn wir sind ja mit auf der Fahrt durchs Leben – die lange, lange Straße lang (Wolfgang Borchert). Wir wissen wohin! Wir fahren mit Christus in der Kraft des Heiligen Geistes Gott entgegen – mitten in dieser Zeit! Und das gibt unserem Leben Hoffnung und Größe! Das schenkt ihm Weite und Horizont! Das macht es spannend und froh! Denn wir wissen darum, wer wir sind und wer Gott ist und dass wir allein in ihm Leben und Zukunft haben! Amen.


Pressekonferenz mit Weihbischof Rainer Maria Woelki in Berlin am 5. Juli 2011, Teil 1, auf kathTube:



Foto: Erzbischof Woelki bei der Predigt während seiner Amtseinführung, (c) Domradio Screenshot


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