‚Wir sind keine Volkskirche mehr’

18. Juni 2011 in Aktuelles


Der Dialogprozess im Bistum Essen: ‚Zukunft auf Katholisch’. Das Hirtenwort des Bischofs


Essen (kath.net/as) Das Gespräch über die Fragen zur Zukunft der Kirche zu suchen und möglichst viele Dialogprojekte zu entwickeln, dazu ruft Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck die Katholiken des Bistums Essen auf. „Mein Wunsch ist es, dass wir im Miteinander-Sprechen Wege finden, um die in Teilen spürbare Lähmung und Resignation zu überwinden“, schreibt der Bischof in einem Hirtenwort zum Dialogprozess, das am 18. und 19. Juni in allen katholischen Gottesdiensten im Ruhrbistum verlesen wird. Dies teilt das Bistum auf seinem Internetsite mit.

Overbeck verweist auf die Vollversammlung der deutschen Bischöfe im letzten Herbst, auf der ein breiter Prozess des Dialoges angeregt worden sei. Auch im Bistum Essen gebe es schon erste Schritte und Initiativen, um auf vielen Ebenen möglichst Viele miteinander ins Gespräch zu bringen. „Die Hoffnung ist groß, dass dabei alles zur Sprache kommt, was uns in unserem Bistum und darüber hinaus bewegt – das, was uns lähmt und belastet, aber auch das, was uns für die Zukunft ermutigt“, so Overbeck.

Die Veränderungen im Ruhrbistum innerhalb der letzten Jahre würden vielen immer noch „schwer zu schaffen“ machen. Es gelte, Abschied von der „Volkskirche“ zu nehmen und sich darauf einzustellen, „als Katholiken in einer pluralen Gesellschaft zu leben und als Kirche im Volk eine gesellschaftliche Gruppe unter anderen zu sein“, schreibt der Bischof. Das bedeute „schmerzhafte Verluste und Abschiede von unserem gewohnten kirchlichen Leben“. Der Missbrauchsskandal habe die Situation zusätzlich verschärft.

Der Gesprächsbedarf ist hoch

In der inner- und außerkirchlichen Öffentlichkeit habe es in den letzten Monaten viele und teils heftig geführte Diskussionen gegeben. „Das zeigt mir, wie hoch der Gesprächsbedarf ist“, so Overbeck. Es werde zuviel übereinander statt miteinander geredet. Die Kirche befinde sich in einer Krise. „Ich verstehe dieses Wort im Sinne von Wandel und Veränderung“, betont der Bischof. In solchen Zeiten gebe es auf offene Fragen keine einfachen Antworten und für Probleme keine schnellen Lösungen. Geschichtliche Entwicklungen könne man nicht zurückschrauben. „Und wir werden lernen müssen, mit vielem, was unabänderlich ist, zu leben“, so der Ruhrbischof. Um gemeinsame Positionen für den zukünftigen Weg zu „ringen“, dazu ermuntert er in seinem Hirtenwort. „Lassen Sie uns einen ehrlichen, offenen und von einem guten geistlichen Stil geprägten Austausch in unserem Bistum suchen.“ Diesen Weg des Dialoges wolle der Bischof „ganz bewusst und selbstverständlich“ mit den Katholiken des Ruhrbistums gehen.

Die Ergebnisse der vielen Gespräche wird eine vom Bischof beauftragte Arbeitsgruppe sammeln, die die verschiedenen Dialogprojekte vernetzen und weitere Schritte anregen soll.

„Zukunft auf Katholisch“ – das ist das Motto des Dialogprozesses im Bistum Essen. Auch eine eigene Internetseite gibt es. Unter www.zukunft-auf-katholisch.de kann man Ideen und Meinungen einbringen und über eigene Veranstaltungen informieren. Auch Arbeitshilfen werden hier nach den Sommerferien vorgestellt.

Kath.net veröffentlicht das Hirtenwort von Bischof Franz-Josef Overbeck, das am kommenden Sonntag in den Kirchen des Ruhrbistums verlesen werden wird:

Liebe Schwestern und Brüder,

bei vielen Gelegenheiten habe ich in den letzten Monaten angekündigt, dass es in unserem Bistum einen breiten Prozess der gemeinsamen Suche und des Dialogs über die Situation und den künftigen Weg unserer Kirche geben soll. In diesen Tagen nach Pfingsten möchte ich Sie alle dazu ausdrücklich und von Herzen einladen!

Es ist ein guter Anlass: Denn zu Pfingsten sind wir daran erinnert worden, dass der Heilige Geist die Jünger dazu befähigt, in Sprachen zu reden, die alle Grenzen des Verstehens überschreiten. Das sollte auch uns ermutigen, miteinander zu sprechen – auf und zwischen allen Ebenen unseres Bistums, aber auch über die Grenzen unserer Kirchenräume hinweg.

Wir Bischöfe haben im Rahmen unserer Vollversammlung in Fulda im letzten Herbst einen breiten Prozess des Dialoges angeregt. Inzwischen wurden dazu in unserem Bistum schon erste Schritte getan: Der Diözesanrat der katholischen Männer und Frauen hat Gespräche auf den verschiedenen Ebenen unseres Bistums angestoßen. In allen Stadt- und Kreisdekanaten gibt es Treffen, um möglichst viele Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Einzelne Gemeinden und Verbände überlegen bereits weitere Initiativen. Die Hoffnung ist groß, dass dabei alles zur Sprache kommt, was uns in unserem Bistum und darüber hinaus bewegt – das, was lähmt und belastet, aber auch das, was uns für die Zukunft ermutigt.

Mein Wunsch ist es, dass wir im Miteinander-Sprechen Wege finden, um die in Teilen spürbare Lähmung und Resignation zu überwinden. Die Veränderungen der letzten Jahre machen vielen in unserem Bistum schwer zu schaffen. Die strukturellen Umbrüche sind dabei nur ein äußeres Zeichen für das Ende einer kirchengeschichtlichen Epoche. Wir sind keine Volkskirche mehr und müssen uns darauf einstellen, als Katholiken in einer pluralen Gesellschaft als Kirche im Volk eine gesellschaftliche Gruppe unter anderen zu sein. Das bedeutet weiterhin viele schmerzhafte Verluste und Abschiede von unserem gewohnten kirchlichen Leben. Der Missbrauchsskandal des vergangenen Jahres hat unsere Situation zusätzlich verschärft. Sehr schmerzhaft haben wir erfahren müssen, dass die Realität in unserer Kirche oft weit entfernt ist von unseren hohen Ansprüchen und Idealen.

In den vergangenen Monaten hat es viele, teils heftige Diskussionen in der innerkirchlichen wie auch außerkirchlichen Öffentlichkeit gegeben. Das zeigt mir, wie hoch der Gesprächsbedarf ist. Manchmal habe ich dabei den Eindruck gewonnen, dass zu viel übereinander, aber viel zu wenig miteinander geredet wird. Das ist verständlich, denn es geht in den Fragen des Glaubens und der Kirche um Themen von existentieller Bedeutung, die in Krisenzeiten mit großen Ängsten verbunden sind.

Wir befinden uns in unserer Kirche zweifellos in einer Krise. Ich verstehe dieses Wort im Sinne von Wandel und Veränderung. In solchen Zeiten gibt es auf offene Fragen keine einfachen Antworten und für Probleme keine schnellen Lösungen. Geschichtliche Entwicklungen können wir nicht zurückschrauben. Wir werden lernen müssen, mit vielem, was unabänderlich ist, zu leben. Lassen Sie uns ringen um gemeinsame Positionen für die vor uns liegenden Wege. Im ehrlichen Bemühen, miteinander zu sprechen und darauf zu vertrauen, dass der Geist unseres Herrn Jesus Christus uns führt, können wir Perspektiven für die Zukunft unserer Kirche finden.

Wenn ER es ist, der unsere Kirche auch in diesen Zeiten führt, dann darf uns in unseren Gesprächen stets die Frage leiten: Was will Jesus Christus eigentlich von uns? Wie sollen wir hier bei uns zwischen Lenne, Rhein, Ruhr und Emscher in dieser Zeit und unter unseren heutigen Bedingungen als Christen leben und Seine Kirche sein? Der Glaube daran, dass Christus uns führt, ermöglicht auch einen Perspektivwechsel: Vielleicht verbergen sich ja gerade in den Schwierigkeiten, die uns zu schaffen machen, Hinweise, mit denen ER uns zum Umdenken und zur Veränderung einlädt? Und vielleicht liegen in den Meinungen und Positionen, die uns abwegig und provokant erscheinen, verborgene Impulse unseres Herrn?

Liebe Schwestern und Brüder,

„Zukunft auf Katholisch“ – unter diesem Motto lade ich Sie ein, in unserem Bistum das Gespräch über die Fragen zur Zukunft unserer Kirche zu suchen: In den Gremien und Gruppen auf allen Ebenen unseres Bistums, in den zahlreichen Verbänden und Gemeinschaften, in den Gemeinden und Pfarreien und an vielen anderen Orten in unserer Diözese. Ich lade Sie ein, in Ihren Gruppen und Gemeinschaften dazu selbst die Initiative zu ergreifen, um möglichst viele Dialogprojekte zu entwickeln.

Lassen Sie uns einen ehrlichen, offenen und von einem guten geistlichen Stil geprägten Austausch in unserem Bistum suchen, der auch über die Grenzen der eigenen Gruppe, Gemeinschaft und Gemeinde hinausgeht. Mehr noch: Lassen Sie uns auch in Verbindung treten mit der Welt um uns herum, mit den Menschen, die ein sehr distanziertes oder gar kein Verhältnis zur Kirche haben.

Als Ihr Bischof gehe ich bewusst und selbstverständlich diesen Weg mit Ihnen. Im Hören und mit meinen Überzeugungen werde ich mich einbringen und schließlich mit Ihnen über Konsequenzen nachdenken und beraten. Dabei bin ich mir sicher, dass wir alle eine Lerngemeinschaft bilden.

Die Ergebnisse der vielen Gespräche wird eine von mir beauftragte Arbeitsgruppe sammeln. Dieser Gruppe gehören Personen aus verschiedenen Lebensbereichen der Kirche und aus verschiedenen Generationen an: Priester und Laien, Haupt- und Ehrenamtliche, Ordensleute, Frauen und Männer, junge und alte Menschen. Dieser Kreis wird die verschiedenen Dialogprojekte vernetzen, eigene Akzente setzen und weitere Schritte anregen.

Liebe Schwestern und Brüder,

vor einer Woche haben wir Pfingsten gefeiert und uns an den kraftvollen Anfang der Geschichte unserer Kirche erinnert. Pfingsten ist aber kein Fest der Vergangenheit. Der Heilige Geist ist uns bleibend zugesagt. Darum ist es auch heute möglich, dass wir in unserer Kirche vom Geist Gottes erfasst werden. Damals ließ er die Jünger in Sprachen reden, die das Christentum zu den Menschen in alle Welt brachte. Ich bin überzeugt, dass dieser Geist uns heute die Worte finden lassen wird, die uns helfen, als Kirche im Bistum Essen einen guten Weg zu finden - besonders auch zu den Menschen in der heutigen Welt, denen wir die Botschaft Jesu Christi zu bringen haben.

So freue ich mich auf viele Gespräche in unserem Bistum und erbitte dazu für Sie und uns alle den Segen des dreifaltigen Gottes.

Herzlich grüßt Sie
Ihr

+ Dr. Franz-Josef Overbeck
Bischof von Essen



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