'Des Kaisers neue Kleider'

11. Juni 2011 in Kommentar


Ich kenne viele Katholiken, die über die derzeitigen Entwicklungen in der Erzdiözese besorgt sind - Ein Gastkommentar von Pfarrer Christian Sieberer über die aktuelle Situation in der Erzdiözese Wien


Wien (www.kath.net)
Ich kenne viele Katholiken, die über die derzeitigen Entwicklungen in der Erzdiözese besorgt sind, aber gerade die dem Lehramt der Kirche treuen Gläubigen äußern meist aus Loyalität zum Bischof keine Kritik, weil sie meinen: „Er wird ohnehin so viel kritisiert, da wollen wir nicht auch noch mitmachen.” So entsteht sehr leicht der falsche Eindruck, dass die so genannten „Kirchenerneuerer”, die sich ständig zu Wort melden, das ganze Volk Gottes repräsentieren.

Es ist für mich immer wieder erschütternd zu beobachten, dass ältere Priester oft erstaunlich eingeschüchtert sind und jüngere vor lauter Aktivität und Harmoniebedürfnis selten ein klares Wort herausbringen.

Nun gut, wenn die Berufeneren schweigen, dann ergreife ich das „offene Mikrofon”. Dieses ist ja zur Zeit für alle zugänglich, hoffentlich auch für einen katholischen Priester, der dem Lehramt der katholischen Kirche in allen Punkten treu ist, und der seine Sorge um den Weg seiner Ortskirche zum Ausdruck bringen möchte, ohne dadurch gleich Repressionen fürchten zu müssen. Ich tue dies auch in meiner Funktion als Pfarrer mit einer direkten Verantwortung vor Gott für 17 000 mir anvertraute Seelen.

„Ein mulmiges Gefühl”

Papst Johannes XXIII. legte vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil fest, dass dort über den Zölibat nicht diskutiert wird. Ich bin mir sicher, wenn es bei den Diözesanversammlungen im Wiener Stephansdom die klare Vorgabe gegeben hätte, dass dort endlich einmal über etwas anderes als die so genannten „heißen Eisen” gesprochen wird, mindestens die Hälfte der Teilnehmer gar nicht gekommen wäre.

Die Stimmung nach eineinhalb Jahren Apostelgeschichte 2010 erinnert mich an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider”. Die katholische Kirche in Wien erhält ein neues Mäntelchen, aber keiner weiß so recht, wie es aussieht. Und irgendwie beschleicht viele das mulmige Gefühl, dass hier etwas schief läuft. Aber so lange gejubelt wird, jubelt man halt mit, zumindest wird ja ständig der Eindruck von etwas ganz Großem und Neuem vermittelt.
Ich bin weder ein begnadeter Theologe noch ein gewiefter Kirchenpolitiker, sondern nur das kleine Kind, das sich schon seit Monaten die Augen reibt und jetzt endlich ausruft: „Aber, der ist ja nackt, dieser mystisch aufgeladene „Erneuerungsprozess”!

Damit dies nur ja niemand merkt, wird „der Vorgang” immer wieder in große, durchsichtige Wort-Umhänge gehüllt. Die Liste der Beispiele ist lang, eines möchte ich herausgreifen.
„Und immer wieder beginnt es mit der Theologie”

Die Erzdiözese Wien hat am 18. September 2010 einen Studientag über die Zukunft der Pfarrgemeinden im Rahmen der Wiener Diözesaninitiative „Apostelgeschichte 2010” veranstaltet. Dr. Johann Pock, Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, hat dazu Grundsatzgedanken formuliert.

Die diözesane Website www.erzdiözese-wien.at berichtete am 15.9.2010: ´"Kritisch sieht Pock den Versuch, "strukturell neue Wege zu gehen" und - ausgehend vom Priestermangel - Pfarren zu Pfarrverbänden zusammen zu ziehen. Aus pragmatischen Gründen sei das verständlich, aus theologischen Gründen aber anzufragen."

Hierzu erklärt Pock, dass die Gemeinde in der Zeit des Neuen Testaments aus höchstens 30 bis 40 Personen bestanden und das gemeinsame Mahl, die Eucharistiefeier, einer der Eckpunkte des Gemeindelebens war. Dass es derzeit zu wenig Priester gebe, sei eine "Wunde", so Pock. Hier gebe es verschiedene Überlegungen - von der Änderung der Weihe-Zulassungsbedingungen bis zur Zusammenlegung von Pfarren. "Ich glaube, dass Gemeinden vor Ort die gemeinsame Feier brauchen und dass Kirche die Verantwortung hat, dafür zu sorgen, dass es die Eucharistie vor Ort auch geben kann, und dass man nicht irgendwo hinfahren muss, wo man vielleicht gar nicht den Bezug hat. Weil Eucharistie so zentral für Gemeinde war." Auf den Punkt gebracht heißt das, "die Feier der Eucharistie war theologisch immer wichtiger, als die Frage, wer der Eucharistie vorsteht".

Sehr geehrter Herr Professor, bei allem Respekt sehe ich es nicht als Ihre Aufgabe an, in aller Öffentlichkeit von einer Kirche zu träumen, die es nie gab und nie geben wird. Ich verweise auch auf die Tatsache, dass Kardinal Schönborn bei der zweiten Diözesanversammlung im Stephansdom klar zum Ausdruck gebracht hat, dass die in unseren Breiten so dominanten Themen laut Auskunft mehrerer seiner Mitbrüder im Bischofsamt die meisten Menschen in anderen Ländern nicht sonderlich interessieren.

Bei der Übernahme Ihres Amtes als Theologieprofessor haben Sie denselben Treueeid geleistet wie ich bei der Übernahme meines Amtes als Pfarrer. (Siehe www.vatican.va)

Das grässliche Kirchenrecht als Quelle allen Übels

Was sagt nun der hier zitierte Codex des kanonischen Rechts?
Can. 899 — § 1. Die Feier der Eucharistie ist eine Handlung Christi selbst und der Kirche; in ihr bringt Christus der Herr durch den Dienst des Priesters sich selbst, unter den Gestalten von Brot und Wein wesenhaft gegenwärtig, Gott dem Vater dar und gibt sich den Gläubigen, die in seinem Opfer vereint sind, als geistliche Speise.

§ 2. In der eucharistischen Versammlung wird das Volk Gottes unter der Leitung des Bischofs oder des unter seiner Autorität stehenden Priesters, die in der Person Christi handeln, zur Einheit zusammengerufen; alle anwesenden Gläubigen, seien es Kleriker oder Laien, wirken zusammen, indem jeder auf seine Weise gemäß der Verschiedenheit der Weihen und der liturgischen Dienste teilnimmt.

§ 3. Die Feier der Eucharistie ist so zu ordnen, dass alle Teilnehmer daraus die reichsten Früchte erlangen, zu deren Empfang Christus der Herr das eucharistische Opfer eingesetzt hat.

Can. 900 — § 1. Zelebrant, der in der Person Christi das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen vermag, ist nur der gültig geweihte Priester.

Ganz ähnlich auch die Liturgiekonstitution des 2. Vatikanums:
„Bei den liturgischen Feiern soll jeder, ob Amtsträger oder Gläubiger, in der Ausübung seiner Aufgabe nur das und all das tun, was ihm aufgrund der Natur der Sache und der liturgischen Normen zukommt” (SC 28).

„Es ist alles furchtbar kompliziert”

Die routinemäßige Krisen-Zelebration beginnt meistens mit der Elegie auf den Priestermangel, die wehmütig feststellt, dass es vor vierzig Jahren etwa doppelt so viele Priester gab.

Verschwiegen wird fast immer die Tatsache, dass es vor vierzig Jahren auch vier Mal so viele praktizierende Gläubige gab. Der einzelne Gläubige lebt also heute in der glücklichen Lage, dass sich der Priester viel besser um ihn kümmern kann.

Fragt sich bloß, ob alle Gläubige dies überhaupt wollen …

„Keine Sorge, Herr Pfarrer, wir machen uns das schon selbst”, sagte beruhigend die ehrenamtliche Mesnerin einer Landpfarre, als es darum ging, dass es schwierig werden könnte, einen Priester für die Heilige Messe zu finden.

„Ich mache mir wirklich Sorgen um meine Wortgottesdienstleiter, die kommen viel zu selten dran.”, meinte tief betroffen der sechzigjährige Pfarrer zu seinem dreißigjährigen Kaplan. „Soll ich vielleicht nächsten Sonntag länger schlafen, damit Herr Huber die Sonntagsmesse feiern kann?”, antwortete dieser.

Sehr geehrte Frau Mesnerin, ihr macht es nicht selbst. Gerade um dieses Missverständnis zu vermeiden, gibt es das Sakrament der Priesterweihe. Jesus Christus ist der Vorsteher der Eucharistiefeier, in seiner Person feiert der Priester, in persona Christi capitis ecclesiae.

Hochwürdiger Herr Pfarrer, Sie brauchen sich nicht jeden Tag dafür zu entschuldigen, dass Sie Priester sind. Gott ist ihnen deswegen nicht böse, manche Menschen werden dies ein Leben lang sein.

Laudatio auf einen Ultrakonservativen

Es mag Sie beide auch überraschen, dass ein gewisser Papst Benedikt ihre Auffassungen zum Priestertum offensichtlich nicht teilt. In einer Lobrede auf einen Pfarrer, der für heutige Begriffe ein ultrakonservativer Vertreter des Klerikalismus war, schrieb er:

„Der Pfarrer von Ars war äußerst demütig, doch er wusste, dass er als Priester ein unermessliches Geschenk für seine Leute war: „Ein guter Hirte, ein Hirte nach dem Herzen Gottes, ist der größte Schatz, den der liebe Gott einer Pfarrei gewähren kann, und eines der wertvollsten Geschenke der göttlichen Barmherzigkeit.” Er sprach vom Priestertum, als könne er die Größe der dem Geschöpf Mensch anvertrauten Gabe und Aufgabe einfach nicht fassen: „Oh, wie groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein…”

Und als er seinen Gläubigen die Bedeutsamkeit der Sakramente erklärte, sagte er: „Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht. Wer hat ihn da in den Tabernakel gesetzt? Der Priester. Wer hat Eure Seele beim ersten Eintritt in das Leben aufgenommen? Der Priester. Wer nährt sie, um ihr die Kraft zu geben, ihre Pilgerschaft zu vollenden? Der Priester. Wer wird sie darauf vorbereiten, vor Gott zu erscheinen, indem er sie zum letzten Mal im Blut Jesu Christi wäscht? Der Priester, immer der Priester. Und wenn diese Seele [durch die Sünde] stirbt, wer wird sie auferwecken, wer wird ihr die Ruhe und den Frieden geben? Wieder der Priester … Nach Gott ist der Priester alles! … Erst im Himmel wird er sich selbst recht verstehen.”

„Wie hieß noch mal der weiße Mann da in Rom?”

In all den vielen Aufsätzen rund um Apostelgeschichte 2010 lese ich erstaunlich selten etwas über die Weltkirche und über den Papst als höchsten irdischen Vertreter unserer Glaubensgemeinschaft. Kein Wunder, die kunstvoll ausgeschmückten Kirchenträume haben ja auch wenig bis nichts mit der vom Lehramt der katholischen Kirche uns treu überlieferten Glaubenslehre und Ordnung der Kirche zu tun.

Ich persönlich habe mich ganz besonders gefreut, als Papst Benedikt XVI. den 150. Todestag des heiligen Pfarrers von Ars zum Anlass nahm, ein „Jahr des Priesters” für die ganze katholische Kirche auszurufen.

Und ich konnte es kaum fassen, dass ausgerechnet im Jahr des Priesters ein Prozess in unserer Erzdiözese beginnt, der direkt oder indirekt an einer Demontage des Priestertums Anteil hat. Da war es anscheinend manchen gar nicht so unrecht, dass hier das Thema des Missbrauchs durch Priester in einer Weise präsentiert wurde, die der Realität nicht entspricht.

Was sagte der Heilige Vater u.a. dazu in seiner Predigt zum Abschluss des Priesterjahres am 11. Juni 2010 auf dem Petersplatz?

„So wollten wir auch jungen Menschen wieder zeigen, dass es diese Berufung, diese Dienstgemeinschaft für Gott und mit Gott gibt – ja, dass Gott auf unser Ja wartet. Mit der Kirche wollten wir wieder darauf hinweisen, dass wir Gott um diese Berufung bitten müssen. Wir bitten um Arbeiter in der Ernte Gottes, und dieser Ruf an Gott ist zugleich ein Anklopfen Gottes ans Herz junger Menschen, die sich zutrauen, was Gott ihnen zutraut. Es war zu erwarten, dass dem bösen Feind dieses neue Leuchten des Priestertums nicht gefallen würde, das er lieber aussterben sehen möchte, damit letztlich Gott aus der Welt hinausgedrängt wird.”

Welch großartige Denker hat die katholische Kirche schon hervorgebracht! Warum bloß hört man nicht auf sie, und macht immer von neuem die gleichen zum Scheitern verurteilten „Erneuerungsversuche”?

Warum wird Provinzialismus nicht beim Namen genannt, obwohl er doch längst entlarvt ist. Hans Urs von Balthasar wusste es jedenfalls schon 1974:

„Aber der Heilige ist immer gekennzeichnet durch seine Leidenschaft für das Katholische. Er weiß sich als ein einzelnes, unbedeutendes Glied des lebendigen Ganzen, durch das und für das er lebt. Nie wird sich deshalb ein Heiliger mit dem abfinden, was sich heute als müder, resignierter oder trotzig sich partikularsierender theologischer Pluralismus ausgibt. Pluralismus im strengen Sinn -- als Lehre von Standpunkten innerhalb der einen katholischen Kirche, die untereinander von keinem menschlich einsichtigen Punkt aus mehr in Harmonie zu bringen sind, ist Provinzialismus und damit Leugnung der Katholizität.” (Der antirömische Affekt, Seite 40)

„I‘ ll be back.”

Es gäbe noch viel zu sagen, ich übergebe das Wort nun aber lieber an Dr. Michael Prüller, den Pressesprecher der Erzdiözese Wien.
Er spricht zum Thema: „Poch, poch die Wahrheit ist da.” unter http://diepresse.com/home/meinung

Ich melde mich ein anderes Mal wieder, wenn Interesse der Leser daran besteht und mir das „offene Mikrofon” nicht entrissen wird.

Komm, Heiliger Geist!


kathTube: Pfarrer Christian Sieberer im ORF




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