Nun schwimmt die Kirche wieder …

12. April 2011 in Deutschland


Innerevangelische Richtungsdebatten: Die kirchliche Versuchung besteht darin, dass man großen Trends hinterherrennt, um damit neue Wirkungsmacht zu demonstrieren. Dafür sucht man sich aber die falschen Freunde. Von Michael Inacker


Berlin (kath.net/idea) Nun schwimmt sie also wieder, unsere evangelische Kirche, auf den Wogen des Zeitgeists – und sie ist ganz stolz darauf, wie sehr sie sich dem Volks- und demoskopischen Willen anpasst. In der neuen Marketing-Sprache heißt das dann: die Menschen „abholen“. Dieses Mal – Geschichte wiederholt sich – ist es der Kampf gegen Atomkraft. Erinnerungen werden wach, man kann die alten Aufkleber hervorholen. Die gefühlte Gemeinschaft mit der angeblichen Mehrheit stärkt die eigene Position, die ja doch im täglichen Erleben eine andere ist: Mitgliederschwund, leere Gottesdienste, das Versinken in der öffentlichen Bedeutungslosigkeit. Mit dem Kampf gegen das Atom ist man wieder wer. Die Kanzlerin beruft drei Bischöfe in ihre Ethik-Kommission – hingegen nur einen Wirtschaftsvertreter.

Die Kirche entfernt sich von ihrem Markenkern

Dabei entfernt sich die Kirche immer weiter von ihrem Markenkern. Die Maßstäbe der Schöpfung sollte sie wachhalten, ja. Aber genaue Laufzeiten von Kernkraftwerken festzulegen, bleibt eigentlich Aufgabe der Politik. In der Verleugnung dieser zwei getrennten „Reiche“ lässt sich die Kirche ihre Agenda von Parteien – gerne der Grünen und der SPD – bestimmen. Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf hat dies treffend beschrieben: Auf Kirchentagen könne man immer „das Gute bestellen. Den Ausstieg aus der Atomenergie. Wunderbar. Aber dann fragen Sie sich doch mal, woher dann der Strom kommen soll.“ In der Kirche findet „eine moralische Reduktion von Komplexität statt“. Dies sei „langfristig für die Kirchen ruinös“. Denn die religiöse Botschaft, also die Kernaufgabe der Kirche, wird weiter moralisiert und damit profanisiert – also vom Mysterium des Glaubens und der göttlichen Autorität entfernt.

Nur 7 von 25 grünen Abgeordneten sind in der Kirche

Die kirchliche Versuchung besteht darin, dass man großen Trends hinterherrennt, um damit neue Wirkungsmacht zu demonstrieren. Dafür sucht man sich aber die falschen Freunde. Denn ausgerechnet die Bündnispartner in Politik und den Mitte-Links-Medien sind in wachsenden Teilen Verächter der Kirche. Von den 25 Grünen-Abgeordneten im Stuttgarter Landtag gehören nur sieben einer Kirche an. In der SPD-Bundestagsfraktion wird inzwischen die Abschaffung des traditionellen Staatskirchenrechts, das den Kirchen eine Sonderstellung einräumt, offen diskutiert. Und in der vorletzten Ausgabe des „Spiegel“ begründet deren Hauptstadt- und Politik-Chef, „warum sich die Demokratie endgültig vom Christentum befreien muss“.

Gibt es eine Lösung?

Die Kirche befindet sich in einer Zwickmühle: Gleichgültig, ob sie ihre Botschaft weiter religiös entkernt oder genau mit jenen politischen Strömungen Gemeinschaft sucht, die sie am Ende aus dem öffentlichen Raum verdrängen wollen – am Ende ist die kirchliche Besonderheit infrage gestellt. Gibt es eine Lösung? Ja, wir sollten den Weg einer Minderheiten-Kirche gehen. Nicht einer verschwindenden, sondern einer starken, kämpferischen Minderheit. Die Kirchen sind wegen Privilegien bei abnehmender geistlicher Leistung satt geworden. Faszinierende Botschaften sehen anders aus, und mit Grünen-Rhetorik füllt man keine Gottesdienste.

Der Autor, Dr. Michael Inacker (Kleinmachnow bei Berlin), ist Vorsitzender der Internationalen Martin Luther Stiftung



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