Wie kann ein Gott der Liebe so etwas zulassen?

15. März 2011 in Aktuelles


Nach jeder großen Katastrophe stellen sich Christen wie Nichtchristen diese Frage. Der evangelische Theologe Prof. Dr. Werner Thiede von der Universität Erlangen-Nürnberg versucht eine Antwort.


Erlangen (kath.net/idea) Die Naturkatastrophe in Japan ist in ihren Auswirkungen besonders desaströs, weil sie mit einer von Menschen gemachten Katastrophe verschränkt ist. Bekanntlich haben die Japaner sowohl das negative Potenzial der Naturgewalten als auch das mögliche Versagen der Atom-Technologie sträflich unterschätzt.

Gleichwohl stellt sich angesichts dieses furchtbaren Geschehens nicht nur die Frage nach menschlicher Schuld. Vielmehr drängt sich ähnlich wie schon bei früheren Naturkatastrophen – namentlich bei den Seebeben von Lissabon im Jahr 1755 und bei dem noch folgenreicheren, unvergessenen von 2004 – eine Anklage gegenüber Gott auf: Wie kann der angeblich gute Schöpfer solch unermessliches Leid zulassen? Sind derartige Ereignisse nicht Indizien dafür, dass es keinen Gott gibt, der „Liebe“ ist, wie es doch in 1. Johannes 4,8 und 4,16 heißt?

Am Ende wird sich es zeigen ...

Nun stehen diese Bibelstellen freilich in einem Zusammenhang, in dem auf das Kreuz Jesu Christi Bezug genommen wird. Gerade von daher, ja nur von daher lässt sich eine Antwort auf die Frage nach Gottes Schuld oder nach Gottes „Abwesenheit“ erschließen.

Selbst wenn fromme Menschen oft geneigt sind zu sagen, es gebe in dieser unserer Welt einfach keine solche Antwort und sie könne erst jenseits dieser Weltzeit erhofft werden, so unterstellen sie damit immerhin, dass sie dereinst möglich sein werde.

Anders ausgedrückt: Es muss einen – wenngleich uns noch verborgenen – Sinnzusammenhang geben, der Gott als Liebe und das Leid in seiner Schöpfung auf einen Nenner zu bringen vermag. Wer das abstreitet, der leugnet den guten Gott – und damit jeglichen übergreifenden Sinn des Lebens und der Welt. Will man so weit nicht gehen, sollte man die Möglichkeit offenhalten, dass dieser Sinnzusammenhang sich schon inmitten dieser Weltzeit kundgetan haben könnte.

Christlicher Glaube beansprucht, dass genau dies mit dem Kommen, Sterben und Auferstehen Jesu geschehen sei. Gerade am Kreuz des einen Gottessohnes ist darum auch ablesbar, dass Gott trotz und inmitten größten Leids sich als Liebe erkennen und festhalten lässt. Der Tod des von Gott Gekommenen offenbart, dass Gott dort nicht fern ist, wo gelitten wird. Und seine Auferstehung offenbart, dass Gott unterwegs ist, die Vergänglichkeit seiner Schöpfung zu besiegen. Am Ende wird sich zeigen, dass die vollendete Schöpfung in ihrer ewigen Herrlichkeit alles zuvor geschehene Leid weit mehr als aufwiegt.

Warum Gott diesen schwierigen Weg mit der von ihm geschaffenen Welt gehen musste, erschließt sich gerade von seinem Wesen als Liebe her.

Der Verzicht auf Allmacht

Indem der Schöpfer eine eigenständige Welt als – vorerst unvollkommene, leidvolle – Schöpfung setzt, konstituiert er ein Gegenüber, das ihn selbst begrenzt. Er muss sich selbst zurücknehmen, um der unvollkommenen Welt jenseits seiner eigenen Heiligkeit Raum zu geben.

Das schließt einen spürbaren Verzicht auf die Ausübung seiner Allmacht ein. Doch dieser für ihn wie für die Welt schmerzliche Verzicht ist so vorläufig wie die Unvollkommenheit der Weltgestalt überhaupt. Er ist so wenig endgültig, wie das Kreuz es gewesen ist. Wenn Gott dereinst „alles in allem“ sein wird, wird die Allmacht seiner Liebe am Ziel sein.

Christlicher Glaube darf noch inmitten erschütternden Leids auf den Sieg der Liebe Gottes vertrauen. Und er vertraut keineswegs nur blind: Von Jesu Kreuz und Auferstehung her ist er verstehendes Vertrauen.

Katastrophen rufen zum Umdenken auf

Jesus zufolge rufen Katastrophen zum Umdenken auf: nicht nur zur Umorientierung hinsichtlich der Verbesserungsmöglichkeiten etwa in Richtung einer menschenfreundlicheren Technologie, sondern vor allem zur Umkehr hin zu Gott.

Nicht der Schöpfer ist der Angeklagte, sondern wir Geschöpfe sind es. Wir sind es gerade dann, wenn wir uns dadurch zu entschuldigen suchen, dass wir Gott beschuldigen oder verleugnen. Aber Gott erweist sich im Zeichen des Gekreuzigten als Liebe, indem er die fällige Anklage in Gnade verwandelt.

Die berechtigte Frage nach dem Zusammenhang von Gott und Leid kann hier auf tiefste Antwort stoßen. Die Erfahrung von schrecklicher Sinnlosigkeit kann hier zum Anlass werden, letzten Sinn zu entdecken. Möge das Wort vom Kreuz nun im heimgesuchten Japan vermehrt Gehör finden – und auch hierzulande die nachdenklich Gewordenen neu bewegen!

kathTube: Prayer for Japan




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