Die Kirche am Scheideweg

14. Februar 2011 in Aktuelles


Für eine Reform sind die Bischöfe „zu schwach. Viele Priester und auch Theologen resignieren. Die Laien müssten also das Heft in die Hand nehmen“ - Ein kath.net-Kommentar von Prof. Hubert Windisch / Pastoraltheologe der Uni Freiburg


Freiburg (kath.net)
Was darf man von einem katholischen Theologen bei der Auferbauung des Leibes Christi in der jeweiligen Zeit erwarten? Es ist im Miteinander der Gaben und Aufgaben, der Dienste und Ämter der Kirche schlicht und einfach das Ringen um die Richtigkeit der Argumente in Bezug auf den christlichen Glauben heute.

Dazu muss ein Theologe etwas können und er muss glauben. Mehr noch, Theologie erschließt ihre Eigenart als Wissenschaft erst im Modus der Nachfolge. Das ist eine schöne und verantwortungsvolle Tätigkeit, die bescheiden auszuüben ist. Es ist ein Dienst unter vielen kirchlichen Diensten, unverzichtbar zwar, aber niemals herrschaftlich zu verstehen. Diener der Freude wollte Paulus einmal sein, einer der Ursprungstheologen der Christenheit, nicht Herrscher über den Glauben der Gläubigen (vgl. 2 Kor 1,24).

Der Text des Memorandums atmet dieses Verständnis von Theologie nicht, vielleicht auch deshalb, weil Paulus bei heutigen Theologen keine guten Karten mehr hat. Das Memorandum ist weder bescheiden im Ton noch um sachliche Richtigkeit in der Argumentation bemüht. Hier ist fast alles, obgleich sorgenvoll vorgetragen, Vorwurf und Anklage.

Hier herrscht in den Ausführungen ein machtvolles Entweder-Oder vor. Die notwendige argumentative Auseinandersetzung mit Themen, die ein unterschiedliches Gewicht aufweisen und auf unterschiedlichen Ebenen zu behandeln wären, wird durch eine kirchenpolitisch gefärbte Stimmung verdrängt.

Statt weiterführender theologisch-differenzierender Behandlung der angesprochenen Themen wird „ein Kessel Buntes“ aufgetischt, wie Daniel Deckers in einem Kommentar in der FAZ vom 5. 2. 2011 angemerkt hat. Erstaunt sucht man in diesem Text nach der Freude an der Kirche - und eigentlich auch an der Theologie.

Der pastorale Duktus des Memorandums kann die Bitterkeit der Unterzeichner nicht verbergen, der Text ist, weich formuliert, eigenartig hart. Man wundert sich, warum auch renommierte Theologen dieses Memorandum unterzeichnet haben, und kann die tiefe Enttäuschung von Kardinal Kasper gut verstehen.

Schon der Einstieg in das Memorandum befremdet. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche missbraucht werden, um ein Süppchen zu kochen, das letztlich mit den Missbrauchsfällen nichts mehr zu tun hat. Vor allem zeigt sich hier schon eine den ganzen Text durchziehende Faktenresistenz. Ohne nämlich sexuellen Missbrauch in der Kirche entschuldigen zu wollen, muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass 99 % der Missbrauchsfälle in der Gesellschaft nicht die katholische Kirche betreffen. Allerdings schlug die mediale Aufmerksamkeit diesbezüglich gegenüber der katholischen Kirche mit über 90 % zu Buche.

Wer angesichts dieses Missverhältnisses das Auseinanderklaffen von Fremd- und Selbstbild der Kirche beklagt, hat nicht nur kein Selbstbild mehr, es fehlt ihm schlichtweg das Selbstbewusstsein. Freilich muss man festhalten, dass bei den Missbrauchsfällen, die den Klerus betreffen, über 80 % einen homosexuellen Hintergrund haben. Eine echte Kirchenreform wäre es also, in der Priesterausbildung die Instruktion der Kongregation für die Katholische Erziehung über „Kriterien zur Berufsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesteramt und zu den heiligen Weihen“ vom November 2005 ernst zu nehmen.

Darüber hinaus hat sich ganz allgemein der Umgang mit Homosexualität in heutiger Zeit für Theologen und Gläubige nach wie vor an der kirchlichen Morallehre und nicht am Gendermainstream oder an den Forderungen der Schwulenlobby zu orientieren. Dagegen eine immer noch einzulösende Freiheit des Gewissens in der Kirche zu reklamieren, überzeugt in zweifacher Hinsicht nicht: Zum einen kann heute auch innerhalb der Kirche schon jeder, schon gar als Theologe, tun oder lassen, was er will, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, obwohl es doch eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass Angestellte einer Institution nicht alles tun oder behaupten dürfen, was dem Selbstverständnis des Arbeitgebers widerspricht. Jeder würde z.B. verstehen, dass ein Verkäufer in einem VW-Autohaus nicht für Opel werben darf. Zum anderen mutet es seltsam an, dass man gerade in Bezug auf das Gewissen immer den Segen der Mutter Kirche wünscht, als wäre man noch nicht erwachsen genug und die Kirche letztlich doch nur eine inhaltslose Absegnungsanstalt für alle möglichen und unmöglichen Dinge. Kirchenreform kann so nicht gelingen.

Auch das Frauenpriestertum, um ein weiteres Thema aufzugreifen, steht nicht zur Debatte, außer man hält von lehramtlichen Aussagen, die mit hoher Verbindlichkeit gemacht wurden, nicht mehr viel. Man hätte dann als katholischer Theologe allerdings die Schwierigkeit, begründen zu können, wieso man in dem Sinn päpstlicher ist als der Papst, als man die eigene beschränkte theologische Einsicht höher bewertet als das Lehramt der Kirche.

Über eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit hingegen lässt sich reden. Sie ist jedoch gleichzeitig theologisch und kanonistisch zu klären und hat die Kirche nicht nur als soziologische, sondern als sozio-theologische Größe in den Blick zu nehmen. Auch eine berechtigte Zölibatsdiskussion krankt, wenn sie etwa nach Politikerart geführt wird, daran, dass es dabei primär um die Abschaffung des Zölibats geht und nicht um seine Wertschätzung oder um eine Kultur seiner Lebbarkeit. Wir sind in der Gefahr, den Zölibat als prophetisches Zeichen der Kirche für die Welt zu verlieren.

Die Ehe ist ja auch kein Remedium gegen den Priestermangel und schon gar nicht eine Garantie für eine geglückte priesterliche Existenz. Das zeigen die protestantischen Kirchen zur Genüge. Wohl aber könnte zusammen mit dem Engagement für die Wertschätzung des Zölibats ein Viri-probati-Modell diskutiert werden, das nicht gegen die zölibatäre Lebensform der Priester steht, sondern aus den Erfahrungen der Kirchen der Orthodoxie und der mit Rom unierten Ostkirchen schöpfend das Priesteramt auch bewährten verheirateten Männern in der postfamilialen Phase öffnet und somit das zölibatäre Priesteramt ergänzt.

Was schließlich den seelsorglichen Umgang mit Wiederverheirateten Geschiedenen betrifft, ist nicht leichtfertig mit der strengen Weisung Jesu selbst umzugehen, aber auch nicht hartherzig mit den Betroffenen. Jenseits pastoraler Oberflächlichkeit könnte doch auch hier eine theologisch tiefe Erörterung der Problematik stattfinden, die sich der ostkirchlichen Praxis annähert, ohne die Sakramentalität und Einheit der Ehe zu desavouieren.

Wagen wir aber im Horizont der Scheidungsproblematik noch an Versöhnung und Umkehr in der Ehepastoral zu denken geschweige denn davon zu sprechen oder sie zu verlangen? Was tun die Seelsorger, um mit aller Kraft das Glücken von Ehen zu fördern, anstatt ihr Scheitern zu feiern?

Nimmt man einmal die Verwaltungsgerichtsbarkeit und den Umgang mit Wiederverheirateten Geschiedenen aus dem Forderungskatalog des Memorandums, dann liegen eigentlich immer wiederkehrende Themen vor, die alle in den protestantischen und anglikanischen Kirchen im Sinne der Unterzeichner gelöst sind, aber die gerade deshalb diese Kirchen innerlich und äußerlich auseinanderbrechen lassen. Will man das auch für die katholische Kirche?

Ein fundamentaler Mangel des Memorandums ist der verstellte Blick auf die Wirklichkeit. In absehbarer Zeit werden die großen Kirchen in Deutschland nur noch jeweils ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, wobei diese Entwicklung wiederum bei den protestantischen Kirchen rasanter voranschreitet als in der katholischen Kirche. Maximal 15 % dieser Viertel werden mehr oder weniger aktive Gemeindeglieder sein. Angesichts dieser Fakten ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Leute Kirche gar nicht wollen und zwar auch nicht so, wie sie im Memorandum angeboten wird.

Wahrscheinlich brauchen die Menschen für ihr ewiges Heil auch eine Kirche nicht, die sich als selbstreferentielles System mit einem hochdotierten und aufgeblähten Pastoralapparat erweist, der sie in ihrer Gottesnot alleine lässt. Leider ist das Memorandum Teil und Ausdruck dieses kirchlichen Systems, das dringend einer Reform bedarf.

Die Bischöfe sind dazu zu schwach. Viele Priester und auch Theologen resignieren. Die Laien müssten also das Heft in die Hand nehmen. Sie könnten mit einer wirksamen Reform beginnen, indem sie es machten wie mein Kollege Zapp: aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts, nicht aus der Kirche als Glaubensgemeinschaft austreten, dies dem Ortsbischof schriftlich mitteilen und die ersparte Kirchensteuer den Armen geben.

Prof. Hubert Windisch ist katholischer Pastoraltheologe an der Uni Freiburg.

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