'Der Zölibat ist der Schatz der Kirche'

30. Jänner 2011 in Interview


Münchner Pastoraltheologe Andreas Wollbold: Eine Abschaffung des priesterlichen Zölibats käme einer kirchlichen Selbstaufgabe gleich. Von Oliver Maksan / Die Tagespost


München (kath.net/DieTagespost) Der Münchner Pastoraltheologe Professor Andreas Wollbold nimmt im Interview mit Oliver Maksan Stellung zur aktuellen Diskussion um den Zölibat.

Herr Professor Wollbold, erzwingt der Priestermangel die Aufgabe des priesterlichen Zölibats?

Nein, ganz im Gegenteil. Der pastorale Notstand der Gemeinden ist ein Glaubensnotstand, ein Notstand an gelebter Hingabe unter den Gläubigen. Und diesem Notstand kann man nur mit mehr Zölibat, das heißt mit mehr Gesinnung der Ganzhingabe begegnen, nicht durch Abschaffung dieses Zeichens der Hingabe.

Sie würden also sagen, es gibt hierzulande zunächst einen Gläubigenmangel und keinen Priestermangel?

In einem gewissen Sinne schon. Denn der Ruf etwa der CDU-Politiker zur Aufhebung des Zölibates im Blick auf möglichst viele Sonntagsmessen kommt einer Problemverdrängung gleich. Ein „Weiter so!“ um jeden Preis hat schon ganz dicke Tomaten auf den Augen. Das ist ein Traditionalismus der 70er Jahre. Es ist uns nämlich in den letzten fünfzig Jahren nicht gelungen ist, die junge oder auch nur die mittlere Generation in der regelmäßigen Eucharistiefeier zu beheimaten.

Ganze Generationen und inzwischen auch ganze Milieus fallen in den Pfarreien weitgehend aus. Nicht zuletzt wegen der Mängel in der Katechese. Viele Menschen haben gar keine Sehnsucht nach der Eucharistie. Wir erkennen heute auch deutlicher als noch vor wenigen Jahrzehnten die unverkennbaren Schwächen der Liturgiereform selbst. Faktisch trug sie doch dazu bei, dass die Liturgie bloß als Veranstaltung von Menschen für Menschen wahrgenommen wird. Und da geht man eben nur hin, wenn es einem etwas bringt und wenn es einem passt.

Lag das an der Reform selbst oder ihrer Umsetzung?

Ich denke, die Ideale der Reform waren sicher auch an der Verherrlichung Gottes orientiert. Aber die Umsetzung der Reform hat doch dazu beigetragen, dass die Liturgie eher als eine Art Gemeindeversammlung verstanden wurde. Die Sakralität, die Ehrfurcht, Gott einen würdigen Kult darzubringen, wie es Papst Benedikt sagt, ist weitgehend in den Hintergrund getreten.

Nun können die verbliebenen Kirchgänger nicht auf die Beseitigung dieser Missstände warten. Haben sie, wie die CDU-Politiker in ihrem Brandbrief an die Bischöfe argumentieren, nicht ein Recht auf die Eucharistie und damit auf solche, die sie feiern? Zur Not auch „viri probati“?

Es gibt nicht im eigentlichen Sinn ein Recht der Gemeinden auf die Eucharistie. Es gibt die Pflicht der Gläubigen, sonntags an der Messfeier teilzunehmen. Aber hier fangen ja die Probleme an. Selbst Gemeindeverbundene lassen die Messe oft leichtfertig ausfallen. Insofern ist es das Entscheidende, dass die Gläubigen verinnerlichen, dass die Kirche vom eucharistischen Opfer Christi lebt. Wenn wir das verstanden haben, dann kommt es nicht darauf an, ob der nächste Kirchturm in Sichtweite ist oder ob wir vielleicht ein paar Kilometer fahren müssen, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Das sollte uns die heilige Messe wert sein.

Wenn man den Politiker-Brief liest, dann steht dahinter das Konzept von Gemeinde als Dreh- und Angelpunkt kirchlichen Lebens. Inwiefern ist denn diese Vorstellung eine katholische?

Für den Katholizismus ist die Gemeinde, oder besser gesagt die Pfarrei, ein pastorales Mittel, nicht mehr und nicht weniger. Die Pfarrei ist nicht die Ortskirche im theologischen Sinn, das ist das Bistum. Insofern lässt sich auch aus den Gewohnheiten oder manchmal auch einfach Besitzständen einer Pfarrei kein besonderes Recht ableiten. Schon gar nicht liturgisch. Das ist im Protestantismus anders, der die Kirche ja vom gepredigten Wort her verstanden hat. Darum ist für ihn die versammelte Gemeinde, die das Wort Gottes hören will, die eigentliche Kirche. Für die katholische Kirche hingegen ist die Erscheinung der Kirche das um den Bischof versammelte Gottesvolk. Die Pfarrei verweist darauf, aber sie ist nicht einfach diese Kirche. Wenn also die Pfarrei bloß ein pastorales Mittel ist, dann ist die Frage, wieviele Pfarreien es geben muss, sehr situationsabhängig, wandelbar und kontingent.

Das heißt, mit der flächendeckenden Seelsorge ist das kirchliche Leben nicht am Ende?

Die territoriale, also pfarrlich verfasste Seelsorge wird auch in Zukunft ein wichtiges Standbein bleiben. Aber eben nur eines. Die Zahl der Pfarreien und Gottesdienstorte wird aber viel kleiner werden. Wir haben in den letzten zweihundert Jahren hierzulande einen Boom von Pfarreien-Gründungen erlebt, zuletzt nochmal in den Nachkriegsjahren. Dahinter standen gutgemeinte pastorale Konzepte etwa von der Pfarrfamilie oder der Gemeinde als Gemeinschaft von Gemeinschaften. Solche Pastoral-Konzepte sind heute, wo die Gemeindebindung immer schwächer wird, anachronistisch, und insofern muss auch die Zahl der Pfarreien, die sinnvoll ist, neu bestimmt werden.

Zurück zum Zölibat: Wie kann man dem mangelnden Verständnis auch vieler Kirchgänger gegenüber der priesterlichen Ehelosigkeit als geistlichem Verweiszeichen denn begegnen?

Gerade die augenblicklichen Diskussionen bis tief in den säkularen Bereich hinein zeigen, dass der Zölibat sehr wohl als Zeichen verstanden wird. Als Zeichen des Widerspruchs, als Ärgernis, gewiss. Aber das ist mit dem Kreuz nicht anders. Wie dieses kann der Zölibat nur verstanden werden, wenn ein Mensch gläubig auf das Himmelreich ausgerichtet ist. Diese übernatürliche Sichtweise ist aber nicht nur in den weltlichen Medien, sondern auch bis weit in den institutionell verfassten Katholizismus hinein nicht mehr vorhanden. Das heißt, das mangelnde Verständnis für den Zölibat unter den Gläubigen ist ein Seismograph für die tiefe Glaubenskrise unserer Zeit.

Was tun?

Wie so oft ist das Wichtigste einfach das Vorbild. Ein geistlich wie menschlich überzeugend gelebter Zölibat wird nach meiner Erfahrung viele Menschen, auch Nicht-Christen, mit Respekt, ja Ehrfurcht erfüllen. Der Zölibat wirkt in einer materialistischen Gesellschaft durch sich selbst.

Aber verlockt Sie die Vorstellung nicht, mit den „viri probati“ mit einem Schlag wahrscheinlich vieler personeller Probleme ledig zu werden?

Ganz und gar nicht. Das hieße, Quantität über Qualität zu stellen. Die Qualität, nämlich die spezifische Physiognomie gerade der katholischen Kirche, ist auf das engste mit dem Zölibat des Weltpriesters verbunden. Es ist eigenartig, dass bei vielen Wortmeldungen der letzten Zeit der Stand der wissenschaftlichen Zölibats-Forschung kaum beachtet wird. Wir wissen heute, dass der Zölibat des Weltpriesters, zumindest als Enthaltsamkeits-Zölibat, apostolischen Ursprungs ist und auf die Praxis und Weisung des Herrn selbst zurückgeht. Das ist keine Kleinigkeit.

Der Zölibat wurde in der Ost- und Westkirche gemeinsam über die ersten Jahrhunderte hinweg beachtet, und erst die Trullanische Synode von 682 hat der Orthodoxie eine gewisse Abkehr von dieser Praxis beschert. Damit ist die römisch-katholische Kirche heute die einzige, die diese Tradition unversehrt bewahrt hat. Der Zölibat ist ihr Stolz, ist ihr spezifischer Schatz, den sie wie einen Augapfel hüten muss. Gerade mit diesem Schatz wird sie die Menschen immer wieder zu Gott erheben. Wenn die katholische Kirche diesen Schatz aufgeben würde, würde sie sich selber und sicher auch wesentliche Elemente des Amtspriestertums fast zwangsläufig mit aufgeben.

Haben Sie den Eindruck, dass man den Wert des Weihepriestertums in den letzten Jahrzehnten in der Pastoral genügend betont hat?

Nein. Die amerikanischen Religionssoziologen Stark und Finke haben überzeugend den Zusammenhang zwischen dem nachkonziliar verflachten Priesterbild und dem Rückgang von Berufungen nachgewiesen. Das fängt mit äußeren Zeichen an: Dort, wo der Priester bewusst Zivilkleidung trägt, signalisiert er, dass er ein Mensch wie jeder andere sein will. Folgerichtig will man den Vorrang und die Unverzichtbarkeit dieser Berufung nicht mehr betonen und darum beten. Das hat lebenspraktisch zur Folge, dass man Priester, besonders Pfarrer, wie abhängige Angestellte einer bischöflichen Verwaltung behandelt, sodass sie den Eindruck haben müssen, ihre Lebenshingabe wird gar nicht wertgeschätzt. All das sind starke Signale, dass man trotz aller Lippenbekenntnisse zu unseren Priestern davon ausgehen muss: Das Priestertum gehört zu den Verlierern der nachkonziliaren Zeit.

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