Die Antizölibatspropaganda und ihre Geschichte

24. Jänner 2011 in Chronik


Die historisch aufflammende Phantasie der deutsch-katholischen Kirche ist nichts Neues. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „CDU rüttelt am Zölibat“: Acht prominente katholische CDU-Politiker hatten sich vergangene Woche zu Wort gemeldet, um sich für Änderungen an der Zölibatspraxis auszusprechen. Kath.net hatte berichtet. Sie haben damit ein Uraltthema aus der hintersten Ecke eines Schubladens geholt, in dem es seit dem 19. Jahrhundert liegt und der in mehr oder minder regelmäßigen Abständen aufgezogen wird.

Unter der inhaltlich falschen und allein auf oberflächlichen Effekt ausgehenden Fragestellung, „wie dem zunehmenden Priestermangel begegnet werden kann“, meinen die Unterzeichner des als Bitte an die deutschen Bischöfe formulierten Appells, den Weg einer „Sonderlösung“ für Deutschland anzeigen zu müssen, um einer angeblichen Misere des Priestermangels ein Ende zu setzen. Der Zölibat wird dabei natürlich als Hauptursache dafür erkannt, dass sich weniger Männer ganz in den Dienst Gottes und der Kirche stellen. Ohne auf das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Priestern und praktizierenden Gläubigen zu achten, die ein Leben aus den Sakramenten führen wollen, soll anscheinend (wieder) ein deutschnationaler Alternativweg gesucht werden, dessen letzter Ankunftspunkt unschwer in der Form einer schismatisch orientieren deutschnational-katholischen Abgrenzung von Rom erkannt werden kann.

Wie alt und abgekaut sind diese Thesen und Themen doch! Und wie eng ist eine Zölibatsdebatte an eine angeblich aufgeklärte Mentalität gebunden, der seit mehr als 200 Jahren der Zölibat des katholischen Priesters ein Dorn im Auge ist. Man kann nicht umhin, aufgrund des „bittenden Appells“ der heutigen, einer gewissen Generation zugehörigen christdemokratischen Politiker an eine der späten Auswirkungen der Aufklärung zu denken, die gleichzeitig zum Vorläufer revolutionärer Wirren wurde.

Wir schreiben das Jahr 1828: In Baden und Württemberg wird mit der Gründung der Antizölibatsvereine zum Sturm gegen diese verhasste Einrichtung geblasen. 23 „freisinnige“ Laien aus Freiburg richten unter der Federführung des Geheimen Rates Johann Georg Duttlinger eine Petition an die Badische Ständekammer: sie solle die Regierung zum Einsatz für die Abschaffung des Zölibats auffordern.

Der Protest regte sich sodann in Mainz, wie der Kirchenhistoriker und heutige Kardinal Walter Brandmüller in seinem Buch „Licht und Schatten. Kirchengeschichte zwischen Glaube, Fakten und Legenden“ schreibt (St. Ulrich Verlag, Augsburg 2007): „Hauptagitator gegen den Zölibat war der protestantische Professor Wilhelm Hoffmann, der nun die für Staat und Gesellschaft angeblich offenkundige Schädlichkeit des Zölibats bewiesen haben wollte. Sein Misserfolg hinderte ihn nicht, 1832/33 seinen Antrag zu wiederholen. Nun schlossen sich in der Tat 156 Freiburger Priester und 50 Priesteramtskandidaten diesen Forderungen an, und auch im Bistum Rottenburg gingen die Wogen hoch. Ein bald gegründeter Antizölibatsverein zählte binnen kurzem an die zweihundert geistliche Mitglieder“ (S. 160)

Zu jener Zeit jedoch war die Reaktion des katholischen Volkes hart: „Man boykottierte die Antizölibatären, die sich bald in ihren Kirchen alleine fanden. Mehr als vierzig Ortschaften erklärten dem König von Württemberg, sie hätten lieber keinen Pfarrer als einen beweibten. Unter dem Eindruck der beißenden Satire, mit der dieses Thema bald publizistisch aufgegriffen wurde, verbot die Regierung den Antizölibatsverein“. Bereits damals ist festzustellen, dass die Annalen der Geschichte nichts von einer bischöflichen Reaktion verzeichnen.

Antizölibatspropaganda und Aufrufe zur „Demokratisierung der Kirche“ gehen heute wie damals Hand in Hand und führten im 19. Jahrhundert mitten hinein in die Theorie eines „Deutschkatholizismus“. Dieser wurde ab dem Jahr 1844 zum Sammelbecken von Katholiken und Protestanten, die schon längst mit dem Wesenskern ihrer Kirche gebrochen hatten: unzufriedene und selbstbewusste Kleinbürger, zölibatsmüde katholische Priester und protestantische Pastoren, die „mehr“ wollten, bildeten die Propheten des neuen Kurses des Deutschkatholizismus, der die Lehre mit Pädagogik ersetzte und seinen wahren Wirkungsbereich in der sozialen Theorie und im sozialen Engagement erkannte.

Und vor allem: das Dogma sollte durch die neuen Erkenntnisse einer nunmehr aufgeklärten „katholischen“ Vernunft bereinigt werden. Ob Jesus Christus der Sohn Gottes ist, der für das Heil der Menschen gestorben und auferstanden ist, wurde in die Beliebigkeit des persönlichen subjektiven Glaubens gestellt.

Dass der Papst, die Sakramente in ihrer katholischen Definition und das „fromme Leben“ abgelehnt wurden, versteht sich von selbst. Natürlich brauchte es bezeichnenderweise dann auch eine „deutsche Liturgie“, bei der aus dem Herrenopfer ein „Abendmahl“ wurde, das nur vollständig, mit Brot und Wein, konsumiert werden konnte.

Setzt man sich mit diesem Abschnitt der Kirchengeschichte in Deutschland auseinander, so kommt man nicht um hin, angesichts der heutigen „Zölibatsinitiativen“ fast lächelnd den Kopf zu schütteln. Nichts Neues unter der Sonne, selbes Schema, ähnlicher kultureller Background. „Rom muss fallen“, erklang es zu jener nicht allzu fernen Zeit. So mutig sind die heutigen „Kritiker“ noch nicht. Über eines besteht kein Zweifel: Damals wie heute ist die Absicht der „neuen Aufklärer“ nur eine: ein neue Kirche, eine andere Kirche.

Ebenso interessant ist es festzustellen, dass sich im 19. Jahrhundert das katholische Volk den Ansinnen selbsternannter pseudointellektueller Anführer aus einem zu Größerem aufstrebenden Kleinbürgertum nicht angeschlossen hatte, dies weder zu Beginn der Bewegung noch im Verbund mit dem „Deutschkatholizismus“ und schon gar nicht im Vorfeld oder in der Folge des I. Vatikanischen Konzils.

2011 ist die Lage anders. Eine Mainstreamkultur der „Diktatur des Relativismus“ macht die Kommunikation des Wahren und die wahre Kommunikation schwerer. Dazu kommt, um es gemäßigt auszudrücken, eine in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil entstandene generelle Verunsicherung sowohl des Klerus als auch der Laien, die beide gerade in einem Moment der höchsten Akzentuierung einer jedoch einseitig beschnittenen Vernünftigkeit echte Kritikfähigkeit einbebüßt zu haben scheinen.

Diktatur des Relativismus heißt vor allem: Diktatur der Meinung, wie dies gerade wieder in den letzten Tagen deutlich zutage getreten ist – eine Diktatur, die darauf abzielt, Gläubige, Bischöfe und den Papst auseinanderzudividieren. Die „deutsch-katholische Sonderlösung“ – eine seit langem bestehende Versuchung. Mit Weltkirche hat dies alles nichts zu tun. Mit dem Respekt, den rund 25 Millionen eingeschriebene Katholiken (von denen knapp 3,3 Millionen auch den Gottesdienst besuchen) 1,2 Milliarden ihrer Mitbrüder und Mitschwestern sowie 408.000 Priestern und 815.000 Ordensleuten weltweit schulden, ebenso wenig.


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