Plädoyer für 'christliche Säkularität' im modernen Staat

14. Dezember 2010 in Aktuelles


Professor aus Rom ruft in Münchner „Haus Weidenau“ zum politischen Engagement kirchlich loyaler Bürger auf - Überzeugte Katholiken könnten mit Andersdenkenden auf konstruktive Weise kooperieren


München (kath.net) Kann ein Katholik, der seinen Glauben konsequent mitten in der Welt leben möchte, dem säkularisierten, religiös neutralen Staat aus ganzem Herzen zustimmen? Diese Frage bejahte Prof. Martin Rhonheimer von der „Päpstlichen Universität Santa Croce“ in Rom bei einem Gesprächsabend im Münchner „Haus Weidenau“ vom Opus Dei mit Hinweis auf Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils. Er plädierte dafür, dass der Christ das Bürger-Sein im säkularen Staat „als positive Herausforderung, ja geradezu als Normalität“ begreifen sollte und bezeichnete dieses Ideal als „christliche Säkularität“. Der Pluralismus im öffentlichen Leben solle nicht als lästiges Ärgernis oder gar als Skandal empfunden werden, sondern als Ergebnis bürgerlicher Freiheit. „Die Freiheit ist ein Risiko. Aber ich glaube an die Freiheit. Denn die Geschichte hat gezeigt: Wenn man Angst hatte vor der Freiheit durch Zensur, Repressionen oder Diskriminierungen waren am Schluss die Früchte bittere Früchte“, betonte der Referent.

Überzeugte Katholiken könnten mit Andersdenkenden auf konstruktive Weise kooperieren und das säkulare Selbstverständnis moderner demokratischer Staatsbürgerschaft sowie die Legitimität politischer Entscheidungen anerkennen, auch wenn sie „den eigenen Überzeugungen hinsichtlich des Guten widersprechen“. Aber sie sollten auch fähig sein, im Gegensatz zu ihren nicht-gläubigen Mitbürgern ihre christliche Berufung in einer „differenzierten Identität zugleich als gläubige Christen und als Bürger des säkularen Staates zu leben“.

Auf Wandel aktiv hinwirken gemäß weltveränderndem Charakter des Christentums

Damit ist nach Auffassung des Professors für Ethik und politische Philosophie aber keinesfalls „eine Art Doppelleben gemeint“, sich nicht öffentlich als Gläubiger mutig zu artikulieren. Im Gegenteil dürfe der Christ „den weltverändernden Charakter des Christentums nicht aufgeben“ und könne sich – seinem gut gebildeten Gewissen folgend – aktiv an der Gestaltung der modernen Welt gemäß seinen religiösen sowie moralischen Grundwerten beteiligen. Er solle mit legalen Mittel auf einen Wandel hinwirken, „indem man andere Bürger von der Vernünftigkeit der eigenen Forderungen zu überzeugen sucht“. Und zwar in all den Fragen, die man mit dem Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft für unvereinbar hält, so wie es Papst Johannes Paul II. in Bezug auf die verbreitete „Kultur des Todes“ insbesondere bei Abtreibung und aktiver Sterbehilfe immer wieder betont habe.

Christlicher Glaube als stärkste Grundlage für die Menschenrechte

Für die allgemeine Anerkennung einer auf die Menschenrechte gegründeten Kultur ist nach Auffassung des Referenten eine ausschließlich politisch minimalistische Begründung, diese Rechte seien nützlich und vorteilhaft, nicht ausreichend. Christen dürften deshalb durchaus eine Art „Überlegenheitskomplex“ in dem Sinne kultivieren, dass dafür nur die metaphysische – nicht notwendigerweise religiöse – Wahrheit über das Wesen des Menschen „eine letztlich sichere und stabile kognitive Grundlage zu liefern vermag“. Diese moralische Legitimität könnten die modernen, säkularen und pluralistischen Gesellschaften und das internationale politische Leben nicht aus sich selbst schöpfen. Christliche Säkularität heiße daher auch, die politischen Institutionen mit der moralischen Substanz des christlichen Glaubens auf dem Fundament des Naturrechts zu stützen und zu durchdringen. „Genau wegen des unausweichlichen praktischen Primats des Politischen über das Metaphysische ist es wünschenswert, dass die Verankerung der Bürger in ein Bewusstsein der Wahrheit über den Menschen verstärkt wird“, regte der Philosoph und Theologe an. Familie, Erziehung und Bildung seien gefordert, substanzielle Werte und die Einübung in Tugenden zu vermitteln sowie „die Verpflichtung gegenüber einem wahrhaft Guten, mag man sich über konkrete Inhalte dieses Guten auch streiten“. Aufgabe der Kirche sei es nicht, selbst aktiv am politischen Prozess teilzunehmen, sondern durch ihre Lehre und pastorale Sorge um die Gewissensbildung der Gläubigen auf die Wertkonfiguration der Gesellschaft einzuwirken.

Politisches Engagement kirchlich loyaler Bürger

Als Beispiel für die gebotene Einmischung, wo christlicher Sauerteig wirksam werden solle, nannte Rhonheimer die gesetzlich garantierte Straffreiheit bei Abtreibungen und die Finanzierung entsprechender Tötungshandlungen durch die gesetzliche Krankenversicherung und das öffentliche Gesundheitssystem: „Sofern wir Ungeborene als Personen mit Lebensrecht betrachten, ist es ein klarer Verstoß gegen ein fundamentales Menschenrecht und somit auch dem Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft entgegengesetzt.“ Das Resümee des Schweizer Professor lautete daher: „Sich direkt im politischen Prozess selbst zu engagieren, ist die Aufgabe der christlichen Laien, der gewöhnlichen Gläubigen also, und zwar nicht als Vertreter der Kirche, sondern als gewöhnliche Staatsbürger. Allerdings als gläubige und der Kirche und ihrem Lehramt gegenüber sich loyal verhaltende Bürger, die dabei aber nichts anders tun, als im Rahmen von Verfassung und Gesetz – wie alle ihre Mitbürger – in Freiheit und Selbstverantwortung ihre politischen Rechte auszuüben.“


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