Kapellari und Nitsch – ein Symposium der Gegensätze?

13. Oktober 2010 in Chronik


Vor wenigen Tagen fand in Brixen die Initiative Musik & Kirche statt - Ein Teilnahmebericht von Franziskus v. Ritter-Groenesteyn


Brixen (kath.net) Das Thema, zu dem so unterschiedliche Referenten wie Paul Zulehner, Hermann Nitsch und Egon Kapellari im herbstlichen Brixen in der Cusanus-Akademie aufeinandertreffen sollen, ist hoch aktuell: „Die Messe – Quelle des Lebens, Höhepunkt des Glaubens?“

„Entscheidend ist das „?“ dahinter“, sagt der Projektleiter und renommierte Dirigent Peter Jan Marthé. „In ihm kommt zum Ausdruck, was heute die große Mehrheit denkt: Messe ist fad.“ Das Fragezeichen ist eine Anfrage an die Hirten ihrer Herde, die leider überwiegend meinen, die Leute, insbesondere die Jugend, sei nur zu faul in die Kirche zu gehen.

„Nein“ donnert Marthé, die Messe bedarf der inneren Erneuerung, sie darf das Volk nicht auf Gebetsformeln eingrenzen, sondern muss es aktiv in das göttliche Geschehen der Liturgie mit einbeziehen. „Aus dieser inneren Wut heraus“ habe er auch seine Erdwärtsmesse geschrieben, die am Sonntag zur Aufführung kommen soll.

„Über ein Jahr dauerten die Vorbereitungen“ für das Symposion im Rahmen der Brixener Initiative Musik & Kirche, sagte Marthé. Den Auftakt macht der kirchenkritische Pastoraltheologe Paul Zulehner, der diesmal mit Kritik deutlich zurückhält. Sein Vortrag konzentriert sich auf die theologischen Grundlagen. Wichtig ist die Wandlung der Welt zu Gott hin, die sich in der Eucharistie vollzieht. Deshalb fordert er junge Menschen gerne mit der Frage heraus „Seid ihr bereit, euch in Gottesgefahr zu begeben?“

Der erste Abend klingt aus mit einer Messe von Franz Schubert im prächtig barocken Brixener Dom. Das Bild dort ist ein Spiegelbild des „?“ zum Thema des Symposiums. Der Dom ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Eintrittspreise anstandslos bezahlt. Doch das dargebotene ist eine Messe ohne Messe, es ist ein Spektakel, spricht die äußeren Sinne an, bringt eine innere Sehnsucht nach mehr zum Ausdruck.

Zweiter Tag: „Der Blick des Glaubens entdeckt das Außergewöhnliche“

Großes deutet sich an. Der dritte Tag ist der Tag der Auferstehung. Ein Akt der Versöhnung, jenseits von Medienpräsenz und Zurschaustellung zeichnet sich ab. Es sind die seit Jahren „verfeindeten“ Pole Nitsch und Kapellari. „Bis zuletzt bleibt es offen“ so Marthé, ob es zur Begegnung kommen wird. Es galt viele Widerstände zu überwinden. Nitsch wird der letzte Referent an diesem Tage sein.

„Der erste Name, der mir für das Symposium sofort kam, war Henri Boulad“, sagte Marthé. Boulad, Theologe und Mystiker aus Alexandrien, ist umstritten, weil er der Befreiungstheologie nahesteht. Dennoch sind seine Ansätze heute und hier hörenswert.

Boulad: „Wir müssen das Heilige im Alltäglichen entdecken und leben.“ Was uns fehlt ist der Blick des Glaubens. Denn der Glaube entdeckt das Außergewöhnliche. Jesus war zu Bethlehem nur ein Baby. Doch die glaubenden Augen der Weisen sahen in ihm das ersehnte Zeichen ihrer Erlösung. Wenn wir anfangen unseren Alltag zu heiligen, auch ihn zur Liturgie machen, zu einer Bewußtseinswerdung göttlicher Gegenwart in uns und um uns herum, erkennen wir Gott im Nächsten.

Als dritter Referent vermittelt uns der Abt des Prämonstratenserstifts Geras, Michael Proházka, Einblicke in das byzantinisch orthodoxe Verständnis von Liturgie. Während der Westen sich theologisch in die Dreifaltigkeit Gottes „verkopft“, sublimiert der Osten komplizierte Glaubensinhalte in die Poetik gesungener Hymnen, die ganz in der Tradition des Orients Bilder des Glaubens zu malen versteht. Und das wesentliche daran ist die Musik. Denn die Musik wird so zum Träger des Worts.

Wer diese Form der Liturgie erfährt, für den verschwimmen die Grenzen zwischen Himmel und Erde und er weiß nicht, ob er sich nicht bereits im Himmel befindet. So versteht es der Osten, die „Göttliche Liturgie“ vom Himmel auf Erden zu holen, um so die Erde zum Himmel zu erheben. Diese Absicht deutet sich auch in Jan Marthés „Erdwärtsmesse“ an, die morgen zur Aufführung kommen wird.

Zur Mittagzeit steht fest: Hermann Nitsch ist gekommen, und es gleicht einer Sensation. Es kann nur die Handschrift der Vorsehung sein. Nitsch nächtigt wegen seines Beinleidens im an die Akademie angegliederten Priesterseminar! Wird Bischof Kapellari jetzt noch kommen können? Wird er sein Versprechen halten, Hauptzelebrant der großen Messe am Sonntag zu sein?

Am Nachmittag führt uns der früher als Priester und heute als Psychotherapeut arbeitende Arnold Mettnitzer in seine Arbeit als Therapeut ein und entwickelt daraus ein Bild der Liturgie. „Wir müssen mit der gleichen Ernsthaftigkeit Liturgie feiern, wie wir als Kinder gespielt haben.“ Ein erster liturgischer Liebesdienst muss es daher sein, uns dieses Kindsein wieder entdecken zu helfen und zwar ganz in der Art Jesu, der den Fragenden immer zur Antwort aus sich selbst heraus zu führen verstand.

Bischof Kapellari ist gekommen! Vom Publikum unerkannt, sitzt er in der letzten Reihe und lauscht den Worten Mettnitzers.

Am Abend hat sich der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Nitsch outet sich als Christ- als ehemaliger. „Als Außenstehender sehe ich das Mysterium: Durch die Transsubstantation wird der Wein zu Blut Christi. Wer daran teilhat, wird Teil der Unendlichkeit.“ Die Messe ist für ihn „ein reales Ereignis und es ereignet sich mit den Gläubigen zusammen. Als Künstler kann ich nur neidvoll auf dieses künstlerische Gesamtprodukt schauen.“

Sind das die Worte eines Künstlers, der es auf Skandale und Provokation, besonders mit der Kirche anlegt? Nitsch beteuert: “Blasphemie ist die Beleidigung Gottes. Ich wollte und will Gott nicht beleidigen. Die christliche Symbolik ermöglicht mir, in die Tiefe zu schauen. Ich wollte nie provozieren. Ich wollte immer Intensität, ich will, dass die Menschen aufgerüttelt werden.“ Die Frage bleibt, ob ein derartiger Grad an Intensität auch immer notwendig ist.

Hermann Nitsch, der nur abseits des Elternhauses viel mit katholischer Tradition in Berührung kam, war sogar einst ein in Jesus verliebter Junge. Jetzt mit zunehmendem Alter kommt ihm das Christentum wieder näher. Denn er vermag darin das Lebensbejahende zu erkennen. „Christus ist der strahlende Held, der alles Leid und Schmerz auf sich nimmt. Die Eucharistie erkenne ich als eines der tiefsten Mysterien, die die Welt hervorgebracht hat.“

Niemand hätte solche Worte erwartet. Später am Abend, bei einem Glas Wein, wird es bekannt: Nitsch und Kapellari im Dialog. Abseits der Presse, im Priesterseminar, sind sie sich begegnet und haben miteinander gesprochen!

Dritter Tag: „Das Gloria ist das Entzünden eines Atomblitzes“

Höhepunkt und zugleich Schluss des Symposiums ist die feierliche Sonntagsmesse im Brixener Dom. Es steht nunmehr fest: Bischof Egon Kapellari wird die Messe feiern und Hermann Nitsch wird in der ersten Reihe sitzen.

Der Dom ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Vier Chöre sind eigens angereist. Ein komplettes Symphonieorchester befindet sich auf der Empore. Und dann ertönt ein Crescendo aus Posaunen, Trompeten, Hörnern und Chören, das in seiner Intensität wie die Umrundung Jerichos anmutet. Der Tenorsolist stimmt ein Kirchenlied an. Die vier Chöre nehmen die Melodie auf und das Volk wird wie von selbst hineingesogen in die Magie der Klänge. Aus vollen Kehlen singt es mit, wird es im Gesang zu lebendigen Steinen einer im Dienst an Gott erbauten Kathedrale des Glaubens.

So muss es im Himmel sein. So, in dieser Intensität wird das Herz berührt, wird Glaube zu Feuer entfacht. Man wünscht sich, dass der Hauptzelebrant bei seiner Gestaltung der Liturgie am Altar die gleiche Intensität vermittelt, wie sie das Volk bereits erfasst hat.

Eines wird hier klar: Nicht die Liturgie bedarf der Reform, sondern jene, deren Aufgabe es ist, das göttliche, der Liturgie innewohnende Geheimnis dem Volk Gottes zu offenbaren. Aus den Worten, aus der Ausstrahlung des Zelebranten muss Feuer kommen. Oder wie Marthé es mit funkelnden Augen formuliert: „Das Gloria ist das Entzünden eines Atomblitzes, aber wir erleben heute nicht mehr als ein schwaches Glimmen.“

Tosender Applaus am Ende der Messe, Begeisterungsstürme im Volk. An diesem Sonntag wurde die Kirche von Brixen in Brand gesetzt. Und aus der Reaktion der Gläubigen wird deutlich: Ja, das ist das Feuer, aus dem heraus Erneuerung geschieht.

Foto: (c) Heimo Aga, www.heimoaga.com


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