Die Lüge ist ein schreckliches Drama

8. Oktober 2010 in Deutschland


Wiener Psychiater Univ.-Doz. Dr. Bonelli sprach über Selbsttäuschung und Selbsterkenntnis


München (kath.net)
Über die teilweise dramatischen Folgen der Lüge berichtete der Wiener Psychiater Univ.-Doz. Dr. Raphael Bonelli bei einem Gesprächsabend im Münchner Kulturzentrum „Weidenau“, einem Zentrum des Opus Dei. In den Sitzungen mit seinen Patienten stelle er immer wieder fest, dass die Unwahrheit wie ein Gift wirke, das alle menschlichen Beziehungen zerstöre. Die Lügner würden in der Regel höchstens ein wenig Schwindelei zugeben und überdies für sich in Anspruch nehmen, damit ihren Mitmenschen nur Unbehagen ersparen zu wollen. „Der Lügner lügt aber nicht aus Nächstenliebe. Sein Problem ist vielmehr die Feigheit vor kleinen Schwierigkeiten.

Es geht ihm um eine momentane Unlustvermeidung. Was morgen kommt, ist ihm egal“, beschrieb der Referent einen Prozess, der in einen Gewöhnungseffekt des allmählichen Wegschauens einmünde. Je tiefer der notorische Lügner in seinen Unwahrheiten versinke, desto weniger sei er sich dessen bewusst. Daher lautet Bonellis dringende Empfehlung: „Ich darf niemals etwas sagen, was nicht stimmt. Das heißt aber auch, dass ich nicht immer die volle Wahrheit sagen muss.“

Opfermentalität ist ein großes Unglück

Ebenso wie die Lüge ist der weit verbreitete Selbstbetrug nach Ansicht des österreichischen Psychiaters in der Angst begründet, sich selbst zu sehen, wie man wirklich ist: „Wir sind alle sehr tolerant mit uns selbst“, hat er beobachtet. Während andere – und das gelte besonders für Kinder in Bezug auf ihre Eltern – einen richtig einschätzten, neige man selber dazu, angesichts eigener Fehler den Kopf in den Sand zu stecken. Wenn diese Selbsttäuschung riesig werde, führe es – wie Sigmund Freud es genannt habe – zur narzisstischen Kränkung: Die Diskrepanz zwischen dem idealisierten Selbstbild und der Realität werde aufgedeckt, das Selbstwertgefühl in Frage gestellt. Schuld komme heutzutage in der Selbstbeschreibung kaum noch vor. Stattdessen sähen sich viele Menschen als fehlerlose Opferlämmer: „Es gibt unheimlich viele Schuld, aber keine Schuldigen mehr“, Diese Opfermentalität bringe großes Unglück. Im Kontrast dazu fasziniere ihn die katholische Beichte, wo man einfach sage: „Ich habe gesündigt.“

Familienhierarchie muss stimmen

Als eine Ursache für die narzisstischen Störungen Heranwachsender oder junger Erwachsener, die „bis zum Anschlag“ selbstverliebt seien, machte Bonelli die Verschiebung in der Familienhierarchie aus. Dazu könne es kommen, wenn man die Kinder so vergöttere, dass sie wichtiger als der Ehepartner würden. Das bringe die ganze Familie durcheinander. Aus seiner Praxis in der Paartherapie kommt er zu dem Schluss, dass die Frau den Mann mehr lieben soll als die Kinder und der Mann seine Frau mehr als die eigene Mutter lieben soll.


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