Das leere Haus

10. September 2010 in Weltkirche


Loreto und die Musealisierung des Glaubens - Das Allerheiligste in der "Casa Santa" wurde entfernt und in die eigens dafür vorgesehene Anbetungskapelle gebracht - Von Armin Schwibach / Rom


Rom (kath.net/as)
Loreto ist neben Rom der zweitwichtigste Wallfahrtsort in Italien, nach dem zahlreiche Gotteshäuser auf der Welt benannt sind. In der Basilika von Loreto, die ab 1468 nach Weisung Papst Julius’ II. gebaut wurde, befindet sich als Mittelpunkt der Wallfahrt die „Casa Santa“, das „Heilige Haus“. Dieses ist nach der durch viele Päpste bestätigten Überlieferung ein Teil des Hauses der Heiligen Familie in Nazareth: Die Überlieferung hält fest, dass das Haus in der Nacht vom 9. zum 10. Dezember 1294 von Engeln nach Italien gebracht worden ist.

Die Pilger, die einst auf der Via Lauretana in den Ort in den Marken unweit der Adriaküste gelangten, verehren im Heiligtum die Lauretanische Jungfrau, eine „Schwarze Madonna“. Die Ursprünge des Originals der Schwarzen Madonna von Loreto gingen auf das 13. Jahrhundert zurück. Jene Statue wurde 1797 von den napoleonischen Truppen geraubt und nach Frankreich überführt, bis sie 1801 wieder dem Heiligtum zurückerstattet wurde. 1921 verwüstete ein Brand die „Casa Santa“. Die antike Lauretanische Jungfrau wurde zerstört und durch eine neue Statue ersetzt.

Die „Casa Santa“ ist der Ort, an dem der Engel der Jungfrau Maria verkündete, dass sie ein Kind empfangen und Mutter eines Sohnes werden wird: des Sohnes des Höchsten. Mit anderen Worten ist das Heilige Haus das Heiligtum der Dreifaltigkeit schlechthin, der Ort, an dem das Wort Fleisch geworden ist, der Ort des Anfangs der endgültigen Offenbarung Gottes. Bis vor kurzem stand im Mittelpunkt des Altares der Casa Santa ein Tabernakel, das Haus des Allerheiligsten Sakraments des Altares: Das Haus Christi, der sich für das Heil der Welt hingegeben hat und unter dem Schleier des eucharistischen Brotes angebetet wird. An dem Ort, an dem er in die Geschichte der Menschheit eingetreten ist, um die Offenbarung Gottes, des Vaters, zu vollenden. Ein Tabernakel an jenem Ort, an dem Maria, der Urtabernakel, verängstigt gehört hatte, dass sie dazu erwählt worden ist, Teil des entscheidenden Wendepunkts der Geschichte der Welt und des Kosmos zu sein.

Im Gegensatz zu Rom ist Loreto nicht hauptsächlich ein Anlaufpunkt für einen Massentourismus. Wurde der Petersdom noch vor kurzem als die größte Touristenattraktion der Welt qualifiziert, die gratis besucht werden kann, ist das Heiligtum von Loreto ein Ort des innigen Gebets, in dessen Mittelpunkt eben die „Casa Santa“ steht: das Geheimnis der Fleischwerdung.

Nun ist das Haus seit einiger Zeit leer. Das Allerheiligste wurde entfernt und in die eigens dafür vorgesehene Anbetungskapelle gebracht. Betrat der Pilger „früher“ die „Casa Santa“, so beugte er das Knie, und kniend betete er vor dem Allerheiligsten mit Blick auf die Schwarze Madonna. Betritt er „heute“ denselben Ort, so weiß er zunächst nicht mehr, was er tun soll. Stand er „früher“ vor einem Theologoumenon, das auch dem einfachsten und kleinen Gläubigen das zentrale Geheimnis des Christentums anschaulich vor Augen führte, ihn in die Geschichte hineinnahm, seine eigene Geschichte in die Heilsgeschichte fast spür- und sichtbar verflocht, steht er heute – in einem steinernen Raum, vor einem Bild, und er weiß eigentlich nicht so recht, was er tun soll. „Früher“ – eine Zusammenfassung des Heiligsten; „heute“ – eine weitere Musealisierung des Glaubens, seiner Zeichen, seiner Ursprünge.

Der Katholik betet weder Reliquien noch Bilder an, er kennt keine Idolatrie und dient keinen Abbildern. Er erkennt in der Reliquie, im Bild, einen wichtigen Weg der Annäherung an das Geheimnis, was in Loreto – „früher“ – das Wichtige war. Das Bild der Gottesmutter und das Allerheiligste umarmten einander gleichsam, das Bild zeigte auf den Herrn. Die „Casa Santa“ war ein Ort der Anbetung des im Heiligsten Sakraments des Altares wirklich anwesenden Christus, zu dem dessen Mutter, die die Mutter der Kirche ist, den Gläubigen führt – an dem Ort, „an dem alles anfing“. Jetzt wurden die Mutter und der Sohn getrennt. Frage: Warum darf das nicht mehr sein? Welcher Modernität, welcher neuen Regelung wird da die Grundgestalt des Glaubens geopfert?

Jeder weiß, dass ein Haus, das nicht bewohnt wird, langsam zugrunde geht. Es verliert seine „Persönlichkeit“, es verliert einen wesentlichen Teil seiner Geschichte. Zweifellos kann es zu einem Museum umfunktioniert werden, das eine Erinnerung wach hält, Vergangenes dokumentiert. Aber ihm fehlt seine Seele, es geht dessen verlustig, was es lebendig macht, was für die künftigen Generationen entscheidend ist. Das Heilige Haus von Loreto – ist seelenlos geworden. Es bleibt zu hoffen, dass ihm diese wiedergegeben wird.




© 2010 www.kath.net