Die katholische Kirche geht durch Feuer und Wasser

1. August 2010 in Österreich


Egon Kapellari beim Jubiläum der Hochalmkirche über Seckau: Die treu in der Kirche Bleibenden werden sich in Zukunft noch mehr als bisher um Christus als ihre Mitte zusammenschließen müssen.


Graz (kath.net)
Kath.Net dokumentiert die Festpredigt vom Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari beim Jubiläum der Hochalmkirche über Seckau
am 1. August 2010:


Einer von den 150 Psalmen der Bibel beginnt mit den Worten: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe. Die Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat.“

Heilige Berge als besonders wichtige Orte für die Begegnung mit Gott gibt es in vielen Religionen. Der Aufblick zu ihnen und der Aufstieg zu ihren Gipfeln erleichtern die Selbstüberschreitung des Menschen auf den Schöpfer hin. Dieser Aufblick und Aufstieg geschieht einerseits oft im Alleingang eines glaubenden Menschen. So war Moses allein auf dem Berg Sinai, aber seine dortige Begegnung mit Gott, der ihm die 10 Gebote offenbart hat, galt stellvertretend dem ganzen Volk Israel. Jesus war hingegen auf dem Berg Tabor kurz vor seinem Leiden und Tod nicht allein, sondern zwei seiner Jünger, nämlich Jakobus und Johannes waren bei ihm und er hat seine programmatische Offenbarung einer großen Schar des Volkes in Gestalt der Bergpredigt mitgeteilt.

Berge blieben und bleiben auch in der Kirchengeschichte wichtige Orte, an denen viele Menschen den Himmel offener erlebt haben als unten im Tal. Die großen alten Orden der Kirche, vor allem die Benediktiner, haben daher einige ihrer wichtigsten Klöster auf Bergen gebaut. Am bekanntesten ist diesbezüglich Monte Cassino in Italien, eine kleine „Stadt auf dem Berge“, von der seit dem Jahr 526, freilich mit Unterbrechungen durch Kriege und andere Katastrophen, viel Licht ausgegangen ist.

Seit 350 Jahren ist das kleine Kirchlein auf der Hochalm über Seckau so etwas wie ein Magnet, der täglich viele Blicke aus dem Talgrund anzieht und zu dem auch viele Wanderer hinaufziehen. Manche dieser Wanderungen sind auch Wallfahrten im eigentlichen Sinn dieses Wortes. „Maria Schnee“ lautet der Name und Titel dieses Bergheiligtums und verweist so auf die große Marien-Basilika Santa Maria Maggiore in Rom, eine der vier dortigen Patriarchalbasiliken.

Jedes Kirchengebäude, ob groß oder klein, ob prächtig ausgestattet oder sehr schlicht, ist aber nur ein Instrument für die Kirche aus lebendigen Steinen; für die glaubenden Menschen, die hier einkehren können zu Gebet und Gottesdienst im Wissen darum, dass Gott zwar allgegenwärtig ist, dass er aber den Menschen, die an Raum und Zeit gebunden sind, an besonderen Orten und zu besonderen Zeiten besonders nahe sein will. Ein solcher Ort ist gemäß der Erfahrung vieler Menschen auch das Seckauer Hochalmkirchlein und seine Umgebung. Viele Menschen haben hier Hilfe aus ihren Nöten erfahren, haben Orientierung und neue Kraft für ihren Lebens- und Glaubensweg erhalten. Dies galt und gilt besonders auch für die Mönche der Benediktinerabtei Seckau, denen ich heute und hier hoch über dem Talgrund einmal mehr und im Namen unserer ganzen alten Diözese Graz-Seckau für ihr Dasein und Wirken herzlich danke. Dem eben gewählten Administrator P. Johannes Fragner wünsche ich herzlich reichen Segen für seinen neuen zusätzlichen Dienst.

Maria, die Mutter Christi wird an den Marienwallfahrtsorten und so auch im Kirchlein Maria Schnee als Hilfe der Christen angerufen. Diese Hilfe brauchen wir jederzeit und besonders auch heute sowohl für die ganze Zivilgesellschaft wir für die Kirche. Es gibt ja viele Umbrüche und Abbrüche in diesen beiden großen Lebensbereichen. Eine damals schon hochbetagte Professorin der Philosophie in Genf hat mir vor mehr als zwanzig Jahren gesagt: „Sie haben es als Bischof heute sehr schwer, weil nichts mehr selbstverständlich ist.“ Das ist seither noch viel deutlicher geworden. Viel Tragendes im Leben zumal von Ehen und Familien, im Zueinander der Geschlechter und Generationen und in der Arbeitswelt ist in den letzten Jahrzehnten schwächer geworden. Andererseits gibt es auch neue Solidarisierungen in manchen Bereichen der Gesellschaft. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ hat der Dichter Hölderlin vor 200 Jahren prophetisch gesagt und dies bestätigt sich immer wieder.

Die katholische Kirche geht neuerdings in einigen Ländern und so auch in Österreich sozusagen durch Feuer und Wasser. Viel Vertrauen in sie ist durch das Bekanntwerden von Verletzungen junger Menschen seitens kirchlicher Verantwortlicher verloren gegangen. Aus diesem Grund und im Grunde noch weitaus mehr wegen einer weit verbreiteten Schwächung des Glaubenswissens und der Glaubenspraxis sind viele Katholiken aus der Kirche auszutreten und diese Entwicklung hält noch an.

Die treu in der Kirche Bleibenden werden sich in Zukunft noch mehr als bisher um Christus als ihre Mitte zusammenschließen müssen. Sie werden ihre Hoffnung nicht vor allem auf organisatorisch-technische Strukturreformen setzen, obwohl auch dafür einiges geschehen wird. Vielmehr werden sie tiefer nach den Quellen des Glaubens graben und tiefer über Gott, über Christus und über die Kirche als Mysterium nachdenken müssen.

Das Prinzip Entscheidung und das Prinzip Verantwortung werden in der Kirche künftig noch stärker tragen müssen als heute. Und dazu kommt das Prinzip Stellvertretung. Christen, die zum Kern der Kirche gehören, werden sich im Gebet, in der Liturgie und im Dienst an Notleidenden noch bewusster auch zur Stellvertretung für die anderen berufen wissen, die Gott vergessen haben oder ihn noch nicht kennen. Eine kleine Schar von Frauen, Männern und ministrierenden Kindern, die an einem Wochentag die Eucharistie feiert, vertritt vor Gott immer auch die vielen anderen: die Ahnungslosen, die Gleichgültigen und die Enttäuschten. Das gibt dieser kleinen Gemeinschaft weltweite Dimensionen und ermöglicht ihr ein gelassenes Selbstbewusstsein und kann sie vor Kleinmut bewahren.

Liebe hier auf der Hochalm versammelte Christen, Brüder und Schwestern!

Wir sind hier auch stellvertretend versammelt für die Pfarre Seckau und die Benediktinerabtei in deren Mitte und stellvertretend auch für die ganze Diözese und schließlich für die ganze Weltkirche inmitten der Menschheit. Wir blicken auf das Bild der Gottesmutter Maria, die als Hörende auf Gottes Wort ein Urbild der ganzen Kirche ist. Sie möge uns die Gnade erbitten, dass wir im Hören auf Gottes Wort und im Gehorsam gegenüber seiner Botschaft wetterfeste, fröhliche und mit einem nicht arroganten aber klaren Selbstbewusstsein ausgestattete Christen sein können – einzeln und gemeinsam. Bitten wir auch besonders für die Abtei Seckau, von der seit ihrer Gründung so viel Segen ausgegangen ist, dass diese Quelle auch in Zukunft reichlich fließt. Maria mit dem Kind lieb, uns allen deinen Segen gib. Amen.


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