Österreich: Bischof Küng für Kondomabgabe an manche Aidskranke

17. Juli 2010 in Österreich


Eine Bestandsaufnahme aus christlicher Sicht anlässlich der am Sonntag beginnenden 18. Welt-Aids-Konferenz in Wien - Eine Stellngnahme von Bischof Klaus Küng für die Tagespost - Jetzt im Wortlaut auf kath.net


Würzburg (kath.net/DieTagespost)
Ich gestehe es – zu keinem Thema greift ein Bischof so ungern zur Feder wie zum Thema Kondome. Man kann sicher sein: kaum nimmt ein Bischof oder gar der Papst das Wort „Kondom“ in den Mund, ist damit zu rechnen, dass die Meldung in kürzester Zeit in allen Medien steht, vielleicht sogar rund um die Welt geht. Das ist nicht nur eigenartig, fast erheiternd, es stimmt auch nachdenklich.

Warum blickt die ganze Welt mit einer so ungeheuren Faszination auf das, was die Kirche zu Kondomen sagt? Warum nimmt der Papst überhaupt eine distanzierte Haltung zu etwas ein, das heute weltweit zum Alltag von sexuellen Beziehungen zu gehören scheint, das jedem Jugendlichen im Sexualkundeunterricht als die Lösung (fast) aller Probleme im sexuellen Bereich präsentiert wird?

Aids ist und bleibt ein komplexes Thema

Oder, anders gefragt: Wie kann die Kirche, der Papst angesichts von Aids noch von Kondomen abraten? Ist sie von allen guten Geistern verlassen? Sollte man den Papst gar vor ein Verbrechertribunal zerren, wie dies immer wieder vorgeschlagen wird? Anlässlich der 18. Welt-AIDS-Konferenz, die nun in Wien stattfindet, scheint es mir jedenfalls angebracht, inne zu halten und die Erfahrungen der Kirche mit Aids in den Blick zu nehmen.

Die Pandemie breitet sich weiter aus. Wie wirksam sind die Bemühungen? Die Frage der Kondome – ob sie verwendet werden oder nicht – ist dabei sicher nicht die wichtigste, aber sie soll nicht ausgeklammert werden.

Es gibt eine Reihe von Zusammenhängen, die für das Verständnis der Problematik von Aids wichtig sind.

Armut begünstigt Aids und Aids führt zu Armut. Aids kann in allen Kreisen der Bevölkerung auftreten. Mittellose Menschen erkranken, wenn sie HIV-positiv werden, in der Regel schneller und schwerer, unter anderem weil ihre Ernährung defizitär ist, und es kommt rascher zum Tod, wenn sie nicht die erforderlichen Medikamente erhalten beziehungsweise keine adäquate medizinische Betreuung gegeben ist. Sobald massive Krankheitssymptome auftreten, werden Aidskranke arbeitsunfähig und pflegebedürftig, die Familien bleiben ohne Lebensunterhalt und die Kinder – meist selbst HIV-positiv oder bereits an Aids erkrankt – werden zu Vollwaisen, die ohne Zuhause auf der Straße stehen.

Zudem breitet sich – gerade in solchen Situationen der Armut und des Elends – die Krankheit sehr rasch aus. Wegen der drohenden sozialen Stigmatisierung durch die Diagnose „HIV-positiv“ haben die Menschen Angst, den entsprechenden Test an sich durchführen zu lassen. So sind sie oft Träger des Virus und eine Infektionsgefahr für andere, ohne es zu wissen, und beginnen nicht mit der Therapie, die ihnen helfen könnte und auch die Infektionsgefahr vermindert. In manchen Ländern sind ganze Generationen innerhalb kürzester Zeit verstorben.

Sehr schmerzhaft und belastend ist die Stigmatisierung und Ausgrenzung, die bei HIV-positivem Test fast unvermeidlich entsteht: Jeder sieht dann nur noch – jedenfalls in armen Ländern – bevorstehendes Elend und das unfreiwillige Outing, welches ins soziale Abseits befördert.

In den zurückliegenden Jahren zeigte sich, dass in den Hauptkrisengebieten vor allem die Zahl der infizierten Frauen stark zunimmt. Das hängt mit dem Mangel an Information zusammen sowie damit, dass Rücksichtslosigkeit und Gewalt im sexuellen Bereich häufig sind, vielleicht auch, dass Kondome Männer besser schützen als Frauen.

Therapiemöglichkeiten wurden verbessert

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Therapiemöglichkeiten deutlich verbessert. Durch geeignete Ernährung und entsprechende Lebensweise, verbunden mit einer antiretroviralen Therapie, kann bei HIV-Positiven der Ausbruch der Krankheit oft lange hinausgeschoben oder überhaupt verhindert werden und bei bereits Erkrankten durch konsequente Einnahme der Medikamente, entsprechende Ernährung und regelmäßige Untersuchungen der Krankheitsverlauf weitgehend unter Kontrolle gebracht werden. Aids ist heute bei rechtzeitigem Eingreifen und konsequenter, lebenslanger Behandlung ähnlich wie eine chronische Erkrankung zu betrachten, die zwar bis jetzt weiterhin unheilbar ist, bei der aber oft über Jahre hinweg die Arbeitsfähigkeit erhalten werden kann. Heute kann auch – bei entsprechender medizinischer Behandlung – die Ansteckbarkeit gesenkt und die Mutter-Kind-Übertragung in einem hohen Prozentsatz vermieden werden.

Durch hartnäckige Petitionen und Verhandlungen – die insbesondere Papst Johannes Paul II. immer wieder gefordert hat – konnte in den vergangenen Jahren erreicht werden, dass die Pharmakonzerne die Medikamente zu günstigeren Preisen zur Verfügung stellen. Trotzdem erhält derzeit in den Entwicklungsländern schätzungsweise nur ein Drittel der Betroffenen eine qualifizierte medizinische Behandlung. Es fehlt vor allem an medizinischem Personal.

Die Kirche leistet Großes im Kampf gegen Aids

Die Kirche wurde zwar in den vergangenen Jahrzehnten im Zusammenhang mit Aids wegen der Kondomfrage immer wieder heftigst attackiert, den wenigsten ist jedoch bewusst, wie viel Großes sie täglich im Kampf gegen Aids und seine Folgen leistet. Derzeit geschieht etwa 50 Prozent der gesamten Aidshilfe durch christliche Kirchen.

Sehr bald sahen die Missionare der Kirche und viele ihrer Institutionen das große Elend der Aids-Pandemie. Es sind viele Einrichtungen und Initiativen entstanden: Krankenhäuser, Ambulatorien, Hilfsprogramme. Die Kirche erkannte von Anfang an die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Hilfe, die nicht nur den medizinischen Aspekt berücksichtigt, sondern auch die materiellen, menschlichen und seelsorglichen Bedürfnisse der Betroffenen beachtet.

Unvergesslich ist mir der Besuch eines Sterbehospizes der Schwestern der Mutter Teresa in Addis Abeba, wo viele Aidskranke Zuflucht fanden. Dort fühlten sie sich sicher. Damals ging das Gerücht um, dass in einer großen Einrichtung des Staates ihre Krankheit nicht geheilt, sondern beschleunigt werde.

Vielleicht ist auch dies vielen Menschen nicht bewusst: was für ein Zeichen der Hoffnung die Kirche und ihre Einrichtungen für viele Aids-Kranke sind.

Auch in den Einrichtungen der Kirche war es von Anfang an – seit Aids sich auszubreiten begann und die Genese sowie der Verlauf dieser Krankheit bekannt wurden – ein großes Anliegen, alles zu versuchen, um die rasche Ausbreitung dieser ohne Therapie tödlich verlaufenden Krankheit zu stoppen. Da die Ansteckung mit dem HI-Virus in überwiegender Zahl kausal mit dem Lebensstil zusammenhängt – Promiskuität, homosexuelle Kontakte, Drogenkonsum und Infektion durch verunreinigte Spritzen, nicht zuletzt wechselnde sexuelle Beziehungen – war die Devise der Kirche: Information über die Krankheit, die Ermutigung, den Arzt aufzusuchen, wenn es möglicherweise zu einer Infektion gekommen ist, und vor allem sorgfältige Partnerwahl und Treue in der Ehe sowie damit verbunden die Enthaltsamkeit von sexuellen Kontakten außerhalb der Ehe.

Zurückhaltend war und ist die Kirche gegenüber jenen Gesundheitsprogrammen, die in einer möglichst breit gestreuten Verbreitung von Kondomen die wichtigste Maßnahme oder fast das Allheilmittel zur Eindämmung der Pandemie sahen.

Die kirchliche Forderung, abstinent zu leben und eheliche Treue zu halten, wurde und wird von vielen weiterhin als völlig unrealistisch und nicht selten sogar als Mitursache für die rasche Ausbreitung von Aids betrachtet. Wie hoch die Wogen in der internationalen Presse in diesem Zusammenhang steigen können, hat die jüngste Papstreise nach Afrika gezeigt, wo die Aussage des Papstes, die Verbreitung von Kondomen allein sei nicht die Lösung, weltweit schärfste Proteste auslöste.

Und da sind wir eigentlich beim zentralen „Knackpunkt“ des Problems der Prophylaxe: Angesichts der Tatsache, dass es wirklich in großem Maße der promiskuitive Lebensstil ist, der die Verbreitung von Aids vorantreibt, auch angesichts mehrerer unabhängiger UN-Aids-Studien, die jedes Mal nachgewiesen haben, dass die HIV-Infektion in ganzen Landstrichen besser durch Ermutigung zur Treue als durch Kondomverteilung in den Griff zu bekommen ist, wäre es da nicht höchste Zeit zu überlegen, ob die Kirche nicht doch Recht hat, dass nämlich Aids nur durch ein ganzheitliches Umdenken im Bereich Sexualität, Ehe und Beziehung zu meistern ist?

Hat die Kirche nicht Recht mit ihrer Haltung zu Kondomen?

Ist nicht heute auf Grund einer besseren Erkenntnis der Zusammenhänge und der neuen medizinischen Entwicklungen eine gelassenere und ausgewogenere Beurteilung dieser Frage möglich? Prinzipiell bleibt die Einstellung der Kirche zur Kondomfrage sicher unverändert, es gibt aber einige Detailfragen, in denen eine gewisse Differenzierung möglich, vielleicht auch nötig ist. In einigen dieser Detailfragen gibt es bis jetzt, abgesehen von Stellungnahmen einzelner Bischöfe, noch keine offiziellen Äußerungen des universalen Lehramtes der Kirche, aber es lassen sich auf der Grundlage der Enzyklika „Humanae Vitae“ und einiger anderer ethischer Prinzipien folgende Aussagen treffen:

Die Bekämpfung von Aids durch möglichst flächendeckende Verteilung von Kondomen ist sicher nicht der richtige Weg. Kondome bedeuten zwar objektiv einen gewissen Schutz vor Ansteckung. Bei Verwendung eines Kondoms ist die Gefahr der Ansteckung durch Aids etwa fünfmal geringer, absolut sicher ist dieser Schutz aber nicht. Das lässt sich schon daran erkennen, dass bei Verwendung von Kondomen zwar selten, aber doch Schwangerschaften zustande kommen. Es besteht die Gefahr von Applikationsfehlern.

Kondome schützen den Mann besser als die Frau, die verwundbarer ist. Gerade bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr mit der gleichen Person kann es früher oder später trotz Verwendung eines Kondoms doch zur Infektion des gesunden Partners kommen. Vor allem verführt die Verbreitung von Verhütungsmitteln zu einer fatalen Konsummentalität und im Zusammenhang mit Aids zu riskanten Verhaltensweisen.

Dennoch kann ich mir vorstellen, dass es in manchen konkreten Fällen in der Ehe, wenn sich ein Partner infiziert hat, erlaubt oder sogar geboten sein kann, zum relativ besseren, jedoch nicht absoluten Schutz des anderen ein Kondom zu verwenden. Das steht meines Erachtens nicht im Widerspruch zur Enzyklika „Humanae Vitae“, weil in einer solchen Situation nicht Empfängnisverhütung das Ziel der Verwendung eines Kondoms ist, sondern der Schutz des anderen. Die Enzyklika „Humanae Vitae“ lehrt ja auch, dass zum Beispiel bei Verwendung einer nicht abtreibenden Pille aus therapeutischen Gründen (etwa der Zyklusregulierung), auch wenn dies eine zeitweise Unfruchtbarkeit mit sich bringt, der Geschlechtsverkehr als Ausdruck der Liebe erlaubt ist.

Im Falle der Infektion eines der beiden Partner durch den HI-Virus stellt sich aber auch noch eine andere Frage, nämlich ob das Risiko verantwortbar ist, das trotz Verwendung eines Kondoms immer noch bestehen bleibt. Bis vor einiger Zeit war die Antwort – jedenfalls für mich – eindeutig nein, da die Ansteckung mit Aids den sicheren Tod bedeutete und man fragen musste: Wie kann etwas Ausdruck der Liebe sein, wenn es dem anderen zur Lebensgefahr wird? Heute stellt sich diese Frage aufgrund einer medizinisch vermeidbaren sicheren Todesfolge möglicherweise nicht mehr so radikal. Letztlich muss der Arzt sagen, ob seiner Einschätzung nach in der konkreten Situation Geschlechtsverkehr verantwortbar ist. Außerdem wird für die ethische Erlaubtheit immer die bewusste und freiwillige Zustimmung des gesunden Partners eine conditio sine qua non sein.

Eine neue Situation durch neue Medikamente

Eine etwas andere Fragestellung betrifft soziale Einrichtungen für Risikogruppen wie zum Beispiel Drogenabhängige oder andere Personen, die in keiner Weise zu sexueller Enthaltsamkeit bereit sind, weil ihnen die Einsicht dafür fehlt und sie sich nicht überzeugen lassen. Dürfen solche Einrichtungen für ihre Klienten Kondome bereit stellen, ebenso Einweg-Spritzen? Mir persönlich scheint es klar, dass es Situationen gibt, in denen das Überlassen von Kondomen an bestimmte Personen, auch von Einweg-Spritzen an Drogenabhängige, solange sie nicht clean sind, moralisch tolerierbar ist, ohne dadurch in sich schlechte Handlungen zu rechtfertigen. Es handelt sich um Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit. Gleichzeitig besteht die unerlässliche Pflicht, vor Gefahren zu warnen und zu gesundheitsförderlichen Verhaltensänderungen aufzurufen.

Es wäre wünschenswert, dass diese Klärungen, sofern sie als richtig empfunden werden, auch im universalen Lehramt Niederschlag finden.

Durch die neuen therapeutischen Konzepte und die ganzheitliche Behandlung der HIV-Infektionen haben sich doch manche Aspekte des Problems geändert. Wer eine Therapie empfängt und diese unter Kontrolle des Arztes konsequent durchführt, für den bedeutet die HIV-Diagnose nicht mehr ein automatisches Todesurteil. Die kombinierte Therapie mit antiretroviralen Medikamenten, angepasster Ernährung usw. vermag zudem die Infektionsgefahr zu reduzieren.

Es sind inzwischen Fälle von HIV-positiven Ehepaaren bekannt, in denen der Wunsch nach einem Kind erwacht ist und denen dieser Wunsch – ohne Infektion des Kindes – in Erfüllung gegangen ist. Früher war das Kind in den meisten Fällen infiziert, heute ist es in einem hohen Prozentsatz möglich, das medikamentös zu verhindern. Auch hier eröffnen sich neue Perspektiven.

Insgesamt möchte ich aber kein zu positives Bild entwerfen. Die Ausbreitung von Aids ist noch nicht gestoppt. Das Elend ist nicht überwunden und bezüglich der Einstellung zur Sexualität ist eine Änderung der Verhaltensweise in vielen Schichten der Gesellschaft – nicht nur in Afrika oder in Asien, und nicht nur wegen Aids – dringend nötig.

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