'Der Stimme der Vorsehung lauschen'

19. April 2010 in Aktuelles


Kath.net Exklusiv-Interview mit Michael Hesemann über die Papstreise nach Malta, den Anker des hl. Paulus und die Zeichen unserer Zeit.


Köln (kath.net)
Herr Hesemann, Papst Benedikt XVI. war an diesem Wochenende auf Malta. Im Vorfeld des Besuches berichteten Sie von einem römischen Bleianker, der am Tag seiner Amtseinführung vor der Küste der Insel auf dem Meeresgrund entdeckt wurde und den Sie für einen der Anker vom Schiff des hl. Paulus halten. Hat der Papst den Anker gesehen?

Ja, das hat er, obwohl es fast nicht geklappt hätte. Ich stand ja in ständigem Kontakt mit Mark Gatt, dem maltesischen Rettungstaucher, der den Anker entdeckt und geborgen hat. Erst am Dienstag, dem 13. April war aus Rom darum gebeten worden, den Anker an einen Ort zu bringen, an dem der Papst ihn sehen könnte. Das war ziemlich kurzfristig. Mark organisierte schnell alles, ließ sogar ein Display anfertigen, auf dem der Anker dem Papst präsentiert werden könnte. Doch dann schien die maltesische Bürokratie dem allen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Bis Freitag Mittag hatte das Museum, in dessen Archiv er eingelagert war, den Anker noch nicht freigegeben. Erst am Nachmittag hatte Gatt „grünes Licht“: Es stand alles für den Papstbesuch bereit. Zu diesem Zeitpunkt hoffte ich noch, leider vergeblich, nach Malta zu kommen. Denn wegen des Vulkanausbruchs auf Island war in ganz Deutschland der Flugverkehr zum Erliegen gekommen. Dann, am Samstag Abend um 20.15 Uhr, traf bei mir die erste Meldung aus Malta ein, zehn Minuten später hatte ich Mark Gatt am Telefon: Papst Benedikt hat den Anker gesehen, hat mit Gatt gesprochen, sich versichert, dass es tatsächlich der Anker eines alexandrinischen Kornschiffs aus dem 1. Jahrhundert ist.

Nun gab es viele alexandrinische Schiffe, es wurden Dutzende römischer Anker vor der Küste Maltas entdeckt. Was macht sie so sicher, dass dieser Anker vom Schiff des Apostels stammt?

Nun, als gläubiger Christ könnte ich natürlich sagen: Er wurde verifiziert durch die göttliche Vorsehung, denn es ist gewiss ein Zeichen, dass er am Tag der Amtseinführung des Paulusjahr-Papstes gefunden wurde. Aber ich bin Historiker und ganz so einfach darf ich es mir nun wirklich nicht machen. Lassen Sie mich Ihre Frage daher etwas ausführlicher beantworten. Ich bin im Januar 2008 nach Malta gereist, um für mein Buch „Paulus von Tarsus“ zu recherchieren und herauszufinden, welche Zeugnisse es vom Besuch des Apostels auf der Insel überhaupt gibt. Rein zufällig buchte ich ein Hotel an der Salina Bay, heute würde ich sagen: Mit Blick auf die Sandbank, auf der das Paulus-Schiff auflief. Aber das wusste ich damals natürlich noch nicht. Gleich in der ersten Nacht erzählt mir mein Taxifahrer etwas von einem römischen Anker, der außerhalb der Bucht entdeckt worden war, worüber die „Times of Malta“ berichtet hätte. Dabei hatte ich eine ganz andere Bucht im Auge, die St. Thomas-Bucht, die der US-Forscher Bob Cornuke für den wahren Ort des Schiffsbruchs Pauli hielt, weil dort von Tauchern gleich vier römische Bleianker entdeckt worden waren. Ich treffe mich mit einem der Taucher, Ray Ciancio, und der erzählt mir nicht nur ebenfalls von dem Salina-Fund, er bringt mich auch mit seinem Entdecker, Mark Gatt, in Kontakt. In der letzten Nacht, die ich auf Malta verbringe, treffen wir uns. So berichte ich in meinem Buch ziemlich wertneutral über beide Ankerfunde – und beschließe, der Frage weiter nachzugehen.

Schließlich fliege ich im September 2008 wieder nach Malta, dieses Mal für 14 Tage. Ein paar Tage lang ist ein Journalistenkollege aus Rom dabei, ansonsten Yuliya Tkachova, die begeisterte Taucherin ist. Dieses Mal sind wir mit beiden, Ray Ciancio und Mark Gatt, verabredet, lassen uns im Boot an die Fundorte der Anker bringen, benutzen Seekarten, Yuliya taucht, wir rekonstruieren das Szenario des Schiffsbruchs unter den jeweiligen topgraphischen Bedingungen. Und ich gebe zu, wir verliebten uns in die St. Thomas-Bucht, die ein wirklich wunderbarer, touristisch noch völlig unerschlossener Ort ist. Wir wohnen dort in einem kleinen Hotel, essen abends bei Ray in seinem „Driftwater“-Restaurant und wünschen uns nichts mehr als dass die Anker, die er entdeckte, die „paulinischen“ sind. Doch kaum fahren wir die Strecke mit dem Boot ab, kommen mir erste Zweifel. Der Fundort der Anker befindet sich kurz vor einem Riff, dem Munxar Reef. Hätte das Schiff des hl. Paulus dort über Nacht geankert, die Wellen hätten es da schon gegen das Riff geschleudert, es wäre zerschmettert worden, bevor der Morgen anbrach. Wahrscheinlich waren die vier Anker einst sogar abgeworfen worden, um ein Schiff zu erleichtern, damit es das Riff noch passieren konnte. Das war natürlich ein ganz anderes Szenario, als es uns die Apostelgeschichte schildert. Dabei stammen auch diese vier Anker aus römischer Zeit. Doch man fand rund um das Riff auch Amphoren des spanischen Typs; ziemlich untypisch für ein Schiff aus Alexandria. Für einen Korntransporter waren die Anker auch viel zu klein. Und so kam eines zum anderen, dass ich von dem St. Thomas-Bay Szenario allmählich Abschied nahm.

Ganz anders erging es mir, als wir mit Mark Gatt zur Fundstätte „seines“ Ankers ausliefen. Beim ersten Tageslicht hätte man von dort aus wunderbar die Salina-Bucht erblicken können, eine „Bucht mit flachem Strand“ (Apg 27,39). Jeder Seemann hätte sein Schiff bei der Einfahrt in die Bucht so gesteuert, dass es in der Mitte bleibt; da sind Buchten gewöhnlich am tiefsten. Doch die Salina-Bucht ist tückisch, denn genau in ihrer Mitte liegt eine Sandbank. Da wäre jedes Schiff aufgelaufen. Wir ankerten direkt über ihr, das Meer ist dort nur fünf Meter tief. Yuliya tauchte und fand einen ganzen Haufen von Keramikfragmenten. Schon seit langem vermuten maltesische Unterwasserarchäologen hier ein Schiffswrack. Ein maltesischer Unterwasser-Pionier, Commander Scicluna, präsentierte einige der Keramikfragmente erfahrenen Seefahrtexperten. Ihr Urteil: Sie stammen von Keramikröhrchen, sogenannten „tubi fittiti“, die, ineinandergesteckt, als Abdeckung des Kabinendachs römischer Kornschiffe um 100 n.Chr. dienten. Scicluna fand auch drei weitere riesige Bleianker, die vom selben Schiff zu stammen scheinen wie Mark Gatts Fund, zwei von ihnen je 250 kg, der dritte dreieinhalb Tonnen schwer. Da lag Gatts Anker mit 700 kg noch ziemlich in der Mitte. Und um die Frage des Papstes zu beantworten: Kein Zweifel, dass er aus Alexandria stammte – denn schließlich trug er als Inschrift die Namen zweier ägyptischer Gottheiten, Isis und Sarapis, deren Kultzentrum die ägyptische Hafenstadt war.

Es war also genau so, wie es die Apostelgeschichte schilderte: Ein alexandrinisches Kornschiff ankerte auf dem offenen Meer, ließ dort, in einer Tiefe von etwa 30 Metern, seine Anker zurück und nahm Kurs auf eine Bucht mit flachem Strand. Dort lief das Schiff auf eine tückische Sandbank auf. Den Männern dürfte es nicht schwer gefallen sein, von dort aus an Land zu schwimmen, es sind nur 300 Meter. Oberhalb der Bucht liegt das Dorf Burmarrad mit der Kirche St. Pawl Milqi. Sie wurde über der römischen Villa errichtet, in der nach lokaler Überlieferung der „Inselerste“ Publius den hl. Paulus empfing. Archäologen fanden heraus, dass hier schon im 4. Jahrhundert ein christlicher Kultort war, Graffiti zeigen ein Schiff und einen bärtigen Mann, der der Ikonografie des Völkerapostels entspricht. Von diesem Landgut aus hatte man einen wunderbaren Blick auf die Bucht; ein Schiffbruch wäre sofort bemerkt worden, die Einheimischen wären den Gestrandeten zur Hilfe geeilt, ganz wie es in der Apostelgeschichte steht.

Müssen also die Exegeten umdenken, beruht die Apostelgeschichte doch auf Augenzeugenberichten?

Davon bin ich überzeugt und darin liegt ja die Bedeutung des Ankerfundes. Wenn er vom Schiff des Völkerapostels stammt, dann ereignete sich der Schiffbruch genau so, wie ihn die Apostelgeschichte schildert – bis ins kleinste Detail. Der Details sind zu viele, um auf eine lange tradierte mündliche Überlieferung zu schließen. Nein, alles spricht dafür, dass wir es mit einem Augenzeugenbericht zu tun haben, wie ja auch die sprachliche „wir“-Form des Erzählers indiziert. Lukas war beim Schiffbruch dabei, er hat seinen Bericht verfasst, als Paulus in Rom auf seinen Prozess wartete, also 62 n.Chr. Da er in der Einleitung bereits auf das Lukas-Evangelium Bezug nimmt, muss er dieses noch früher verfasst haben, wohl um 61 n.Chr. – und dann stammen auch die anderen Evangelien, die er erwähnt, aus der Zeit der Augenzeugen.

Damit aber wird der Anker plötzlich zu einem starken Symbol. Dieser Fund belegt nicht nur den Wahrheitsgehalt der neutestamentlichen Überlieferungen, er verankert sie auch in der Geschichte und der Archäologie. Plötzlich erleidet eine fehlgeleitete, überkritische Exegese Schiffbruch. Und all das ereignete sich an eben jenem Tag, an dem der größte Theologe unserer Zeit, Joseph Ratzinger, in das Petrusamt eingeführt wird!

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Hand aufs Herz, Herr Hesemann, haben Sie sich nicht durch diesen Umstand beeinflussen lassen, als sie die Geschichte des Fundes untersuchten?

Ob Sie es mir glauben oder nicht: Es fiel mir erst sehr spät auf, dass Mark Gatt seinen Fund am Tag der Amtseinführung Benedikts XVI. machte. Das ist schon komisch, denn natürlich kannte ich das Datum, ich war ja 2005 in Rom bei der Papstmesse dabei gewesen. Doch schlagen Sie nach in meinem Buch „Paulus von Tarsus“: Ich nenne zwar Jahr und Tag, aber irgendwie war mir damals der Zusammenhang noch nicht bewusst. Und das war auch gut so, nur deshalb blieb ich unvoreingenommen. Ich gebe ja zu, dass ich ursprünglich mit der St. Thomas-Bucht liebäugelte; sie ist einfach die landschaftlich schönere Bucht! Erst als alle Fakten auf dem Tisch lagen und ich mich aufgrund ihrer für die Salina-Bucht entschied, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Mein Gott, da war doch was an diesem Tag! Richtig, es war der Tag, an dem der Papst des Paulus-Jahres die Kathedra Petri bestieg! Da musste ich natürlich den Heiligen Vater informieren.

Und am 17. Februar 2010 war es dann soweit?

Nein, ich schickte meinen Bericht schon im Oktober an Monsignore Dr. Gänswein, den Sekretär Seiner Heiligkeit. Trotzdem nutzte ich die Gelegenheit, Papst Benedikt im Februar noch einmal persönlich darauf hinzuweisen und ein Foto des Ankers zu übergeben.

Wie reagierte er?

Sehr positiv. Er schaute mir tief in die Augen und meinte: „Das ist wirklich ein Zeichen der göttlichen Vorsehung.“ Ich war so beeindruckt von seinen Worten, dass ich sie gleich nach der Audienz notierte. Und ja, ich bin davon überzeugt, dass es das ist. Es ist ein Zeichen von größter Symbolkraft, denn der Anker war bei den ersten Christen ein Symbol für das Kreuz und damit für Christus, für einen Glauben, in dem sie in den Stürmen der Zeit Halt fanden. Diese Metapher, dieses Verständnis vom Glauben als Anker, ist aktueller denn je. Das ganze Abendland ist in der christlichen Tradition verankert. Umso schöner, dass gerade Malta seinem Glauben so treu blieb wie kein anderes Land Europas. Es ist ja so eine Art „Insel der Seligen“ in einer sturmgepeitschten Zeit, so wie es auch für Paulus und seine Gefährten zum rettenden Eiland wurde. Sie strandeten zwar, sie mussten alles hinter sich lassen, doch sie wurden auf wunderbare Weise gerettet und legten eine Saat, die aufging. Da ist es vielleicht eine Ironie der Geschichte, vielleicht aber auch ein weiteres Zeichen der Vorsehung, was am Himmel über Europa los war, als der Papst einen Tag nach seinem Geburtstag und genau fünf Jahre nach dem historischen Konklave von 2005 nach Malta aufbrach. Über dem ganzen Kontinent zogen schwarze Wolken auf, die Aschewolken aus Island. Nur zwischen Malta und Rom funktionierte der Flugverkehr reibungslos. Vielleicht sollten wir lernen, auch auf solche Zeichen zu achten und der Stimme der Vorsehung zu lauschen, statt immer nur an einen Zufall zu glauben.

Michael Hesemann ist Historiker und Autor diverser Sachbücher zu Themen der Kirchengeschichte. Zuletzt hat Hesemann ein Buch über das Grabtuch von Turin veröffentlicht.


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