Das Bluttuch von Oviedo

31. März 2010 in Interview


Michael Hesemann im kath.net-Interview über sein neues Buch zum "Bluttuch Christi", einer "Komplementärreliquie zum Turiner Grabtuch, die einst das Haupt desselben Toten bedeckte, den das Grabtuch umhüllte".


Linz (kath.net) Kath.net: Herr Hesemann, fast gleichzeitig mit Paul Baddes „Das Turiner Grabtuch“ erschien Ihr Buch „Das Bluttuch Christi“. Worin unterscheiden sich die beiden Bücher?

Michael Hesemann: An erster Stelle darin, dass ich einen ganz anderen Ansatz wähle. Das „Bluttuch Christi“ ist natürlich nicht das Turiner Grabtuch, sondern das Bluttuch von Oviedo im Norden Spaniens. Das wurde in den letzten 21 Jahren so gründlich von Wissenschaftlern untersucht , dass heute kein Zweifel mehr daran bestehen kann, dass es eine Komplementärreliquie zum Turiner Grabtuch ist – dass es einst das Haupt des selben Toten bedeckte, den das Grabtuch umhüllte.

Seine Flecken wurden von Blut gebildet, das aus denselben Wunden austrat wie beim Grabtuch, sie sind so gut wie deckungsgleich; zudem ist es Blut derselben Blutgruppe, nämlich AB. Auch das Bluttuch umhüllte den Kopf eines Mannes mit langen Haaren, im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, mit einer langen, schmalen Nase und einem Vollbart. Zudem fand man in seinem Gewebe die gleichen Pollen wie im Gewebe des Grabtuchs – von Pflanzen, die im Frühjahr im Raum Jerusalem blühen, außerdem reichlich Spuren von Aloe und Myrrhe. Auch die Todesursache des „Mannes vom Grabtuch“ und des „Mannes vom Bluttuch“ war dieselbe: Herz- und Atemstillstand durch ein Lungenödem, Folge eines verletzungsbedingten Kreislaufzusammenbruchs aufgrund einer Kreuzigung.

Wenn aber beide Tücher den gleichen Leichnam bedeckten - und dass dem so war, daran lässt der forensische Befund keinen Zweifel – dann kann die berühmt-berüchtigte Radiokarbondatierung des Turiner Grabtuchs nicht stimmen, dann kann es nicht erst zwischen 1260 und 1390 entstanden sein, dann ist es mindestens 700 Jahre älter. Denn das Bluttuch ist seit 616 in Spanien und wird seit 812 – urkundlich bezeugt!- in der Reliquienkammer der Kathedrale der asturischen Hauptstadt Oviedo verwahrt.

In meinem Buch berichte ich über die Ergebnisse dieser Untersuchungen und verfolge die Spur beider Tücher durch die Zeit. Schließlich rekonstruiere ich, angeleitet von einem der führenden Gerichtsmediziner der USA, was wirklich am Karfreitag des Jahres 30 geschah.

CSI Golgota gewissermaßen. Ist das denn nicht ungewohnt naturwissenschaftlich für einen Historiker?

Keine Sorge, das Buch ist sehr allgemeinverständlich geschrieben, mehr noch als meine bisherigen Werke, schließlich erschien es ja in einem Publikumsverlag, bei Herbig. Auch Historiker müssen sich schließlich daran gewöhnen, interdisziplinär zu arbeiten. Das Ergebnis ist eine durchaus spannende Entdeckungsreise auf den Spuren des Schlüsselereignisses der Welt- und Heilsgeschichte und gewiss kein trockener Autopsiebericht. Zudem enthält das Buch auch die neuesten Erkenntnisse der Grabtuchforschung .

Sie sprechen vom „Bluttuch Christi“ - Was war das für ein Tuch und wie kam es nach Oviedo?

Nach jüdischem Brauch war es üblich, das Antlitz eines Toten sofort zu bedecken. Das wird auch für Jesus gegolten haben, nachdem der Centurio seinen Tod am Kreuz festgestellt hat. Dabei befestigte man es mit Dornen aus der Dornenkrone, die Einstiche sieht man noch heute. Nach dem forensischen Befund, also den Blutflecken auf dem Tuch, blieb der Leichnam des Toten noch eine Stunde lang in vertikaler Position, bis zur Kreuzabnahme. Schließlich, eine weitere Stunde später, trug man ihn von der Hinrichtungsstätte in sein Grab, das – auch das verrät der forensische Befund! – höchstens zehn Minuten entfernt lag.

Dabei trat seröses Blut aus den Lungen aus, der Blutfluss konnte nur durch einen starken Druck – man sieht noch heute die Fingerabdrücke einer Frau inmitten der Blutflecken– gestoppt werden. Das Tuch hatte man längst zur Kapuze verknotet und brauchte es nur noch abzuziehen, als der Leichnam für die Grablegung provisorisch gewaschen und in das Grabtuch gelegt wurde. Das zusammengeknotete Bluttuch wurde ebenfalls in der Grabhöhle deponiert, Johannes erwähnt seine Auffindung im vierten Evangelium.

Die Urgemeinde hat nach dem Pfingstwunder des Jahres 30 das Grabtuch nach Edessa geschickt, weil es nach jüdischer Vorstellung gleich doppelt unrein war: es war mit einem Leichnam in Kontakt gekommen und trug ein Abbild! Das Bluttuch dagegen, dem man nicht auf den ersten Blick ansah, dass es von einem Toten stammte, behielt Petrus zunächst in Jerusalem. Das besagt auch die syrische Tradition, wo es heute noch einen speziellen Kopfschmuck gibt, der an das Tuch erinnern soll, das so genannte Masnaphto.

Man versteckte es vor dem jüdischen Aufstand, erst im 5. Jahrhundert fand es ein Einsiedler am Jordanufer, es wurde dann in einem Höhlenkloster verehrt, wie Pilger berichteten. Als die Perser 612 das Heilige Land überrollten, flohen viele Mönche und Priester nach Alexandria und brachten dort ihre kostbarsten Reliquien in Sicherheit. Das wissen wir auch aus der Vita des hl. Johannes des Almosengebers, des damaligen Patriarchen von Alexandria. Dann fielen die Perser 616 in Ägypten ein.

Der Patriarch entkam knapp einem Mordversuch und setzte sich bei Nacht und Nebel nach Zypern ab. Er überließ es seinen Priestern und Diakonen, auch die Reliquien wegzuschaffen. Doch wohin? Konstantinopel wurde selber gerade von allen Seiten bedrängt, in Italien gab es Aufstände, Erdbeben und die Pest; nur das westgotische Spanien war damals so etwas wie eine „Insel der Seligen“. Der katholische König Sisebutus hatte gerade Frieden mit Byzanz geschlossen, mit Isidor von Sevilla lebte dort einer der gelehrtesten Kirchenmänner seiner Zeit.

Deshalb brachte man die Reliquien auf dem Seeweg auf die iberische Halbinsel. Dort wurden sie zunächst in Sevilla, dann in Toledo verwahrt, bis 712 die muslimischen Mauren das Land überfielen. Damals flohen die Christen mit ihren Kirchenschätzen nach Norden. Der Monsacro, der als heiliger Berg galt, war ihr wichtigstes Versteck. Von dort aus verteilte König Alfonso II. von Asturien ab 812 diese Reliquien auf die neue Hauptstadt Oviedo, das neu gegründete Santiago im Westen seines Reiches und die Reichsabtei S. Martino (heute: S. Toribio) de Liebana.

Was verrät uns diese Tuchreliquie über das Leiden des Herrn, dessen wir in diesen Tagen gedenken?

Am eloquentesten ist sie, wenn sie zusammen mit dem Turiner Grabtuch zu uns spricht. Denn, wie gesagt, die beiden Tücher sind Komplementärreliquien. Gemeinsam helfen Sie uns, das Geschehen des ersten Karfreitags zu verstehen, in all seiner unmenschlichen Grausamkeit und übermenschlichen Größe. Wissen Sie, die Evangelien wurden ja eigentlich nicht für uns geschrieben, sondern für die Menschen vor 2000 Jahren, die mit den Worten „und sie kreuzigten ihn“ ganz andere Bilder und Erfahrungen assoziierten als wir.

Wir kennen zum Glück Kreuzigungen nur noch aus der Kunst und aus Hollywood-Filmen, von denen die meisten – mit Ausnahme von Mel Gibsons Meisterwerk „Die Passion Christi“ – alles ein wenig verkitschen und verharmlosen. Als dann Mel Gibson die erste mehr oder weniger realistische Darstellung des Passionsgeschehens drehte, waren viele Kritiker entsetzt und warfen ihm überzogene Gewaltdarstellung vor. Dabei war, und davon zeugen die Tuchreliquien, vielleicht nicht jedes Detail so wie bei Gibson, aber das Geschehen zumindest genau so blutig.

Doch ich sehe in einer realistischen Darstellung dessen, was unser Herr und Heiland durchlitten hat, um uns zu erlösen, nur eine Vertiefung unserer Kontemplation über die Via Crucis. Der Kreuzestod war die schrecklichste, brutalste, schmerzhafteste Form der Hinrichtung, die sich der Mensch je ausgedacht hat. So ist Gott nicht nur Mensch geworden, er hat auch das Schlimmste durchgemacht, das ein Mensch durchleiden kann. Es war so, als hätten sich im Geschehen von Golgota das ganze Leid und der ganze Schmerz der Menschheitsgeschichte verdichtet. Wir können also sicher sein, der Herr kennt Leid – und lässt uns in unserem Leid und unseren Schmerzen nicht allein. Er hat sie alle bereits auf sich genommen. So ist meine Rekonstruktion des Geschehens von Golgota durchaus auch eine „forensische Kreuzwegmeditation“.

Aber es geht in ihrem Buch auch um die Auferstehung?

Natürlich! „Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir und Deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit“. Das ist das Geheimnis unseres Glaubens und das ist die Botschaft meines Buches. Und der Grund, weshalb alle Wissenschaftler vor der wichtigsten Frage zum Turiner Grabtuch bislang kapitulierten: Wie ist das Abbild überhaupt entstanden? Fest steht: Durch eine Vergilbung, die nur die allerobersten Fasern des Leinens erfasste.

Doch was hat so stark gestrahlt, dass das Leinen dort vergilbte? Wie konnte überhaupt ein dreidimensionaler Leichnam, um den ein Tuch gewickelt war, ohne jede Verzerrung ein zweidimensionales Abbild erzeugen? Hierzu gibt es nur Hypothesen. Doch wenn man sowohl den Bericht von der Verklärung Jesu wie auch die Schilderungen von den Eigenschaften des Auferstehungsleibes liest, dann machen diese Hypothesen sehr viel Sinn. Nicht umsonst definierten die Kirchenväter die göttliche Natur Jesu als „Licht vom Licht“.

Was hat Sie denn am meisten von der Echtheit des Grabtuches überzeugt?

Natürlich der Abdruck, den kein Wissenschaftler kopieren kann. Aber auch die ganze Reihe von Indizien, die es auf einen ganz bestimmten geographischen Raum und einen ganz bestimmten Zeitpunkt festlegen: Die Pollen und Abdrücke von Pflanzen, die nur in den Monaten März und April und nur im Raum Jerusalem, also im Grenzgebiet zwischen dem Bergland und der Wüste Judäas, blühen.

Die Spuren von Straßenstaub im Bereich des Knies und der Fußsohlen, dessen geologisches Profil völlig identisch ist mit dem von Aragonit aus Jerusalem. Schließlich der Abdruck einer Fehlprägung des Pilatus, einer extrem seltenen Münze aus dem Jahre 29/30, auf dem rechten Augenlid des „Mannes auf dem Grabtuch“. Die Präsenz von Aloe und Myrrhe auf beiden Tüchern, dem Grabtuch wie dem Bluttuch. Die Webkanten, wie man sie in Masada fand.

Der Vanillingehalt, der identisch ist mit dem Vanillingehalt der Leinentücher, in die man die Schriftrollen vom Toten Meer gewickelt hat… und so vieles andere mehr, die ganze Reihe von Indizien inklusive der frühesten schriftlichen Quellen und sogar bildlichen Darstellungen des Grabtuchs aus dem 11. und 12. Jahrhundert, also vor seinem Auftreten im Westen. Das alles lässt keine andere Schlussfolgerung zu als die, dass es fast 2000 Jahre alt ist.

Und was halten Sie vom Schleierbild von Manoppello, das im Mittelpunkt von Paul Baddes Buch steht?

Nun, mein Kollege Paul Badde – den ich wirklich in jeder Beziehung sehr schätze und dessen Buch einfach großartig ist – und ich, wir haben ja gewissermaßen Arbeitsteilung betrieben und zwei Bücher verfasst, die sich wunderbar ergänzen. So erwähnt er das Bluttuch von Oviedo – von dessen Relevanz er genau so überzeugt ist wie ich – nur kurz und ich gehe nur am Rande auf das Schleierbild von Manoppello ein.

Ich halte es aber durchaus für möglich, dass es auch aus dem leeren Grab stammt und den Auferstandenen in seinem Auferstehungsleib zeigt. Dabei ist es bei einem Acheiropoieton, einem „Nicht von Menschenhand gemachten“ Abbild eigentlich zweitrangig, wann es entstand – das wunderbare Bild Mariens von Guadalupe bildete sich ja auch erst im 16. Jahrhundert auf der Tilma des Azteken Juan Diego. Wer sich nach Manoppello begibt und das Heilige Antlitz auf sich wirken lässt, der fragt nicht mehr, wie alt es ist, der weiß einfach, dass er in das Antlitz seines Erlösers blickt!

Die Suche nach dem menschlichen Antlitz Gottes ist ein wichtiges Thema in den Predigten des Heiligen Vaters. Kürzlich übergaben Sie ihm ein Christusbild, das auch das Titelbild ihres Buches schmückt. Was hat es damit auf sich?

In meinem Buch schildere ich die Arbeit eines forensischen Künstlers aus Spanien, Prof. Dr. Juan Manuel Minarro von der Universität Sevilla. Der hat in Zusammenarbeit mit spanischen Gerichtsmedizinern zunächst das Gesicht des Toten vom Turiner Grabtuch rekonstruiert und eine Art Totenmaske Jesu geschaffen. Dabei stellte er fest, dass sie exakt den Begebenheiten auf dem Bluttuch von Oviedo entspricht.

Beim nächsten Schritt hat er diese Maske dann von allen Spuren des Leidens und der Misshandlung bereinigt, alle Schwellungen, Wunden, Quetschungen und Prellungen „zurückgerechnet“ und entfernt. Das Ergebnis war eine Jesus-Büste von wirklich anrührender Schönheit und Würde. Mir ist kein Künstler bekannt, der ein Christusbild von solcher Erhabenheit geschaffen hat, das gleichzeitig wirklich auf den Millimeter genau mit dem Grabtuchabbild korrespondiert.

Das habe ich nun wiederum mit Jesusdarstellungen aus den römischen Katakomben und den frühesten Ikonen verglichen und festgestellt, dass sie wirklich dasselbe Antlitz zeigen. Es gab also, wie schon Eusebius von Cäsarea feststellte, eine auf Augenzeugen zurückgehende ikonographische Tradition! Davon musste ich einfach dem Heiligen Vater berichten, als ich am 17. Februar zu einer Audienz geladen wurde. Und so übergab ich ihm, schön gerahmt natürlich, ein Foto der Jesus-Büste von Professor Minarro.

Und wie hat Papst Benedikt XVI. reagiert?

Sichtlich berührt. Er hat sekundenlang gebannt auf das Bild geblickt. Doch so reagieren die meisten Christen darauf. Kein Wunder: Die Begegnung mit dem menschlichen Antlitz Gottes lässt uns auf das hoffen, was uns im Himmel erwartet. Denn der, der in diese Tücher gehüllt war, ist nicht mehr tot, er lebt! Etwas, das ich sehr an den Ostkirchen liebe, ist ihr Ostergruß: Christos anesti bei den Griechen, Christos voskres bei den Russen – Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden!


Buchtipp:

Michael Hesemann
Das Bluttuch Christi
Wissenschaftler auf den Spuren der Auferstehung
München (Herbig) 2010
€ 20,60

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