Können wir der Kirche vergeben?

26. März 2010 in Spirituelles


Die langen Schatten des Missbrauchskandals - Ein Gastkommentar von P. Max Cappabianca O.P., Rom/Vatikan


Rom (kath.net/Liborius.de)
Die Empörung über die katholische Kirche ist groß. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es auch in evangelischen oder staatlichen Institutionen Übergriffe gab: Der moralische Anspruch ist hoch, umso tiefer ist der Fall. Viele Katholiken leiden daran, sie schämen sich für die schrecklichen Verbrechen, die von Geistlichen an unschuldigen Kindern verübt wurden.

Die Opfer sind voller Wut, weil sie das Gefühl haben, dass die Reue der Kirche halbherzig ist. Kirchenvertreter entschuldigen sich immer wieder. Es wirkt wie das Medienritual bei Politikern, die sich dann erst entschuldigen, wenn man nicht mehr leugnen kann. Die kurzen Verjährungsfristen tun ihr übriges.

Journalisten wird aus den Reihen der Kirche der Vorwurf gemacht zu hetzen und auf dem Rücken der Opfer die Kirche als ganze diskreditieren zu wollen. Tatsächlich herrscht hier Gnadenlosigkeit: Die Medien wollen Köpfe rollen sehen. Solange Kirchenvertreter – den Splitter im eigenen Auge nicht sehend – darüber wehklagen, heizt dies die Stimmung nur noch weiter an, und die Empörungswelle ebbt nicht ab. Wie kann ein Gläubiger in so einer Situation noch zur seiner Kirche stehen?

Wie die Schuld sühnen?

Es steckt eine tiefere Problematik dahinter: Ist Sühne überhaupt möglich? Sexueller Missbrauch hinterlässt so tiefen Wunden, dass Wiedergutmachung oder gar Versöhnung nicht vorstellbar scheint. Die Gnadenlosigkeit der Medien ist meines Erachtens nicht so sehr der feindlichen Gesinnung der Kirche gegenüber geschuldet, sondern der Ohnmacht angesichts der geschehenen Verbrechen.

Die medialen Entschuldigungsrituale mancher Kirchenvertreter haben auch deswegen einen schalen Beigeschmack, weil man sich selber nicht entschuldigen kann, sondern nur um Verzeihung bitten. Doch woher soll das Opfer die Kraft zur Vergebung finden?

Wer nicht an Vergebung glaubt, muss Rache nehmen. Das ist eine traurige Wahrheit, die klar macht, warum so viele Menschen für Pädophilieverbrechen die Todesstrafe fordern.

Es gibt kein Recht auf Vergebung

In einem Zeitungskommentar fragte ein Journalist, warum es gerade der Kirche, die doch eine auf Ehrlichkeit und Buße gründende Institution ist, so schwer fällt, mit der Frage nach Schuld und Sühne umzugehen.

Die tiefere Wahrheit dahinter: Sühne und Vergebung sind nicht Menschenwerk! Christen glauben, dass die Vergebung des Opfers eine Gnade ist, die uns übersteigt. Aus uns selber haben wir die Kraft nicht. Auch hat kein Täter Anrecht auf Vergebung. Sie muss gewährt werden.

Kein menschliches Opfer, auch keines von den Medien gefordertes, hat die Kraft, die Missbrauchsfälle zu sühnen. Christen glauben vielmehr, dass allein Gott das Unmögliche vollbringt: Er ist selber – am Kreuz – zum Sühnopfer geworden. Deswegen ist Christus „unsere Versöhnung“.

Für Christen gibt es keine billige Vergebung

Wer allerdings die kirchliche Bußlehre kennt weiß, dass es für Christen keine billige Vergebung gibt.

* Es geht nicht ohne das vollständige Bekenntnis der eigenen Schuld. Wie sollte der auf Vergebung hoffen, der immer noch etwas verschweigt?

* Ein Christ sündigt, wenn er schuldig wird, immer auch gegen Gott, weil Gott barmherzig und zugleich gerecht ist. Daher muss auch die Reue vollkommen sein: Es reicht nicht, die Schuld zu bekennen aus Sorge um den eigenen Ruf oder wegen des öffentlichen Drucks.

* Schließlich weiß die Tradition der Kirche, dass es nicht ohne Buße geht, die aber nur Wiedergutmachung ist – soweit es eben geht – und die keinesfalls Vergebung und Versöhnung erzwingen kann.

All dies reinigt den Menschen, Verzeihung der Sünden gewährt aber allein Gott: So wird Versöhnung unter den Menschen möglich.
Was der Papst wirklich will

Vielleicht sind die gegenwärtigen Zeiten eine Chance – für die Bischöfe, die Priester und jeden einzelnen Gläubigen. Die Scham und Resignation in den Reihen der Kirche zeigen: Wenn ein Glied leidet, leiden alle mit. Die Kirche ist heilig, ihre Glieder aber sind Sünder und müssen Buße tun. Buße tun fällt schwer, und das ist sehr menschlich.

Wer den Papstbrief liest, wird feststellen, dass Benedikt XVI. der Kirche in Irland als ganzer zu einer einjährigen Bußzeit eingeladen hat. Indem er nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter direkt anspricht, nicht nur die Bischöfe, sondern auch die einfachen Gläubigen, erweist er sich als wahrer Seelsorger, der die Menschen zu Gott und so zur Versöhnung führen will.
Die „Gnade des Nullpunkts“

Es gibt – seit Golgatha – so etwas wie die „Gnade des Nullpunkts“, der einen echten Neuanfang möglich macht. Katholische Christen sollten daher der Schande nicht ausweichen. Der Gekreuzigte hat dies auch nicht getan. Es ist, wichtig gerade jetzt als Gläubiger zur Kirche zu stehen.

Hören wir also auf, uns selber zu „entschuldigen“, sondern tun wir Buße und bitten wir die Opfer um Verzeihung – in der Hoffnung, dass die Bitte eines Tages angenommen wird.

Das wirkmächtigste „Argument“ ist hier tatsächlich nicht die Beteuerung, dass einem alles Leid tut, sondern die Demut. Und die gewinnt man im Gebet zu Gott. Und wenn die Opfer wie Täter in ihrem Leid verstummt sind, dann ist unser stellvertretendes Gebet „not“-wendig. Allein das kann echte Sühne bewirken. Letztlich werden nur dann alle Bemühungen der Kirche um Wiedergutmachung – Entschädigungszahlungen, Runde Tische, Angebote für Opfer usw. – wirklich glaubwürdig sein.

JA! zur Kirche".

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