Das Gleichnis vom barmherzigen Vater und verlorenen Sohn

11. März 2010 in Spirituelles


Betrachtung zum 4. Fastensonntag im Jahreskreis von P. Dr. Bernhard Sirch


Innsbruck (kath.net)
C - 4. Fastensonntag, Betrachtung zum Ev. Lk 15, 1-3.11-32: *14.3.2010 Erzabtei Beuron Schott

Das Gleichnis vom barmherzigen Vater und verlorenen Sohn, das wir heute im Evangelium gehört haben, ist wohl eines der schönsten und ergreifendsten Gleichnisse Jesu. Denn in diesem Gleichnis kommt eine tiefe, unerschütterliche Liebe des Vaters zu uns sündigen Menschen zum Ausdruck. Wichtig für das Verständnis des Gleichnisses ist der Kontext, sind die Umstände, unter denen Jesus das Gleichnis erzählt.
Dem Gleichnis vom verlorenen Sohn gehen zwei Gleichnisse voran: das Gleichnis vom verlorenen Schaf, dem der Hirte nachgeht bis er es findet, und das Gleichnis von der verlorenen Drachme, die eine Frau sorgfältig sucht und dabei das ganze Haus umkehrt. Allen drei Gleichnissen gemeinsam ist die Grundaussage der heiligen Schrift: Gott geht den verirrten Menschen nach, bis er sie findet. Das ist auch die Aufgabe Jesu: ich bin gekommen, zu suchen, was verlorenen war. So lautet auch die Einleitung zu den eben genannten drei Gleichnissen: Alle Zöllner und Sünder kamen zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und Schriftgelehrten dagegen empörten sich und sagten: er lässt sich mit Sündern ein und isst sogar mit ihnen. Diesen Zöllnern und Sündern, denen Jesus nachgeht und die zu Jesus kommen, erzählt nun Jesus das Gleichnis vom verlorenen Sohn.

"Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Da teilte der Vater das Vermögen auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen" (Lk 15, 11-13). Ging es uns nicht auch schon so wie dem jüngeren Sohn, dass wir am liebsten alles hinter uns abbrechen wollten, um das Glück woanders zu suchen? Im Leben jedes einzelnen Menschen ist nun einmal eine dumpfe unausrottbare Sehnsucht nach Glück. Mit allen Mitteln sucht der Mensch dieses Glück zu ergreifen: die Fahrt in ein fremdes Land, der Totogewinn, der eigne Wagen, der sexuelle Genuss... Soll aber das die Endstation Glück sein? Wie viele glückliche Menschen müsste es dann geben! Trotz des Wohlstandes, den wir erreicht haben, sieht man in den Straßen der Großstädte unendlich viele unglückliche Gesichter herumhetzen. Man möchte diesen Menschen zurufen: Ihr lauft ja gerade verkehrt, es sind Irrlichter, denen ihr nachrennt: Das Glück liegt in entgegengesetzter Richtung - nicht da, wohin Gier und Hunger euch reißen, und was euch die Werbefachleute mit den raffiniertesten Methoden der Psychologie in Film und Fernsehen einimpfen.

Der verlorene Sohn droht unterzugehen. Die drückende Not, in die der Sohn rasch stürzte, schildert Jesus in Bildern, die dem jüdischen Zuhörer verständlich sind: Der Sohn muß Schweine hüten, damit die in jenem Land ausbrechende Hungersnot für ihn nicht zur Katastrophe wird. Für einen Juden, den Sohn einer guten Familie war der Dienst eines Schweinehirten die tiefste Erniedrigung, die kaum noch zu überbieten ist. Auf die Misslichkeit seiner Lage deutet weiter hin, dass ihm die schwer verdauliche Frucht des Johannisbrotbaumes, die den Schweinen vorgeworfen wird, zu einem begehrten Nahrungsmittel wird. Und da niemand ihm davon gibt, muß er stehlen, will er nicht elend verhungern. In diesem Zuge des Gleichnisses mag ein jüdisches Sprichwort nachklingen: "Wenn der Jude auf die Frucht des Johannisbrotbaumes angewiesen ist, dann kehrt er um. Nun "kehrt" auch der verlorene Sohn um. Im Evangelium heißt es: "Da ging er in sich" (Lk 15, 17), da begann er nachzudenken. Nehmen wir uns überhaupt Zeit zum Nachdenken? Vielleicht fürchten wir uns sogar selber vor einer Zeit der Stille, in der wir nachdenken könnten, in der wir in unser Innerstes schauen könnten.

Der verlorene Sohn begann nachzudenken und entschließt sich zur Umkehr. Das Wort "umkehren", den bisherigen Weg aufgeben, verdeutlicht in einzigartiger Weise, was "Buße" ist. Der Sohn kehrt um, er will wieder heim zu seinem Vater und ihm sagen: "Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner" (Lk 15, 18.19). Der Sohn weiß genau, dass er die Schuld nicht einfach auslöschen kann; er kann nicht einfach das Rad seines Lebens um ein paar Jahre zurückdrehen, als wäre nichts geschehen. - Wie oft kommen auch wir in Situationen, wo wir das Rad der Zeit zurückdrehen möchten, wo wir uns sagen müssen: hätte ich doch das nicht getan, wie konnte ich auch nur das tun! In unserer Hand liegt es nicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen, aber in unserer Hand liegt es "umzukehren", nicht einfach resigniert aufzugeben, sondern die Fehler einsehen, in sich gehen und dann "niemals an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln", wie uns der hl. Benedikt sagt. Entscheidend für Gott sind nicht unsere Fehler, die wir begangen haben und immer wieder begehen, sondern entscheidend vor Gott ist es, ob wir immer wieder die Kraft aufbringen, aufzustehen, umzukehren.

Der verlorene Sohn kehrt um, er bricht auf zu seinem Vater. Und nun kommt eine wunderbare Stelle, wie die Heimkehr des Sohnes geschildert wird. Es heißt nicht einfach, dass der Sohn in das Haus seines Vaters kam, sondern: "Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm" (Lk 15, 20). Der Vater lässt also den Sohn nicht erst in kühler Zurückhaltung herankommen und noch weniger weist er ihn mit Zorn und Empörung ab, sondern von Liebe und Mitleid überwältigt, eilt er dem in die Irre gegangenen Sohn entgegen.

Man muss Mutter, Vater sein, um diese Situation zu verstehen. Wie viele Eltern würden heute ähnlich handeln, und wären überfroh, wenn die Kinder wieder nach Hause kommen würden. Nur eines ist jetzt überschwänglich: die Freude, dass das Kind wieder zurückkehrt. Wie oft haben Vater und Mutter nachgedacht: was habe ich an der Erziehung falsch gemacht? Viele Nächte waren ein Raub der Sorgen, anstelle eines erholsamen Schlafes. Es wäre wohl auch gut, wenn sich die Kinder in die Lage der Eltern versetzen würden oder wenigstens erahnen würden, welche Sorgen sich die Eltern machen, bzw. gemacht haben.
Doch zurück zu dem verlorenen Sohn im Evangelium Jesu, bzw. die liebevolle Aufnahme durch den Vater. Nach all dem was er getan hat, hätte er sich seine Rückkehr zu seinem Vater nicht vorstellen können, der seinen Sohn sehnsüchtig erwartet, der ihn schon von weitem sieht, als er schließlich heimkehrt? Kein Wort des Vorwurfs, kein „warum hast du das getan?". Der barmherzige Vater ist im Mittelpunkt der Erzählung Jesu. Dieser barmherzige Vater ist auch für unsere Zeit das Vorbild eines Vaters schlechthin.

Überlegen wir einmal: Wie oft haben wir schon, wenn wir in tiefer Not waren, auf so einen entgegeneilenden Vater gewartet! Vielleicht waren wir sogar schon soweit verstockt, dass wir nur dann bereit waren, aus unserem Versteck, aus unserer Verbohrtheit herauszutreten, wenn uns jemand entgegenkam. Viel neuen Mut und Kraft kann ein Mensch, der umkehren will, wieder schöpfen, wenn ihm jemand entgegen kommt, wenn ihn wenigstens ein Mensch noch nicht aufgegeben hat, wenn er nicht einfach beiseite gestoßen wird und gleichgültig übergangen wird mit der Bemerkung, mit dem ist sowieso nichts mehr zu wollen. Wie viele "beiseite Gestoßenen" gibt es heute in Kirche und Staat! Umso ergreifender ist es, wenn die Seele erfahren darf, der gütige Vater nimmt mich auf.

Der Vater in unserem Gleichnis überhäuft den Sohn mit Beweisen seiner unerschütterlichen Liebe. Was mag da in dem Sohn vor sich gegangen sein: so hatte er sich das Wagnis seiner Rückkehr nicht vorgestellt. "Der Vater lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn... Der Vater sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand, und zieht es ihm an, steckt ihm einen Ring an die Hand" (Lk 15, 20.22). Der Ring befugte den Sohn zur vollmächtigen Vertretung des Vaters. Der Vater hat seinen Sohn wieder als Sohn angenommen. Auch wir sind, trotz unserer Sünde und Schuld wieder Töchter und Söhne, Kinder Gottes und dürfen Gott unseren Vater nennen.

Im Gegensatz zum liebenden Vater steht das Verhalten des zürnenden Bruders. Er verkörpert die eiserne Härte der Menschen, die nicht verzeihen können. Manch ein Sünder hat seine Sünde bereut und gebeichtet und ist innerlich wieder froh geworden; aber in diese Freude brechen die Menschen ein, indem sie das Unrecht immer wieder von neuem vorhalten und gleichen so dem älteren Sohn. Er protestiert: hier ein Fest zu feiern, hier zu verzeihen, ist gegen alle Ordnung. Er ärgert sich. Sein Zorn richtet sich nicht nur gegen den Bruder. Dem Vater wirft er vor: So hättest du ihn nicht behandeln dürfen, das war nicht recht. Auf diesen Vorwurf antwortet der Vater: "Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden" (Lk 15, 31.32). Hier ist nicht mehr von Recht und Gerechtigkeit die Rede. Der Vater zeigt seine Liebe. Er ist glücklich über die Heimkehr des verlorenen Sohnes, er nimmt den Sohn trotz der Schuld, die er auf sich geladen hat, wieder auf. Für uns ist es tröstlich zu wissen, dass es im letzten nicht auf den Zorn des Bruders, auf das Urteil, auf die Verdammung der Mitmenschen ankommt, sondern auf die Liebe Gottes. Kein Mensch könnte vor Gott bestehen, wenn Gott das Recht walten ließe. Die Kirche betet am Grabe eines Toten: "Würdest Du, Herr, der Sünden gedenken, Herr, wer könnte dann vor dir bestehen?" (Ps 130,3). Der verlorene Sohn begibt sich als Sünder bedingungslos in die Hand des Vaters, der ihn in Liebe aufnimmt.

Gott sucht ja das, was verloren war: den verlorenen Sohn, das verirrte Schaf, die verlorene Drachme. Der Vater lässt für den Sohn zum Zeichen der Versöhnung ein Mahl bereiten. Auch in der Einleitung zu den drei
Gleichnissen ist von einem Mahl die Rede: Jesus isst mit den Zöllnern und Sündern. Jesus bietet dieses Mahl der Versöhnung, wie der Vater dem verlorenen Sohn, auch den Zöllnern und Sündern an. Er will auch jeden von uns, zu seinem Mahl einladen. Unsere Haltung darf aber nicht die der Schriftgelehrten und Pharisäer, des zürnenden Bruders sein, sondern die des verlorenen Sohnes, der sich in tiefem Bewusstsein seiner Schuld vor den Vater hinwirft. Und so beten auch wir vor dem Empfang der göttlichen Opferspeise: "Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund".

Der Kommentar von P. Dr. Bernhard Sirch zum nachfolgenden Sonntag erscheint jede Woche am Donnerstag auf kath.net. Der Autor freut sich über Rückmeldungen im Kommentarbereich des Artikels oder per email an pater.bernhard[@]kath.net - Homepage: www.pater-bernhard-sirch.de


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