Dummgeglotzt - Wie das Fernsehen uns verblödet

23. Juli 2009 in Interview


Kath.Net-Interview mit Dr. Alexander Kissler über sein neues Buch


München (kath.net)
Kath.Net: Der Titel Ihres neuen Buches lässt keine Frage offen: Wer fernsieht, der verblöde, ja der glotze sich dumm. Der erste Satz lautet dann aber „Ich mag das Fernsehen.“ Wie passt das zusammen?

Kissler: Diesmal setze ich bei persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen an – im Gegensatz zu meinen bisherigen Büchern. Um die Jahrtausendwende schrieb ich regelmäßig für das Medienressort der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, davor hatte ich Medienwissenschaften studiert. Insofern fühle ich mich dem Medium seit langem verbunden, habe ich mich geradezu an das Fernsehen gewöhnt. Als dann Ende 2008 durch den Eklat um Marcel Reich-Ranicki und den Fernsehpreis eine Qualitätsdebatte entbrannte, habe ich mich gefragt: Mit welcher Haltung konsumierst du eigentlich das Fernsehen? Und ich kam zum Ergebnis, dass meine Gewöhnung an eine Bedingung geknüpft ist, die das Fernsehen nicht gerne hört: Ich nehme es nicht ganz ernst. Das Fernsehen aber will unbedingt und mit aller Macht ernst genommen werden. Und wenn man es ernst nimmt, ist es sehr oft nicht mehr lustig, sondern schrecklich, mitunter auch gefährlich. Im Zuge des Schauens und Schreibens relativierte sich der Eingangssatz – ohne dass ich mich der Faszination immer entziehen könnte.

Kath.Net: Sie spielen hier auf den Gegensatz von Sein und Schein an. Die Authentizität des Fernsehens ist demnach immer künstlich. Aber deswegen führt das Betrachten doch nicht automatisch zum Verblöden, oder?

Kissler: Unter Verblödung verstehe ich den Verlust der eigenen Unterscheidungsfähigkeit. Wer sich so dauerhaft berieseln lässt, wie es weite Teile unserer Gesellschaft tun – durchschnittlich knapp vier Stunden pro Tag –, der gibt sein Recht auf Selbstbestimmung schleichend aus der Hand. Irgendwann ist es dann das Fernsehen, das widerspruchslos definiert, was als wahr, als relevant, sogar als richtig oder falsch zu gelten hat. Das Fernsehen beruht nämlich auf einem klar definierten Kanon der Werte und der Haltungen – gerade da, wo es ganz moralfrei erscheint. Diesen oft nur subkutan vermittelten Kanon möchte ich offen legen. Er beruht zu einem großen Teil auf einem Kult der Stärke und der Oberfläche, auch auf Maximen der Selbstoptimierung durch Arbeit am eigenen Fleisch. Der Mensch, den das Fernsehen über weite Strecken verhandelt, besteht ausschließlich aus Fleisch und Hormonen. Dieser Reduktionismus, in dem das Geistige keinen Platz hat, kann nicht ohne Folgen bleiben für die Welt, in der wir alle leben.

Kath.Net: An welche Formate denken Sie?

Kissler: Drastisch tobt dieser sozialdarwinistische Reduktionismus sich in den eminent erfolgreichen Castingshows und den „Dokusoaps“ der privaten Anbieter aus, etwa bei „Germany’s next topmodel“ oder „Deutschland sucht den Superstar“, im „Dschungelcamp“ oder in den zahlreichen Nachmittagssendungen wie „Zwei bei Kallwass“, „Mitten im Leben“ oder „U 20 – Deutschland, deine Teenies“. Alle diese Formate werden von einem jungen Publikum besonders nachgefragt. Gerade in der Pubertät kann so eine Ideologie Wurzeln schlagen, derzufolge der Körper eine Waffe ist im Kampf um Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeit wiederum die einzige global akzeptierte Währung.

Kath.Net: Ihr Buch ist an vielen Stellen eine Chronik der jüngsten Fernsehgeschichte. Das liest sich amüsant, man kommt ins Schmunzeln oder zum Lachen. Zugleich ist man erleichtert, dass man – um ein Beispiel zu nennen – nachmittags um halb drei nicht Zeuge war, als ein Liebespärchen in alle Ausführlichkeit seine „Orgasmuskurven“ besprach. Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht reicht, den Fernseher ausgeschaltet zu lassen. Warum soll ich mich mit solchen oft erheiternden, manchmal schockierenden Inhalten beschäftigen?

Kissler: Darauf gibt es mindestens zwei Antworten, eine strikt säkulare und eine christliche. Die säkulare lautet: Wir alle werden tagtäglich in Konflikte oder in Gespräche verwickelt, die das jeweilige Gegenüber nach genau solchen Parametern gestaltet, wie sie das Fernsehen ihm vorgibt; gemäß des erwähnten Kults der Stärke und der Oberfläche etwa, der Maximen des Fleischs und der Egolatrie. Deshalb geht das Fernsehen uns alle an, deshalb sollten gerade die Fernsehverweigerer Bescheid wissen. Das christliche Argument lautet: Es gibt kein fremdes Leid. Hochgradig zynisch wäre es, ein Elend zu tolerieren, weil es das Elend der anderen ist. Zynisch wäre es, buchstäblich wegzuschauen, wenn in Millionen Wohnzimmern Zynismus gepredigt wird. Es kann niemandem egal sein, aus welchen Quellen sich ein Welt- und Menschenbild speist, das zur Grundlage unseres Umgangs miteinander geworden ist. Die Erzählmuster und die Stoffe des Fernsehens bestimmen die Agenda wie die Rhetorik der öffentlichen Debatten.

Kath.Net: Sie reden aber jetzt nur vom sogenannten „Prekariatsfernsehen“ Oder weiten Sie das Urteil auch auf den Bereich von ARD und ZDF aus?

Kissler: Natürlich gibt es Formate, die, in Maßen genossen, weder verblöden noch zur Egolatrie verführen, und natürlich findet man solche Formate eher bei den öffentlich-rechtlichen Anbietern. Aber in den letzten Jahren hat sich der Systemgraben zunehmend geschlossen. ARD und ZDF machen längst mit bei der Jagd nach mehr Gefühligkeit und weniger Information. Kitsch, Kommerz und Klimbim findet man dort in einem Umfang, der an der Sinnhaftigkeit der jährlich über sieben Milliarden Euro an Gebührengeldern zweifeln lässt. Beide machen kräftig mit bei der Verwandlung von Journalismus in Gefühlsmanagement. Ich versuche das darzulegen anhand der desaströsen Berichtererstattung von ZDF und ARD zum Amoklauf von Winnenden und anlässlich der Amtseinführung von Barack Obama.

Kath.Net: Ihr Buch endet mit einer kabarettreifen Szene: Kissler auf dem Betroffenheitssofa von „Anne Will“. Das Fernsehpersonal, das Sie zuvor porträtiert haben, erscheint der Reihe nach, vom Fernsehkoch zum Schuldnerberater, vom Schönheitschirurg zur Hartz-IV-Fernsehfamilie. Die Szene endet mit dem Stoßseufzer: „Nein, das Leben ist keine Jagd nach Aufmerksamkeit, in dem das Fernsehen bestimmt, welche Werte und welche Haltungen als normal gelten. Leben bedeutet nicht, die Gabe der Unterscheidung abzutreten an das Fernsehen und so schleichend das eigene Denken einzustellen.“ Was also raten Sie?

Kissler: Es liegt mir fern, globale Ratschläge zu erteilen. Grundsätzlich aber ist es nie verkehrt, das eigene Verhalten fortwährend zu reflektieren. Es wäre schon viel gewonnen, jeden Griff zur Fernbedienung wieder als einen bewussten Akt zu begreifen, dem eine Entscheidung vorausgeht. Nicht schaden könnte es auch, wenn Eltern genauer hinschauen, was da auf den Fernsehschirmen nachmittags verhandelt wird. Ich ermuntere auch, versuchsweise den eigenen Fernsehkonsum zu halbieren. Es handelt sich beim Fernsehschauen um den Konsum eines industriell gefertigten Massenprodukts, das ohne jede Folgenabschätzung uns, den Produktbenutzern, vorgesetzt wird. Da liegt es, wie bei allen zweifelhaften Produkten, am Konsumenten, auf seine Rechte zu pochen und sich nicht mit minderer Ware abspeisen zu lassen. Und schließlich ist das Fernsehen komplett auf Gegenwärtigkeit angelegt, ja geradezu auf eine Auslöschung des Gedächtnisses. Wer ihm also seine eigene Geschichte vorhält, der wird frei vom einengenden Zwang zur Gegenwärtigkeit. Mein Buch will da einen Beitrag leisten.

Kath.Net-Buchtipp:

Dr. Alexander Kissler
Dummgeglotzt - Wie das Fernsehen uns verblödet

1. Auflage 2009
192 S. Klappenbrosch.
Format: 13,5 cm x 21,5 cm
EUR 17,50
Gütersloher Verlagshaus




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