Eine merkwürdige Wut gegen die Tradition

2. Juli 2009 in Interview


Ein Welt-Interview mit Prof. Klaus Berger über den Heiligen Paulus und das Paulusgrab


Welt (kath.net/DieWelt)
WELT-online: Professor Berger, Sie haben die Briefe und das Leben des Apostels Paulus Jahrzehnte lang erforscht. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie hörten, dass nun eine ersten Sondierung vom Innern des Sarkophages vorgenommen worden ist, in dem er begraben wurde?

Klaus Berger: Mein erster Gedanke war der, dass damit jetzt die Gleichberechtigung von Petrus und Paulus vollendet wurde. Nach dem Petrusgrab unter Sankt Peter hat man nun wirklich auch das Paulusgrab gefunden. Deshalb haben die beiden nun endlich wieder gleiches Recht bekommen vor den Augen der Geschichte und der Spötter.

WELT-online: Spötter waren nun aber auch schnell wieder da, die sich über den Kalk im Grab lustig machen wollten, oder andere, die sagten, es beweise doch gar nichts, dass da auch ein paar alte Knochen gefunden wurden.

Berger: Interessant war für mich die Entdeckung des Purpurs. Denn Purpur war die Farbe der Märtyrer. Die Menschen, die Paulus mit Purpur begraben haben, haben das getan, weil er ein Märtyrer der Kirche ist. Die alten Hymnen reden nicht vom Rot des Blutes, sondern vom Purpur des Blutes. Daher ist das ein starkes zusätzliches Indiz für die Authentizität. Vielleicht hat man hin und wieder auch einen römischen Senator mit Purpur begraben. Märtyrer jedenfalls ganz bestimmt. Und ein Senator wurde in diesem Grab bestimmt nicht verehrt.

WELT-online: Und was sagt Ihnen das Gold?

Berger: Das Gold hängt zusammen mit der Krone des ewigen Lebens, die Petrus und Paulus – wie alle Märtyrer – erlangt haben. Die Krone des Märtyriums ist schon ein Ausdruck im Neuen Testament - und danach darüber hinaus in der ganzen alten Kirche.

WELT-online: Und das Blau?

Berger: Heute ist das Blau die Farbe Mariens. Damals war es vor allem die Farbe des Himmels. Wenn damals der Himmel beschrieben wurde, dann nicht mit weißen und grauen Wolken wie in Norddeutschland, sondern blau. Das Blau deutet auf den Himmel als Aufenthaltsort der Seligen und Heiligen hin. Außerdem war Blau damals – und bis ins hohe Mittelalter - die kostbarste Farbe überhaupt. Das Lapislazuli wurde später Ultramarin genannt, weil es aus dem Orient, von jenseits des Meeres, heran geschafft werden musste.

WELT-online: Und was sagen Sie zu dem Weihrauch, der im Grab gefunden wurde?

Berger: Weihrauch ist eine Gabe, die nur Gott gebührt und den Heiligen und Seligen, die ihn repräsentieren, wie es in der katholischen Liturgie heißt. Und jedenfalls nicht dem Kaiser. Darum gab es ja auch die ersten tödlichen Konflikte der=2 0jungen Christenheit, weil sie sich weigerten, dem vergöttlichten Kaiser auch nur ein Krümelchen Weihrauch zu opfern. Die christliche Verweigerung gegen den Weihrauch für die Kaiser war von Anfang an eine lebensgefährliche Entscheidung gegen die Vergottung der kaiserlichen Herren des römischen Weltreiches. Weihrauch wollten die frühen Christen nur Gott selbst zur Verehrung vorbehalten – und eben seinen Heiligen, die dem wahren Gott ihr Leben geweiht hatten. Weihrauch im Grab des Paulus heißt also: hier wurde ein Heiliger begraben. Hier wurde jemand begraben, dessen Heiligkeit unbestritten war.

WELT-online: Wie erklären Sie die Widerstände gegen diese Entdeckung? Wie erklären Sie, dass es gegen die uralte Tradition der Identität des Paulusgrabes sofort Stimmen laut werden, die sagen, das sei doch nur ein beliebiges Grab.

Berger: Große Widerstände kommen natürlich daher, dass man inzwischen weder die altkirchliche Liturgie kennt noch die altkirchliche Archäologie, und dass der Sinn für die leibliche Gegenwart der Heiligen in der katholischen Kirche verloren gegangen ist – also für jenes Element, das jedem Altar jeder katholischen Kirche noch eingemauert wurde. In jedem Altar liegen noch Knochen von Heiligen im so genannten „Sepulchrum“. Jeder Altar ist also auch ein kleines Heiligengrab. Sonst darf er gar nicht geweiht werden. Das wissen inzwischen aber selbst viele katholische Priester nicht mehr. Trotzdem gibt es immer noch Reliquien in jedem Altar. Die völlige Vergeistigung des Christentums ist aber ein typische Merkmal des 19. Jahrhunderts. Mit den materiellen leibhaften Ursprüngen hat das nichts mehr zu tun. Erst im 19. Jahrhundert hat man sich intensiv von der Leiblichkeit abgewendet. Doch nun zeigen diese Funde – sowohl des Petrusgrabes wie die des Paulusgrabes – eben wieder genau dies: Rom wurde bedeutend, weil es die Gräber der beiden Apostel hatte, egal, was Petrus und Paulus hier noch im Einzelnen gewirkt haben. Entscheidend für die alte Kirche war die Existenz dieser Gräber. Damit waren ihre Ursprünge leibhaftig zu fassen.


WELT-online: Was sagt die Tradition denn sonst noch zu der Identität des Paulusgrabes?

Berger: Dass Paulus in Rom geköpft wurde, ist seit Ende des 1. Jahrhunderts bezeugt. Von seinem Grab an der Via Ostiense berichten Quellen aus dem 2. Jahrhundert. Im 4. Jahrhundert ließ Kaiser Konstantin sein Grab auf dem Friedhof mit einer Basilika überbauen, was damals eine schwere Verletzung gegen die antike Sitte der strikten Totenruhe war. All dies deutet auf das Grab des Paulus hin. Denn von einem anderen bedeutenden Toten, für die der Kaiser diesen Konflikt mit der Bevölkerung riskiert hätte, war hier nie die Rede. Es gibt hier aus der Antike keine Konkurrenz zu Paulus. Und seit dem Jahr 394 wurde der Sarkophag, dessen Geheimnis jetzt durch eine erste Sondierung erstmals ein wenig gelüftet wurde, überhaupt nie von d er Stelle bewegt. Seit damals blieb der Sarkophag hier verschlossen.

WELT-online: Fügt diese neue Entdeckung Ihren Erkenntnissen denn nun noch etwas hinzu, was Sie vorher noch nicht gewusst hatten?

Berger: Ich will jetzt in den Paulus- und Martyriums-Akten nachschauen und bin gespannt auf den Text, in dem das Begräbnis des Paulus geschildert ist. Da gibt es genug apokryphe Akten. Ich wollte gestern Abend schon nachschauen, aber kam vor der Abreise nach Rom nicht mehr dazu. Denn da könnte durchaus etwas stehen, auf das ich jetzt schon gespannt bin – und auf jeden Fall in den vielen Akten der Alten Kirche. Da gibt es viele Zeugnisse über die Märtyrer, die nicht alle von einer Quelle abhängig sind. Vieles davon ist noch nicht oder nur kaum erforscht und ich bin sicher, dass man da noch etwas findet, was diesen Fund ergänzt und noch differenzierter betrachten lässt.

WELT-online: Wie erklären Sie in der aktuellen Debatte eigentlich den Generalverdacht gegen fast jede Überlieferung?

Berger: Es gibt seit rund 200 Jahren einen grundsätzlichen Betrugsverdacht gegen die Überlieferung, der manchmal in eine fast schon absurde Verachtung der Tradition umschlägt, wie eben hier, wo fast 2000 Jahre lang selbstverständlich davon ausgegangen wurde, dass Paulus eben dort begraben lag. Wie soll man das erklären? Oft wischt man vor allem das weg, was einem gefährlich nahe kommt. Eine merkwürdige Wut gegen die Tradition wird auch oft dadurch genährt, dass geahnt wird, dass sie Verbindlichkeiten für die Menschen enthält. Dass sie Wahrheiten verkündet, die bis ins erste Jahrhundert zurück reichen, die heute keiner mehr akzeptieren mag . Dann mit solchen Wurzeln einer Wahrheit ist es schwieriger, diesen Verbindlichkeiten einfach auszuweichen. Im Fall des Paulusgrabes ist manche Wut gegen diese Entdeckung also auch oft ein weiteres Indiz für die Bedeutung dieser Funde - und für die Bedeutung der Tradition überhaupt.

WELT-online: Sie sind etymologisch - das heißt in der Herkunft der Begriffe - bewandert. Woher kommt das deutsche Wort Vernunft? Kommt es nicht von vernehmen? Transportiert dieser Kernbegriff der Aufklärung also in sich schon das Vernommene – und nicht so sehr das Erdachte und Ausgeklügelte? Muss demnach nicht also gerade die Tradition noch einmal neu als Rückgrat der Vernunft verstanden werden?

Berger: Das ist richtig. Der Begriff der Vernunft beinhaltet in sich die Tradition und Überlieferung. Vernunft ist ursprünglich das Vernommene, s o wie die Ankunft das Angekommene umfasst. Ab dem 19. Jahrhundert aber wollte man das anders sehen. Von da an wurde gesagt, die Vernunft sei die aktuelle Offenbarung und alles andere sei nichts mehr wert. Insbesondere seit Hegel die Vollendung des Weltgeistes im Zeitgeist der Geschichte entdecken wollte, kam die Meinung auf, auch die biblische Offenbarung sei zu ersetzen durch die akute aktuelle Offenbarung der Vernunft. Tatsächlich wurde der Begriff der Vernunft damit pervertiert und in einer Weise vergöttlicht, die in der Französischen Revolution darin gipfelte, dass man die Vernunft auf dem Altar von Notre Dame tanzen ließ – als Vorspiel zu dem gut geölten Klacken der Guillotine auf den Plätzen von Paris. So ging es zu mit der ersten Vergöttlichung einer falsch verstandenen Vernunft. Das hat enorm viele Opfer verlangt und der Aufklärung selbst den allergrößten Schaden zugefügt. Am Ende der Neuzeit stellen wir nun verwundert fest, dass wir nach der Abschaffung aller Traditionen einem praktischen Nihilismus ausgesetzt sind. Der Begriff der Tradition ist darüber zusammen geschrumpft, dass in großen Zeitungen immer noch über Spuren von Marxismus und Materialismus diskutiert wird, als sei nichts geschehen. Gegenüber der christlichen Tradition der Ost- und in der Westkirche ist das allerdings alles sehr, sehr mickrig.

WELT-online: Kommen wir noch einmal zurück auf Paulus. Kann die Entdeckung dem Wissen über Paulus noch irgendetwas hinzufügen, das nicht ohnehin bekannt war?

Berger: Bis jetzt wird Paulus fast nur in Fragmenten wahrgenommen und rezipiert. Sünde und Gnade, Glaube und Werke, die Rechtfertigunglehre, das ist es schon fast – im Grunde ist es ein kleines Segment aus dem Römer- und Galaterbrief. Wenn man solche neuen Funde aber wirklich wirken lässt in der Geschichte, dann wird Paulus noch einmal neu leibhaftig. Dann tritt er plötzlich wieder als hochkomplexer Mensch auf uns zu – mit einer enormen Herausforderung. Vorhin hat es der Papst auf dem Petersplatz gesagt: bei Paulus geht es um den Menschen in seiner leibhaftigen Existenz. Das wird durch solche Funde ungemein plastisch. Diese Entdeckung ist ein Korrektiv gegen eine Debatte der letzten 500 Jahre, die von einem eher sehr mageren Dualismus völlig zerfetzt wurde.

WELT-online: Sie haben den Papst danach getroffen. Was hat er Ihnen gesagt?

Berger: (lacht) Ich solle weiter machen.


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