Gewissen und Lehramt – ein Balanceakt

28. März 2009 in Spirituelles


"Wahr ist, dass man auf äußere Lehrer und Prediger hören muss, aber nur der, zu dem der Heilige Geist in seinem Innersten spricht, wird verstehen, was gesagt wird, und daraus Vorteil ziehen." Dritte Fastenpredigt von P. Raniero Cantalamessa OFM cap.


Rom (kath.net/Zenit) „Die Leitung des Geistes wird nicht nur in den großen Entscheidungen, sondern auch in den kleinen Dingen erfüllt“, erklärte P. Raniero Cantalamessa am Freitag Vormittag im Vatikan. Der Geist ist Garant für die Ausgestaltung des Reiches Gottes in der Zeit.

In seinem Vortrag, den wir hier vollständig wiedergeben, betont der Kapuzinerpater zwei Weisen, wie der Geist wirkt: Durch das Gewissen des Einzelnen und durch das Lehramt der Kirche. „Fatal ist es, der einen oder anderen dieser beiden Führungslinien des Geistes mehr oder weniger Gewicht zu geben. Wenn man das innere Zeugnis vernachlässigt, kommt es leicht zu Formen von Gesetzesreligion und Autoritarismus; wenn man das äußere, apostolische Zeugnis vernachlässigt, verfällt man in Subjektivismus und Fanatismus.“

„Das Ideal ist eine gesunde Balance zwischen Hören, was der Geist zu mir als Einzelnen sagt, und dem, was er der Kirche als Ganzer und so die Kirche dem einzelnen zu sagen hat“, führt Pater Cantalamessa in der dritten seiner traditionellen Fastenpredigten vor Papst Benedikt XVI. und den Mitarbeitern der Römischen Kurie aus.

P. Cantalamessa stellte seine Ausführungen unter den Titel: „Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes! (Röm 8,14)“, um den Heiligen Geist als inneren Führer und Wegweiser der Kirche aufzuzeigen, die in ihrer sichtbaren Gestalt Zeichen für das Reich Gottes ist, das Jesus Christus verkündigt hat.

1. Ein Zeitalter des Heiligen Geistes?

„Jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes… Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm. Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit. Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.“

Dies sind vier Verse aus dem 8. Kapitel des Briefes an die Römer über den Heiligen Geist, und in ihnen erklingt sechs Mal der Name Christi. Dieselbe Häufigkeit wird im Rest des Kapitels beibehalten, wenn man auch die Stellen in Betracht zieht, die sich auf ihn mit dem Pronomen oder mit dem Wort „Sohn“ beziehen. Diese Tatsache ist von grundlegender Wichtigkeit; sie sagt uns, dass für den heiligen Paulus das Werk des Heiligen Geistes nicht an die Stelle des Werkes Christi tritt, sondern gerade dies fortsetzt, erfüllt und verwirklicht.

Die Tatsache, dass der neu gewählte Präsident der Vereinigten Staaten während seines Wahlkampfes gut dreimal auf Joachim von Fiore Bezug genommen hat, hat das Interesse für die Lehre dieses mittelalterlichen Mönches neu erweckt. Wenige von denen, die sich über ihn auslassen, besonders im Internet, wissen oder bemühen sich darum zu wissen, was dieser Verfasser wirklich gesagt hat. Jede Vorstellung von kirchlicher oder weltlicher Erneuerung wird problemlos unter seinen Namen gestellt, sogar die Vorstellung von einem von Johannes XXIII. erbetenen neuen Pfingsten für die Kirche.

Eines ist gewiss. Die Idee von einem dritten Zeitalter des Geistes, das auf jene des Vaters im Alten Testament und die Zeit Christi im Neuen Testament folgen würde, ist falsch und häretisch, wird sie nun Joachim von Fiore zugeschrieben oder nicht; denn sie greift das Herz des Dreifaltigkeitsdogmas an.

Ganz anderes ist die Aussage des heiligen Gregor von Nazianz. Er unterscheidet drei Phasen der Offenbarung der Dreifaltigkeit: im Alten Testament hat sich vollkommen der Vater offenbart, und der Sohn wurde verheißen und angekündigt; im Neuen Testament hat sich der Sohn vollkommen offenbart, und der heilige Geist wurde angekündigt und verheißen; in der Zeit der Kirche ist der Heilige Geist schließlich vollkommen erkannt und man steht im Genuss dessen Gegenwart (Vgl. Gregor von Nazianz, Reden, XXXI, 26 (PG 36, 161 f.)

Allein weil ich in einem meiner Bücher diesen Text des heiligen Gregor zitiert habe, bin auch ich auf der Liste der Anhänger Joachims von Fiore gelandet; der heilige Gregor aber spricht von der Ordnung des Offenbarwerdens des Geistes, nicht von seinem Sein oder Wirken, und in diesem Sinne bringt seine Aussage eine unbestreitbare Wahrheit zum Ausdruck, die von der ganzen Tradition friedlich angenommen worden ist.

Die so genannte joachimitsche These wird vom heiligen Paulus und dem gesamten Neuen Testament in ihrer Wurzel ausgeschlossen. Für sie ist der Heilige Geist nichts anderes als der Geist Christi: objektiv, da er Frucht seines Pascha ist, subjektiv, da er es ist, der ihn über die Kirche ausgießt, wie Petrus den Menschenscharen am Pfingsttag sagen wird: „Nachdem er durch die rechte Hand Gottes erhöht worden war und vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen hatte, hat er ihn ausgegossen, wie ihr seht und hört“ (Apg 2, 33). Die Zeit des Geistes hat daher dieselbe Ausdehnung wie die Zeit Christi.

Der Heilige Geist ist der Geist, der zuerst aus dem Vater hervorgeht, der herabgekommen ist und sich in Fülle auf Jesus „gelegt“ und sich so in der Geschichte zeitigt. Aber er hat auch in ihm, wie der heilige Irenäus sagt, daran gewöhnt, unter den Menschen zu leben; schließlich ist er es der von ihm an Ostern-Pfingsten auf die Menschheit ausgegossen wird. Den Beweis für all dies erbringt gerade der Ausruf „Abba“, den der Geist in den Gläubigen wiederholt (Gal 4,6) oder den zu wiederholen er die Gläubigen lehrt (Röm 8,15). Wie kann der Geist zum Vater „Abba“ rufen? Er ist nicht vom Vater gezeugt, er ist nicht sein Sohn… Er kann es tun, so merkt Augustinus an, da er der Geist des Sohnes ist und die Anrufung Jesu verlängert.

2. Der Geist als Leiter in der Schrift

Nach dieser Prämisse komme ich zum Vers des 8. Kapitels des Briefes an die Römer, mit dem ich mich heute auseinandersetzen möchte: „Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes!“ (Röm 8,14).

Das Thema des Heiligen Geistes als Leiter ist in der Schrift nicht neu. In Jesajas wird der gesamte Weg des Volkes in der Wüste der Leitung des Geistes zugeschrieben. „Der Geist des Herrn ließ sie zur Ruhe kommen“ (Jes 63,14). Jesus selbst „wurde vom Geist in die Wüste geführt (ductus)“ (Mt 4,1). Die Apostelgeschichte zeigt uns eine Kirche, die Schritt für Schritt „vom Geist geleitet“ ist.

Der Plan des heiligen Lukas, auf das Evangelium die Apostelgeschichte folgen zu lassen, zielt darauf ab, dass derselbe Geist, der Jesus in seinem irdischen Leben geführt hatte, jetzt die Kirche als Geist „Christi“ leitet. Petrus geht auf Cornelius und die He iden zu? Der Geist ist es, der ihm dies befiehlt (vgl. Apg 10,19; 11,12); in Jerusalem treffen die Apostel wichtige Entscheidungen? Der Geist ist es, der diese veranlasst hat (15,28).

Die Leitung des Geistes wird nicht nur in den großen Entscheidungen, sondern auch in den kleinen Dingen erfüllt. Paulus und Timotheus wollen das Evangelium in der Provinz Asien verkündigen, aber: „vom Heiligen Geist wurde es verwehrt“; sie versuchen, Bithynien zu erreichen, „doch auch das erlaubte ihnen der Geist Jesu nicht“ (Apg 16,6f.).

Später versteht man den Grund für diese so beharrliche Leitung: der Heilige Geist drängte auf diese Weise die entstehende Kirche dazu, aus Asien herauszugehen und auf einen neuen Kontinent zu kommen, Europa (vgl. Apg 16,9).

Für Johannes wirkt die Leitung des Paraklitus vor allem im Bereich der Erkenntnis. Er ist der, der die Jünger zur ganzen Wahrheit „führen“ wird (Joh 16,3); seine Salbung „lehrt alles“, so dass der, der sie besitzt, sich von niemand belehren lassen muss (vgl. 1 Joh 2,27). Paulus führt eine wichtige Neuheit ein. Für ihn ist der Heilige Geist nicht nur der „innere Meister“; er ist ein Prinzip neuen Lebens („alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes“); er beschränkt sich nicht darauf, das anzugeben, was zu tun ist, sondern er verleiht auch die Fähigkeit, das zu tun, was er gebietet.

Dabei unterscheidet sich die Leitung des Geistes wesentlich von der Leitung des Gesetzes, die es gestattet, das zu tuende Gute zu sehen, aber den Menschen mit dem Bösen allein lässt, das er nicht will (vgl. Röm 7,15ff.). „Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz“ (Gal 5,18), hatte der Apostel vorher im Brief an die Galater gesagt.

Diese paulinische Sicht der Leitung durch den Geist, die tiefer und ontologischer ist (insofern sie das Sein selbst des Gläubigen berührt), schließt jene allgemeine des inneren Meisters, des Leiters zur Erkenntnis der Wahrheit und des Willens Gottes, nicht aus. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich gerade darüber sprechen.

Es handelt sich um ein Thema, das in der Tradition der Kirche eine breite Entfaltung erfahren hat. Wenn Jesus Christus der „Weg“ ist (hodos), der zum Vater führt (Joh 14,6), so ist der Heilige Geist nach den Kirchenvätern der „Führer entlang des Wegs“ (hodegòs) (Gregor von Nyssa, Über den Glauben, PG 45, 1241C; vgl. Pseudo-Athanasius, Dialog gegen die Makedonier, 1, 12, PG 28, 1308C).

„Dies ist der Geist“, schreibt der heilige Ambrosius, „unser Führer und Oberhaupt (ductor et princeps), der den Verstand leitet, das Gefühl bekräftigt, uns dorthin zieht, wohin er will, und unsere Schritte nach oben ausrichtet“ (Ambrosius, Apologie des David, 15, 73; CSEL 32,2, S. 348).

Der Hymnus Veni Creator nimmt diese Tradition in den Versen auf: „Ductore sic te praevio vitemus omne noxium“: unter deiner Leitung werden wir alles Böse meiden. Das II. Vatikanische Konzil reiht sich in diese Linie ein, wenn es von sich selbst als vom Volk Gottes spricht, das glaubt, dass es vom Geist des Herrn geführt wird (vgl. Gaudium et spes, 11).

3. Der Geist führt durch das Gewissen

Wo kommt diese Führung des Paraklitus zum Ausdruck? Der erste Bereich oder das erste Organ ist das Gewissen. Es besteht eine enge Beziehung zwischen dem Gewissen und dem Heiligen Geist. Was ist die berühmte „Stimme des Gewissens“, wenn nicht eine Art „Relais“ auf Distanz, durch das der Heilige Geist zu jedem Menschen spricht? „Ich sage in Christus die Wahrheit und lüge nicht und mein Gewissen bezeugt es mir im Heiligen Geist“, ruft Paulus aus (Röm 9,1).

Durch dieses „Organ“ erdehnt sich die Führung des Heiligen Geistes auch außerhalb der Kirche, auf alle Menschen. Die Heiden „zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab“ (Röm 2,14f.). Gerade weil der Heilige Geist in jedem vernunftbegabten Wesen durch das Gewissen spricht, sagte der heilige Maximus Confessor, „sehen wir viele Menschen, auch unter den Barbaren und Wandervölkern, die sich einem anständigen und guten Leben zuwenden und die unzivilisierten Gesetze ablehnen, die von den Anfängen an unter ihnen die Vorherrschaft geführt hatten“ (Maximus Confessor, Varia, I, 72; PG 90, 1208D).

Auch das Gewissen ist eine Art inneres Gesetz, das ungeschrieben, anders und geringer ist als das, was im Gläubigen durch die Gnade existiert, aber diesem nicht widerspricht, insofern es von demselben Geist abstammt. Wer allein im Besitz dieses „geringeren“ Gesetzes ist, ihm aber gehorcht, steht dem Geist näher als der, der das höhere besitzt, das von der Taufe stammt, aber nicht ihm gemäß lebt.

In den Gläubigen ist diese innere Leitung des Gewissens durch die Salbung potenziert und erhöht, die „alles lehrt, was wahr und keine Lüge ist“ (1 Joh 2,27), das heißt: es führt unfehlbar, wenn man auf es hört. Gerade indem Augustinus diesen Text kommentierte, hat er die Lehre vom Heiligen Geist als „inneren Meister“ formuliert. Was bedeutet es, fragt er sich, „Ihr braucht keinen, der euch belehrt?“ Weiß vielleicht der einzelne Christ schon alles allein und hat er es deshalb nicht nötig zu lesen, zu lernen und auf jemanden zu hören? Wäre dem so – zu welchem Zweck hätte der Apostel diesen seinen Brief geschrieben?

Wahr ist, dass man auf äußere Lehrer und Prediger hören muss, aber nur der, zu dem der Heilige Geist in seinem Innersten spricht, wird verstehen, was gesagt wird, und daraus Vorteil ziehen. Dies erklärt, warum viele dieselbe Predigt und dieselbe Lehre hören, aber nicht alle auf dieselbe Weise verstehen (vgl. Augustinus, Über den ersten Brief des Johannes, 3,13; 4,1; PL 35, 2004 f.).

Welch tröstende Sicherheit ergibt sich doch hieraus! Das Wort, das eines Tages im Evangelium erklang: „Der Meister ist da und lässt dich rufen“ (Joh 1,28), ist für jeden Christen wahr. Derselbe Meister wie einst, Christus, der nun durch seinen Geist spricht, ist in uns und ruft uns. Der heilige Cyrill von Jerusale m hatte recht, wenn er den Heiligen Geist als den „großen didaskalos, das heißt Meister der Kirche“ definiert (Cyrill von Jerusalem, Katechesen, XVI, 19).

In diesem innersten und persönlichen Bereich des Gewissens lehrt uns der Heilige Geist mit den „guten Inspirationen“ oder den „inneren Erleuchtungen“, die alle im Leben erfahren haben Es handelt sich um Antriebe, das Gute zu tun und das Böse zu mieden, Neigungen und Vorsätze des Herzens, die nicht auf natürliche Weise zu erklären sind, da sie oft in die Richtung gehen, die der Natur entgegengesetzt ist.

Gerade auf der Grundlage dieser ethischen Komponente der Person sind einige eminente Wissenschaftler und Biologen von heute zur Überwindung der Theorie gelangt, die den Menschen als zufälliges Ergebnis der Selektion der Arten sieht. Wenn das Gesetz, das die Evolution beherrscht, nur im Kampf um das Überleben des Stärkeren bestünde, wie könnten dann Handlungen aus reinem Altruismus und sogar das Opfer seiner selbst um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen erklärt werden (vgl. Collins, The Language of God)?

4. Der Geist führt durch das Lehramt der Kirche

So weit, das erste Themenfeld, das sich mit der Führung des Heiligen Geistes und des Gewissens beschäftigt hat. Es gibt noch ein zweites, dass ist die Kirche. Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes muss sich mit dem äußeren, sichtbaren und objektiven decken, das sowohl persönlich als auch öffentlich ist; das ist apostolische Lehre. Im Buch der Offenbarung hören wir am Ende eines jeden der sieben Briefe, die Warnung: "Hört auf das, was der Geist den Kirchen sagt." (Offb. 2, 7 ff.).

Der Geist spricht auch zu den Kirchen und Gemeinden, nicht nur zu Einzelpersonen. Der hl . Petrus verbindet in der Apostelgeschichte die zwei Weisen von Zeugnis, die äußeren und inneren, die persönlichen und öffentlichen, des Heiligen Geistes. Gerade als er vor der Menge über Christi Tod und Auferstehung gesprochen hatte, hieß es, das er die Hörer “ins Herz traf” (vgl. Apg 2, 37); er hielt die gleiche Rede vor den Staats- und Regierungschefs des Sanhedrin, und diese wurden wütend (vgl. Apg 4, 8 ff.). Dieselbe Rede, der gleiche Prediger, aber eine ganz andere Wirkung. Warum? Die Erklärung finden wir in diesen Worten, die der Apostel, bei dieser Gelegenheit wählt: “Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott denen verheißen hat, die ihm gehorchen". (Apg 5,32).

Zwei Zeugnisse, die man als Zeichen für den Glauben der Apostel zusammen sehen muss, das Wort und den Geist, der Ihnen erlaubt, diesen zu akzeptieren. Die gleiche Vorstellung finden wird im Johannes-Evangelium, wenn man von Geist Jesus sagt: „Dann wird er Zeugnis von mir ablegen". (Joh 15, 26).

Ebenso fatal ist es, der einen oder anderen dieser beiden Führungslinien des Geistes mehr oder weniger Gewicht zu geben. Wenn man das innere Zeugnis vernachlässigt, kommt es leicht zu Formen von Gesetzesreligion und Autoritarismus; wenn man das äußere, apostolische Zeugnis vernachlässigt verfällt man in Subjektivismus und Fanatismus.

Im Altertum waren es die Gnostiker, die das offizielle apostolische Zeugnis ablehnten. Gegen sie wehrte sich der hl. Irenäus mit folgenden Worten: “Dieses göttliche Geschenk nämlich ist der Kirche anvertraut, damit gleichsam das Geschöpf beseelt werde und alle Glieder, die an ihr Anteil haben, das Leben empfangen… Fern aber von dem Hause der Wahrheit, müssen sie sich in jeglichem Irrtum winden und wälzen, indem sie im Lauf der Zeiten über die selben Dinge verschiedene Lehren aufstellen, aber niemals zu einer gefestigten Meinung gelangen.” (Irenäus Adversus Haereses III, 24, 1-2)

Wenn sich alles nur auf den persönlichen, privaten Bereich, des Geistes reduziert, dann eröffnet dies den Weg zum einem unaufhaltsamen Prozess der Abspaltungen und Unterteilungen, weil jeder glaubt, Recht zu haben. Das führt zur Teilung und Vermehrung von Konfessionen und Sekten, die oft in wesentlichen Punkten im Widerspruch zueinander stehen; und das zeigt, dass sie nicht alle im gleichen Geist der Wahrheit sprechen, denn sonst würde dieser ja sich selbst nicht widersprechen.

Diese Gefahr besteht, wie sie wissen, am ehesten in der protestantischen Welt. Sie baut auf das „innere Zeugnis" des Heiligen Geistes als einziges Kriterium der Wahrheit auf; dies gegen alle Beweise der sichtbaren Kirche, die sich auch an anderes als das geschriebene Wort allein hält. [Vgl. J.-L. Witte, Esprit-Saint et Eglises séparées, in Dict.Spir. 4, 1318-1325.]

Einige extreme Randgruppen halten sich noch mehr an die innere Führung des Geistes durch das Wort der Heiligen Schrift. Dann haben sie die verschiedenen Bewegungen der „Begeisterten" und „Erleuchteten", die in die Geschichte der Kirche, der katholischen und orthodoxen und protestantischen, Einzug hielten. Was am häufigsten an dieser Grundeinstellung auffällt, ist das sich alle Aufmerksamkeit auf das interne Zeugnis des Heiligen Geistes richtet.

Aber wer stattdessen unempfindlich gegenüber dem Geist bleibt, ... der verliert Wesentliches und begnügt sich mit dem einfachen menschlichen Geist. Das ist der Fall beim Rationalismus.

Wir müssen zugeben, dass es auch die entgegengesetzte Gefahr gibt: dass ein absolutes sichtbares und öffentliches Zeugnis des Heiligen Geistes ignoriert wird, das die einzelnen durch die Gnade in ihrem Gewissen erleuchtet. Mit anderen Worten, man akzeptiert die Führung des Geistes nur durch das offizielle Lehramt der Kirche, und erreicht damit eine Verarmung des vielfältigen Wirkens des Heiligen Geistes.

Recht schnell überwiegen dann in diesem Fall, menschliche, organisatorische und institutionelle Elemente; die Passivität des ganzen Körpers wird gefördert und schließlich öffnet es die Tür zum Ausschluss der Laien und führt zu einer übermäßigen Klerikalisierung der Kirche. Nicht zu vergessen, dass man gerade aus diesem Grund in Subjektivismus und Sektierertum fallen kann, vorausgesetzt, man nimmt aus Tradition und Lehre, nur den Teil, der einer eigenen ideologischen und politischen Richtung entspricht.

Auch hier gilt es, wie immer, auf das Ganze zu schauen, auf die Zusammenschau, das Kriterium für das wahrhaft „Katholische". Das Ideal ist eine gesunde Balance zwischen Hören, was der Geist zu mir als Einzelnen sagt, und dem, was er der Kirche als Ganzer und so die Kirche dem einzelnen zu sagen hat.

5. Unterscheidung der Geister im persönliche Leben

Wir kommen nun zu den Hinweisen zur Führung des Geistes auf dem spirituellen Weg eines jeden Gläubigen. Es ist die Unterscheidung der Geister. Das erste und grundlegende Kriterium zur Unterscheidung der Geister ist eines, das erlaubt zwischen „dem Geist Gottes" und dem „Geist der Welt" (vgl. 1 Kor 2, 12) zu unterscheiden. Der hl. Paul gibt uns ein objektives Kriterium zur Klärung, dass Jesus auch heranzog: das der Früchte. Die „Werke des Fleisches" verweisen auf ein gewisses Verlangen, das vom alten sündigen Menschen kommt. Die „Früchte des Geistes", offenbaren, das sie vom Geist stammen (vgl. Gal 5, 19-22). „Das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch" (Gal 5, 17).

Manchmal jedoch ist dieses objektive Kriterium aber nicht genug, denn die Wahl findet nicht nur zwischen Gut und Böse, sondern zwischen einem Gut und einem anderen statt, und es ist gut zu sehen, was das ist, was Gott in einem bestimmten Fall will. Vor allem als Reaktion auf dieses Erfordernis entwickelte der hl. Ignatius von Loyola seine Lehre über die Unterscheidung der Geister. Er lädt uns vor allem zu einer Sache ein: sich über die eigenen internen Abläufe klar zu werden, die Absicht (der „Geister"), die sich hinter einer Wahl verbirgt.

Der hl. Ignatius hat auch praktischen Möglichkeiten zur Anwendung dieser Kriterien vorgeschlagen [Ignatius von Loyola , Die Exerzitien, Einsiedeln 1983, 4. Woche, Nr. 315] Eine ist folgende. Wenn Sie vor zwei möglichen Entscheidungen stehen, sollten Sie sich zunächst die eine derart erwägen, als wollten Sie ihr folgen, und in diesem Zustand für einen Tag oder mehr bleiben. Dann sollte man auf die Reaktionen des Herzens angesichts der Wahl schauen: Ob sie Frieden schenkt und mit dem Rest ihrer Entscheidungen im Einklang ist; oder ob es irgendetwas gibt, das sie in diese Richtung zieht; oder ob es auch Regungen anderer Art gab, wie Unruhe und Sorge ... Wiederholen Sie den Vorgang nun mit der zweiten Wahlmöglichkeit. Tun sie dies alles in einem Klima des Gebets, der Hingabe an den Willen Gottes, der Offenheit für den Heiligen Geist.

Eine wesentliche Grundeinstellung hilft, auf jeden Fall den Willen Gottes zu tun; sie ist wohl die günstigste Voraussetzung für eine gute Unterscheidung. Jesus sagte: “Weil ich nicht meinem Willen folge, sondern dem Willen dessen, der mich gesandt hat". (Joh 5, 30).

Die Gefahr, die in gewisser Weise modern ist, wäre es die Praxis der Unterscheidung derart anzuwenden, das man die psychologischen Aspekte ins Zentrum rückt, und dabei vergisst, das der wichtigste Führer aller Erkenntnis, der Heilige Geist ist. Es gibt tiefe theologische Gründe dafür. Der Heilige Geist ist es, der im Wesentlichen den Willen Gottes vermittelt, wenn er in eine Seele einkehrt „und aufzeigt was der Wille Gottes für mich bedeutet, und worin er sich zeigt". [Wilhelm von St. Thierry, Lo specchio della fede, 61 (SCh 301, p. 128)].

Die konkrete Frucht dieser Meditation könnte eine erneuerte Entschlossenheit sein, sich voll und ganz auf die innere Führung des Heiligen Geistes, als eine Art „spirituelle Richtungsweisung" einzulassen. Es steht geschrieben, dass „immer wenn die Wolke sich von der Wohnstätte erhob, brachen die Israeliten auf, solange ihre Wanderung dauerte. Wenn sich aber die Wolke nicht erhob, brachen sie nicht auf, bis zu dem Tag, an dem sie sich erhob”. (Exodus 40, 36-37). Auch wir müssen nichts unternehmen, es sei denn, es ist der Heilige Geist, der wie die Wolke, gemäß der Tradition zeigt, ob wir uns bewegen sollen und der vor jeder Aktion gefragt wurde.

Wir haben dafür ein leuchtendes Beispiel im Leben Jesus, der keine Entscheidung ohne den Heiligen Geist getroffen hat. Mit dem Heiligen Geist ging in die Wüste, mit der Kraft des Heiligen Geistes kehrte er zurück und begann seine Predigt, "im Heiligen Geist" wird wählte seine Apostel (vgl. Apg. 1,2), und betete im Geist und bot sich dem Vater an (vgl. Heb. 9, 14).

Der hl. Thomas spricht von dieser inneren Leitung des Geistes als eine Art „Glaubensinstinkt des Gerechten": "Wie sich im körperlichen Leben der Körper nicht bewegt, es sei denn, die Seele schenkt ihm Leben, so ist es in unserem geistlichen Leben: jede Bewegung sollte aus dem Heiligen Geistes hervorgehen.“ So wirkt das „Gesetz des Geistes" und das ist es, was der Apostel fordert, wenn er dazu aufruft „richtet euch nach dem Geist" (Gal 5,18). (Hl. Thomas von Aquin, Aus dem Galaterbrief, V, lec.5, Nr.318; lec. 7, Nr. 340.

Wir müssen uns dem Heiligen Geist überlassen, so wie die Saiten der Harfe sich den Fingern dessen, der sie bewegt hingeben. Wie gute Akteure, ihre Ohren für die Stimme des verborgenen Souffleurs spitzen, um treu gerade ihre Szene des Lebens zu spielen, so auch wir. Es ist einfacher als Sie denken, denn unser Souffleur spricht von innen her zu uns; er lehrt uns alles, alles bringt er uns bei.

Manchmal bedarf es nur eines kurzen Blicks ins Innere, einer Bewegung des Herzens, eines Gebetes. Über einen heiligen Bischof des zweiten Jahrhunderts, Meliton von Sardes, möchte ich diesen wunderschönen Satz vorlesen, von den ich wünschte, wir könnten ihn von jedem von uns nach dem Tod sagen: „In seinem Leben wurde alles durch den Heiligen Geist entschieden“.


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