Die Una Sancta - wir halten immer zur Una Sancta

20. März 2009 in Chronik


Am Donnerstag starb die große Schrifstellerin Gertrud Fussenegger - Ein kath.net-Leser durfte noch vor wenigen Tagen vier Stunden mit ihr reden und berichtete von ihren letzten Worten


Linz (kath.net)
Die bekannte österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger ist tot. Sie starb am Donnerstag im Alter von 96 Jahre im Linzer St. Anna-Heim.

Als Tochter eines k.u.k.-Hauptmannes wurde Gertrud Fussenegger am 08. Mai 1912 in Pilsen geboren. Nach den ersten Lebensjahren in Neu-Sandez (Galizien), Dornbirn (Vorarlberg) und Telfs (Tirol) lebte sie nach dem Tod der Mutter in Pilsen, wo sie 1930 ihr Abitur am Realgymnasium machte.

Anschließend entschied sie sich für ein Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten von Innsbruck und München, welches sie 1934 mit einer Dissertation über den zweiten Teil des altfranzösischen Rosenromans abschloß ("Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildung im Rosenroman von Jean Clopinel von Meun"). Zwei Jahre später stellten sich die ersten Erfolge ihrer schriftstellerischen Tätigkeit ein. Während des Zweiten Weltkrieges und danach lebte sie in München und Hall in Tirol. 1961 zog sie nach Leonding bei Linz.

Frau Fussenegger war in erster Ehe mit dem Bildhauer Elmar Dietz, in zweiter Ehe seit 1950 mit Alois Dorn, ebenfalls Bildhauer, verheiratet und hat fünf Kinder sowie 12 Enkelkinder.

Für ihr literarisches Werk wurde und wird sie mit zahlreichen Ehrungen bedacht, darunter dem Adalbert-Stifter-Preis (1951), dem Hauptpreis für Ostdeutsches Schrifttum (1963), dem Johann-Peter-Hebel-Preis (1969), dem Hauptpreis des Sudetendeutschen Kulturbundes (1972), dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1981), dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland (1984), dem Jean-Paul-Preis des Freistaates Bayern (1993), dem Weilheimer Literaturpreis (1993) und der Kulturmedaille des Landes Oberösterreich (1999).

Gertrud Fussenegger ist Mitglied des P.E.N., der Humboldt-Gesellschaft, des „Turmbundes“ und der Sudetendeutschen Akademie sowie Ehrenmitglied des österreichischen Schriftstellerverbandes und Ehrenpräsidentin des Verbandes katholischer Schriftsteller Österreichs. Für die „Frankfurter Anthologien“ von Marcel Reich-Ranicki war sie ebenfalls tätig. Von 1977-1979 und 1984-1985 gehörte sie der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt an.

Ein kath.net-Leser, der noch vor wenigen Tagen bei ihr am Krankenbett war, erzählte am Freitag, dass er mit ihr ein vierstündiges, sehr persönliches Gespräch führen durfte. Dabei umfasste Fussenegger seine Hand und meinte: "Gell, die Una Sancta - wir halten immer zur Una Sancta". "Das war das Letzte, was sie mir sagen wollte.", berichtete der Leser.

Aus aktuellem Anlass bringt kath.net erneute das Interview von Michael Ragg mit Gertrud Fussenegger:

RAGG: Frau Fussenegger, das Erzählen ist Ihre große Leidenschaft, man könnte auch sagen, es ist Ihre Berufung. Der Dichter Reiner Kunze schrieb einmal über Sie: „Beim Abendessen erzählte Gertrud Fussenegger, in Hall in Tirol hätten Klassenkameraden aus der Volksschule sie daran erinnert, dass sie schon als Kind Geschichten erzählt und ihnen, damit sie ihr zuhörten, die Schultasche getragen habe. Man muss wohl mit zehn bereit sein, anderen, damit sie einem zuhören, die Schultasche tragen, um mit achtzig Zuhörer zu haben, die einem gern die Schultasche tragen würden.“ Worin sehen Sie die Bedeutung des Erzählens, was zieht den Dichter an den Schreibtisch?

FUSSENEGGER: Erzählen ist ein Urzustand des Menschen. Bei einem Schriftsteller ist es so, dass einem im Kopf bestimmte Bilder umgehen, Probleme, Situationen. Man weiß zuerst gar nicht, was sie sollen. Aber sie wollen zueinander. Sie wollen von Sprache aufgefangen werden und sich in Sprache realisieren. So fängt es an. Dann kommt es dazu, dass man diese isolierten Dinge doch in ein höheres Bedeutungsmuster einordnen möchte.

RAGG: Man nennt Sie eine „katholische“ Schriftstellerin, obwohl Sie einmal gesagt haben, dass Sie mit dem, was gemeinhin katholische Literatur genannt wird, nicht viel anfangen können.

FUSSENEGGER: Ich glaube, da hat man mir vorher Namen genannt, die mir nicht viel gesagt haben. Christliche, katholische Literatur, hat mir schon einen großen Eindruck gemacht und zwar im „Renoveau Catholique“. Das war eine Bewegung in Frankreich um das Jahr 1900 herum. Das sind die großen Namen Bernanos, Peguy und Bloy. In meiner Jugend hat mich auch Sigrid Undset, von der heute niemand mehr spricht, sehr beeindruckt. Das ist eine Norwegerin, die erst als ältere Frau zum Katholizismus übergetreten ist. Das waren schon tiefe Eindrücke. Aber man kann auch weltliche Bücher christlich lesen. Man kann in ihnen Derivate des Christlichen auffinden. Es war immer meine Sehnsucht und Freude, wenn ich solche Elemente auch in weltlicher Literatur entdeckt habe.

RAGG: Was macht eigentlich christliche Literatur aus? Sie, Frau Fussenegger, schreiben ja nicht über Bischöfe oder Heilige und auch nicht etwas, was man als „fromme Erbauungsliteratur“ bezeichnen könnte.

FUSSENEGGER: Ich glaube, christliche Literatur ist vor allem eine Literatur, die das Transzendente ernst nimmt.

RAGG: Sie sprachen davon, dass Sie auch in der säkularen Literatur gerne nach Christlichem spüren. Es ist ja interessant, dass der Dichter bei uns als moralische Instanz gilt. Man erwartet, zumindest von einem „großen“ Dichter Wegweisung, Orientierung. Gibt es einen besonderen Zusammenhang zwischen Dichtung und Wahrheit? Kann man sagen, dass große Dichtung immer eine gewisse Nähe zu grundlegenden Wahrheiten hat und damit auch eine Hinneigung zum Christlichen?

FUSSENEGGER: Dichtung ist ja immer auch Wahrheitssuche. Aber die dort gefundene Wahrheit unterscheidet sich grundlegend von der Wahrheit, die im abstrakten Diskurs gefunden werden kann. Dichtung arbeitet mit Bildern, mit Charakteren, mit ganz anderen Mitteln als eine abstrakte Abhandlung. Man kann Dichtung auch nicht so eindeutig deuten. Die Deutungen sind immer vielfältig. Das ist das Schöne daran, manchmal auch das Gefährliche, aber auch das, was den Autor reizt. Er muss ja mit sich selbst ins Reine kommen und das ist für ihn ein Lebensprozess, auch ein lustvoller Prozess. Ohne Lust könnte man nicht schreiben.

RAGG: Sie habe ja ein bewegtes Leben bisher hinter sich. Bewegt im wahrsten Sinne des Wortes, denn Sie mussten sich immer wieder bewegen – von einem Land ins andere. Sie sind zwischen Böhmen, Bayern, Vorarlberg und Tirol unterwegs gewesen und mussten immer wieder neu Wurzeln schlagen. Bewegt war und wird Ihr Leben aber auch durch zwei Ehen, fünf Kinder, viele Enkel und Urenkel. Schließlich ist Ihr Leben geprägt durch all die geistigen Irrungen und Wirrungen, die es im vergangenen Jahrhundert reichlich gegeben hat. War Ihnen die Religion sozusagen in die Wiege gelegt, gehörte sie selbstverständlich zu Ihrem Leben oder war Ihre Religiosität Ergebnis eines langen Prozesses?

FUSSENEGGER: Wie ich dazu gekommen bin, eine praktizierende Katholikin zu werden, das ist allerdings ein Stück Lebensgeschichte. Es würde viel zu lange dauern, darüber zu sprechen. Aber – ich fühle mich jetzt in einem Hafen angekommen, nach vielen stürmischen Fahrten durch die Ideologien des 19. Jahrhunderts. Ich komme eigentlich aus einer liberalen Familie. Irgendwann sind wir aus Böhmen nach Vorarlberg und Tirol umgezogen. Das waren strikt katholische Länder. Das hat mir sehr imponiert. Ich wollte lieber herausgefordert als nur verwöhnt und gestreichelt sein. In meiner Jugendzeit hat man sich natürlich mit dem Sozialismus befasst, mit Nietzsche, mit Spengler, dann auch mit Freud. Aber immer wieder ist das Christliche, die große Frobotschaft, aus dem Meer der Irrtümer aufgetaucht und hat mich überzeugt.

RAGG: Sie verfolgen ja schon lange die Geschichte Ihrer Kirche. Wie sehen Sie heute die Entwicklung der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil?

FUSSENEGGER: Da bin ich mehr beunruhigt als erfreut, muss ich sagen. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist viel von Entmythologisierung die Rede. Abgesehen davon, dass schon „Mythos“ im Bereich der Religion ein pejoratives Wort ist, wo fängt „Entmythologisierung“ an und wo hört sie auf? Von der Kirche wünsche ich mir, dass wieder große Heilige in ihr entstünden, große charismatische Persönlichkeiten, die uns überraschen, die uns zu neuen Perspektiven führen. Diese neuen Perspektiven müssen durchaus nicht permissiv sein. Das wäre mein Wunsch an die Kirche, aber mehr noch an die göttliche Gnade.

RAGG: Nun liegt die Kirche bei uns ja nicht gerade im Trend. Heute versucht die allgegenwärtige Werbung dem Menschen zu vermitteln, dass Geld verdienen und konsumieren die entscheidenden Werte sind. Eine der vielen neuen Zeitungen, die uns beim Geldverdienen helfen wollen, „Euro am Sonntag“, wirbt mit dem Slogan: „Beten. Machen Sie mehr aus Ihrem Sonntag. Machen Sie Geld!“ Was würden Sie aus Ihrer Lebenserfahrung heraus jungen Menschen sagen, wenn sie danach fragen, was eigentlich ein erfülltes Leben ausmacht?

FUSSENEGGER: Alle, ob jung oder alt, die nur auf Geld und Konsum schauen, tun mir leid. Was ein erfülltes Leben ausmacht?: Arbeit, so redlich wie möglich, da sein für andere Menschen – und dann eben der Blick hinüber in die andere große Welt.

RAGG: Sie haben als promovierte Historikerin das vergangene Jahrhundert mit seinen Zeitströmungen sensibel beobachtet. Wenn Sie drei Wünsche an unser 21. Jahrhundert frei hätten, welche wären das?

FUSSENEGGER: Ich hoffe, dass all die Kurven, die jetzt so extrapoliert aufsteigen, wieder abflachen, bevor sie den kritischen Punkt des Absturzes erreichen. Ich wünsche mir, dass die Menschen die Zuversicht in ihre eigene Natur nicht verlieren. Schließlich ist die Menschheit schon Jahrmillionen alt und sie hat so viele Erfahrungen in sich deponiert, dass sie schließlich diese Erfahrungen, zwar betrunken von einem ungeheuren Schub von Neuerungen, nicht ganz vergisst und dass diese sich wieder zu Wort melden. Und dann hoffe ich, dass die Kirche und das Christentum den Menschen weiterhin Orientierung und Trost bringen.

KathTube - In Memoriam Gertrud Fussenegger: (1912-2009). Requiescat in pace:




Foto: (c) Kirche in Not


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